Jedes Kind weiß inzwischen, dass die technischen Geräte, die wir heute noch Auto nennen, bald fahrerlos über die Straßen sausen werden. Und doch fehlt der breite Diskussion noch eins: Tragweite. Abgesehen von Organisation und Technologie der selbstfahrenden Autos wird dabei der bevorstehende Wandel der Sprache schnell vergessen … dabei sprechen wir ja heute auch nicht von mechanischen Pferden, wenn wir Autos meinen. So werden wir 2030 auch nicht selbstfahrende Autos sagen und etwas anderes meinen. Ein kurzer Abriss der kommenden Jahre sowie zwei knackige Szenarien, aus denen ca. fünf Geschäftsmodelle hervorgehen.
Autonomes Fahren: Maschinen treffen schon jetzt bessere Entscheidungen
Zunächst einmal möchte ich an dieser Stelle einmal schriftlich und öffentlich fixieren, dass meiner Einschätzung nach die erste Level 5-Fahrt in komplexen Verkehrssituationen noch vor dem Jahr 2020 stattfinden wird. Die ersten kommerziell erhältlichen selbstfahrenden Autos (mit Level 4) werden dann kurz darauf folgen – allerdings noch mit der gesetzlichen Einschränkung, dass noch ein Lenkrad für den Notfall vorhanden sein muss. Dass ich nicht lache. Ich stelle mir solche Annahmen immer gern bildlich vor. Was tut ein menschlicher Insasse, wenn die Superintelligenz des automobilen Boardcomputers nach der Auswertung von 1GB Daten (über eine Milllion Datenpunkte) pro Sekunde zu dem Ergebnis kommt, dass sie selbst diese Situation nicht mehr retten kann? Richtig: gar nichts. Dann ist es zu spät. Anders beschrieben: was tun Menschen, wenn ihnen unerwartet jemand die Vorfahrt nimmt oder ein Tier vors Auto läuft? Antwort: In der Mehrzahl der Fälle reagieren sie irrational, affektiv und falsch. Unser Erbgut enthält leider keinen vorgefertigten Instinkt für derartige Situationen.
Schon 2018 haben Auswertungen ergeben, dass die autonomen Fahrzeuge weniger Unfälle verursachen als menschliche Fahrer (Quelle1, Quelle2); in unserem Medien-Dunstkreis erscheint immer nur die Meldung über die Fehler der Autopiloten. Menschen neigen dazu, neue Lösungsansätze zunächst skeptisch zu beäugen, vielleicht hat auch diese Eigenschaft die Spezies weit gebracht. Öffentliche Debatte hin oder her: die Zulassung autonomer Fahrzeuge erst auf Autobahnen voranzutreiben, ist allenfalls aus Akzeptanzgründen richtig. Mehr Bedarf besteht in den Stadtzentren, in denen zwar über die letzten Jahre immer weniger, aber doch noch viel zu viele Lebewesen durch unachtsame Fahrzeugführer verletzt oder getötet werden.
Zoom out: Geschäftsmodelle in selbstfahrenden Autos
Zurück zum großen Bild. Autos steuern sich bald selbst. Inwiefern verändert diese baldige Realität das Aussehen von Autos? Entfernen die Ingenieure bei Daimler, Volkswagen, Tesla und Toyota einfach brav Lenkrad, Pedale, Handbremse, Fahrtrichtungsanzeiger und Scheibenwischer und das war’s? Danach einfach so weiter wie bisher? Dass das nicht alles ist, kann ich Ihnen schon jetzt mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit erläutern. Wenn Fahrzeuge sich selbst steuern, stellen sich die Innenraumdesigner plötzlich gänzlich neuen Fragen. Anstatt ein sicheres und möglichst komfortables Cockpit um einen Fahrer herum zu designen, der idealerweise nicht zu sehr durch Zusatzfunktionen abgelenkt und defokussiert wird, dreht autonomes Fahren diesen Spieß um. Endlich dürfen die Designer der Automobilindustrie Fahrzeuge gestalten, die sich um den Beifahrer drehen und das Erlebnis innerhalb eines fahrenden Blechkastens erhöhen, denn dann sind alle Insassen Beifahrer und Ablenkung ist gut!
