09/208: So leben und arbeiten wir in der Zukunft (Bearing Point)

Am 14. September 2018 wurde ich von Bearing Point, einem der weltweit größten Beratungshäuser für Mobilitäts- und Technologiefragen, auf eine große Bühne gebeten. Rund 1500 Zuschauer waren in der Station Berlin dabei, als ich sie auf eine Reise ins Jahr 2030 entführte - natürlich mit einem Fokus auf die wichtigsten Themen ihrer Klienten: Mobilität, Gesundheit und Arbeitswelten.

https://youtu.be/dH6CbptZwSw

Warum ich Dorothee Bär mag … über Flugtaxis und Digitalisierung der Mobilität

Es gibt diese Themen, die man als Zukunftsforscher lieber ausspart. Zu verbraucht sind Prognosen, die nie eintrafen, ein zu hohes Risiko der potenziellen Unglaubwürdigkeit ist damit verbunden. Deshalb analysieren wir wissenschaftlich arbeitenden Zukunftsforscher konkrete, real existierende Treiber statt netter Ideen und möglicher Utopien. Seit ich in der Zukunftsforschung aktiv bin, werden mir immer wieder Fehlschläge der mutmaßlichen Propheten, Visionäre, Träumer humorvoll als Benchmark meiner Thesen entgegengebracht, denn auch in unserer relativ kleinen Branche gibt es schon sowas wie Sippenhaft. Einer der Dauerbrenner: „Wann gibt es endlich Flugautos?“ oder im Politiksprech: Ist die CSU-Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär eine haltlose Seherin? Vielleicht, aber die Diskussion hat mehrere Ebenen. Abseits von machtpolitischen und juristischen Aspekten möchte aber ich an dieser Stelle nur auf die beiden wirklich wesentlichen eingehen: Wie realistisch ist die Vision der fliegenden Autos und was hat Digitalisierung damit zu tun?

1. Fliegende Autos werden Realität, sehr bald!

Wie eingangs beschrieben habe ich persönlich das Thema Flugautos immer schon äußerst skeptisch beäugt. Aus unterschiedlichen Gründen (Preis, Regulation, Technik, Reichweite, Finanzierung) reichte es bislang ja auch nicht zum Durchbruch.

Die Liste der aktuellen Projekte und der finanziellen Mittel, die in deren Entwicklung fließen, wird aber immer länger. Ein paar Beispiele:

  • PAL-V (Personal Air- und Land-Vehicle) aus den Niederlanden. Zur Steuerung benötigt der Insasse aktuell noch einen Flugschein, womit das Fluggefährt eher etwas für das Luxussegment bleibt.
  • Das in Deutschland gegründete Starup Lilium möchte schon sehr bald ein elektronisch betriebenes Flugauto auf den Markt bringen und mit einer smarten App auf Abruf zum Taxitarif zur Verfügung stellen. Reichweite: 300 km, Geschwindigkeit: 300 km/h. Tatsächlich gibt es hierzulande noch weitere Projekte, die nur auf die Freigabe des Luftraums warten, die sind aber leider noch nicht spruchreif.
  • Ehang aus China hat ein serienreifes Flugtaxi entwickelt, welches 2017 bereits die ersten Flüge in Dubai durchführte. Noch wird das Flugauto, das eine Person und eine Aktentasche ca. 50 km trägt, vom Boden aus ferngesteuert. In naher Zukunft sollen die fliegenden Taxis jedoch als autonome Drohnen selbstständig Passagiere stressfrei über den Stadtverkehr fliegen.
  • Ein vorerst letzter, mächtiger Akteur dieser unvollständigen Liste ist der Luftfahrtriese Airbus. Im Projekt Vahana wird seit einigen Jahren an einem Flugauto gewerkelt, das im ersten Quartal 2018 seinen Jungfernflug meisterte. Bei einer derartigen finanziellen Rückendeckung fällt es nicht schwer sich vorzustellen, dass der Straßenverkehr schon bald einige Etagen in die Luft verlegt wird.

Angesichts dieser Entwicklungen und der laufenden Bestrebungen, den mittleren Luftraum für die private Luftfahrt sowie Drohnenverkehr zu öffnen, traue ich mich seit einer Weile endlich, ernsthaft über die Implikationen und Auswirkungen von Flugautos nachzudenken. Endlich!

2. Digitalisierung ist nicht gleich Breitbandinternet

Zurück zu Dorothee Bär. Mit ihrer Aussage, dass sie in der laufenden Legislatur die Digitalisierung in Deutschland vorantreiben möchte und auch Flugtaxis auf ihrer Agenda stünden, wurde sie leider in der öffentlichen Diskussion stark kritisiert, um es vorsichtig zu formulieren. Dabei war dieser Moment der erste seit Langem, in dem nicht nur Zukunftsforscher wie ich aufatmeten und ein Ende der chronischen Visionslosigkeit der deutschen Politik herbeisehnten. Denn in Visionen steckt eine unheimliche Macht, die Zukunft zu gestalten: sie mobilisieren Mitstreiter und Financiers, übersetzen Ideen in Pläne und bricht Tabus, die andernfalls gefährlichen Stillstand und Bequemlichkeit zementieren. Dorothee Bär hat als erste deutsche Spitzenpolitikerin öffentlich gezeigt, dass sie den Grundmechanismus der Digitalisierung verstanden hat. Digitalisierung bedeutet nicht nur Breitband und schicke Smartphones, Digitalisierung findet auch ein paar Etagen weiter oben statt. In diesem Fall: in der Luft.

Digitalisierung ist vor allem der Nutzwert, der entsteht, wenn die unsichtbare Datenübertragung sinnvoll Menschen das Leben erleichtert. Dazu gehört neben Katzenvideos auf Youtube, endlosen, frei zugänglichen Wissensdatenbanken wie Wikipedia oder die Diagnose seltener Krankheiten auch der Verkehr und die gesamte Mobilität. Ohne den derzeitigen Stand der Digitalisierung wären Flugtaxis auch heute noch Utopie. Sind sie aber nicht. Denn ohne die technologisch-getriebene Dynamik der Digitalisierung wäre es heute noch nicht möglich, Fahrzeuge aus gängigen Materialien mit Elektromotoren stabil in die Luft zu bringen. Wieder einmal spielen die immer leistungsfähigeren Computerchips eine wichtige Rolle – sowohl im Fahr-/Flugzeug selbst als auch in der Organisation der einzelnen Vehikel sowie bei der Materialforschung. Vielleicht verlassen wir doch bald #neuland und brechen auf in die digitalisierte Ära.

3. Innovationslogik der digitalen Ära

Jules Verne hat nicht als erster sinngemäß gesagt: „Alles, was sich ein Mensch vorstellen kann, wird eines Tages Realität sein.“ Von allein geschieht das jedoch nicht. Kapitalismuskritik hin oder her, das bestehende globale Wirtschaftssystem hat die historische Grundlage dafür gelegt, ideenreiche Menschen mit aussichtsreichen Geschäftsmodellen mit Kapital auszustatten und die Welt zu verändern. Investitionen entscheiden über die Realisierung visionärer Ideen – was trivial klingt, ist in Deutschland noch nicht vollends angekommen. Und das, obwohl viele fähige Innovatoren wie Peter Thiel oder Dirk Ahlborn aus