Und mehr noch: Überlegen Sie sich bitte, was Sie alles endlich während der Fahrt tun dürfen, wenn Sie nach einem langen Arbeitstag nach Hause pendeln oder früh morgens zu einem Kundentermin jagen. Endlich dürfen Sie sich vorbereiten oder schlafen, Sie können unbeschwert mit beiden Händen essen, können Computerspiele daddeln oder sich mit Ihrer Familie Aug in Aug befassen. Im Übrigen stammen diese Szenarien nicht von Science-Fiction-Fans, sondern aus den Produktionshallen der Industrie. Kaum ein Automobilhersteller hat nicht bereits Prototypen vorgestellt, am spannendsten finde ich persönlich jedoch die Zusammenarbeit von Toyota und Softbank in dem Joint Venture Monet. Denn anders als die Konkurrenz der etablierten Fahrzeugindustrie hat Monet verstanden, dass Toyota in ein paar Jahren aufhören wird, mit dem Verkauf von Fahrzeugen Geld zu verdienen. In der Logik des „Mobility as a service“ (MaaS) gilt die gebuchte Fahrt, vielmehr noch die erzeugten Daten über Fahrt und Insassen sowie die gegebenenfalls verkauften Premiumleistungen.
Wie läuft das in der Zukunft ab? Zwei Szenarien:
Freitag, 11. Februar 2022. Meine Präsentation beim Frankfurter Geschäftspartner ist gut gelaufen und ich verlasse gegen 16:30 Uhr dessen Büro. Ich freue mich auf die Geburtstagsparty meines besten Freundes heute Abend – doch ich weiß genau, dass zwischen der Drehtür vor mir und meiner Haustür rund 400 Kilometer liegen. Zum Glück muss ich nicht mehr einen Mietwagen selbst steuern, denn dann bräuchte ich mit Pausen erstens gut vier Stunden für den Weg und müsste mich dann zuhause noch an den Schreibtisch setzen und das Meeting nach- und alles für die Kollegen aufbereiten. Früher kam ich wegen so etwas immer viel zu spät und innerlich aufgewühlt zu Partys. Stattdessen erwartet mich bereits mein Uber Office, denn es wusste dank meiner Kalenderfreigabe und der aktivierten Extra-Schnittstelle, dass ich heute kein Best Western Sleep oder Starbucks Diner benötige. Ein Fahrzeug, das insgesamt etwa so groß ist wie ein SUV der 2010er Jahre öffnet seine Türen, ich werfe meinen Rucksack in den großzügigen Innenbereich, setze mich dazu – erstmal Beine laaang austrecken – und sage: „hallo Uber, einmal nach Hause, bitte“ – „alles klar, los geht’s! Wir erreichen dein Zuhause um 20:19 Uhr, wenn du unterwegs keine Pause benötigst. Ich jedenfalls nicht, mein Akku ist voll geladen!“ Ich klappe den Bürosessel mit Massagefunktion aufrecht, packe mein Notebook auf den Tisch und beginne mit der Nach- und Aufbereitung des Meetings. Um 20:17 Uhr rollen wir bei mir zuhause vor die Haustür, was mir genügend Zeit verschafft hat, aus dem Meeting-Outfit zu schlüpfen und zur Party zu radeln. Um Punkt 21 Uhr schlage ich bei der Party auf und bin der erste Gast – und blicke in verdutzte Gesichter: „Du schon hier?!“
Am selben Tag hat Onkel Wilhelm wieder einiges vor. Morgens der monatliche Checkup beim Hausarzt, nachmittags ein paar Kleinigkeiten einkaufen – ein „echter“ Supermarkt und sein eigenwilliger Einkaufszettel sind ihm immer noch lieber als Online-Bestellungen – und abends Schachspielen im Nachbarort. Er hat sich viele Jahre darauf gefreut, nicht mehr selbst fahren zu müssen, deshalb steht pünktlich um 7:50 Uhr morgens sein Bosch Taxi vor der Haustür, um ihn in die Innenstadt zu fahren. An Bord läuft Wilhelms Lieblingsradiosender BOB Radio. Keine zehn Minuten später erreichen sie das Ziel. Anstatt einen Parkplatz vor dem Ärztehaus zu belegen, dampft das „Taxi“ nach erfolgreicher Beförderung wieder ab, um weitere Aufträge entgegenzunehmen und autonom zur Ladesäule zu navigieren. Nach dem Arzttermin kommt ein anderes Taxi, dieses Mal von Lyft – dem effizienz- und komfortgetriebenen Mitfahrer könnte es nicht egaler sein, welcher Hersteller oder Betreiber hinter der Beförderung steckt. Die Bezahlung klappt dank NFC-Erkennung kontaktlos und bei manchen Anbietern auch noch automatisch per Lastschrift mit den alten Bankkonten. Da Onkel Wilhelm wie viele andere während der Fahrzeit Werbespots auf seinem Smartphone oder auf der Frontscheibe schaut, welche inzwischen ein Mixed Reality-Display ist, liegt der Fahrpreis für die drei Fahrten zum Arzt, Supermarkt und zum Schachfreund in Summe bei unter 10 Euro. Dieses Szenario beinhaltet einen der größten Treiber der autonomen Mobilität: Menschen, die noch nicht (Kinder und Jugendliche) oder nicht mehr (Senioren oder körperlich und geistig Beeinträchtigte) fahren dürfen und somit im Jahr 2018 noch auf den guten Willen motorisierter Verwandter und Bekannter oder auf unflexible ÖPNV-Lösungen setzen müssen.
Zoom in: Wer sind die Treiber der autonomen Fahrzeuge?
Klingt nach Utopie? Aus mehreren sicheren Quellen kann ich sagen, dass dieses Bild nicht utopisch ist, sondern aus den Geschäftsmodell-Abteilungen unterschiedlichster Akteure stammt. Erste Prototypen existieren sogar und werden auf den großen Messen der Welt (z.B. IAA) seit einiger Zeit präsentiert. Auch die Zulieferer wie Bosch machen sich bereit für diese neue Spielrunde und schmieden spannende Allianzen wie mit der Deutschen Telekom oder der hochinnovativen IOTA Foundation. Sehr zum Leidwesen der etablierten OEMs wie Daimler, Volkswagen oder BMW. Und auf der anderen Seite des großen Teichs sitzt Erzrivale der deutschen Ingenieure, Tesla Motors von Elon Musk, Waymo von Alphabet, Uber, GM, Ford … und in Asien Baidu, Yutong, Nissan, Toyota und so viele mehr. CBInsights hat hier die 44 größten Player autonomer Entwicklung zusammengestellt.
Die Herleitung ist kinderleicht. In den industrialisierten Staaten stagniert der Absatz von Pkw oder ist sogar rückläufig. Die Märkte sind gesättigt. Die Hersteller müssen sich etwas neues überlegen, um die Erlösströme nicht versiegen zu lassen. Diesen Umstand kombinieren wir mit der inzwischen verfügbaren Rechenleistung und Rechnergröße von Computern, den Fortschritten in der Entwicklung von Machine Learning et voilà: der Grundstein für eine Kehrtwende des fundamentalen Geschäftsmodells klassischer Autobauer ist gelegt. Angefangen hat das Rennen zum autonomen Fahrzeug mit Elon Musks Ankündigung, mit Tesla die ersten autonomen Fahrzeuge in Serie zu produzieren; aktuell (Mai 2019) dominieren US-amerikanische Firmen, wobei sich chinesische Hersteller anschicken, am Tesla-Thron zu wackeln.
Sie alle gehören nicht unbedingt einer altruistisch motivierten Heilsarmee an. Nein, sie erschließen sich mit den Mitteln der Digitalisierung das wertvollste Gut der Konsumenten: Zeit. Mehrere Millionen Stunden pro Tag sitzen Menschen allein in Deutschland hinterm Steuer. Angenommen, sie würden zwar in einem Fahrzeug sitzen (captive audience), hätten diese Zeit jedoch frei für andere Dinge. Für Werbung. Für Entertainment. Für Entspannung. Für Kaufempfehlungen. Den Konsumenten wird dies als „customer centricity“ verkauft werden; in Wirklichkeit ist es natürlich die Gewinnmaximierung über Zusatzangebote.
Fazit: Autonomes Auto ist nicht gleich Auto
Unser Verständnis von einem Auto beinhaltet die Vorstellung, dass ein Mensch aktiv mittels Bedienung von Lenkrad, Beschleunigung, Bremse etc. den Fahrverlauf beeinflusst. In dem Moment, wenn wir genau das nicht mehr tun, sondern uns lieber zurücklehnen in unserem per App bestellten mobilen Büro, Hotelzimmer oder Robotaxi, handelt es sich nicht mehr um ein Auto. Meine Prognose ist, dass wir in Deutschland spätestens im Jahr 2030 sogar erste großflächige Verbote für von Menschenhand gesteuerte Fahrzeuge erleben werden. Anderswo natürlich schon viel früher, nicht nur das Silicon Valley sind uns ja bekannterweise weit voraus, Dubai natürlich auch, Frankreich möchte europäischer Pionier werden.
Wie dem auch sei. Wir werden diese selbstfahrenden Fahrzeuge nicht mehr Auto nennen, sondern müssen einen neuen Begriff dafür finden. Müssen? Werden. Das ist ein ganz normaler Prozess der menschlichen Evolution. Wie gesagt, sprechen wir ja heute auch nicht von mechanischen Pferden, wenn wir eigentlich Autos meinen… es werden mobile Zweckerfüller sein. Und in einigen Jahrzehnten fragen Ihre Enkel Sie dann: „Wie meinst du das, Oma, du hattest einen Führerschein? Das war erlaubt?!“
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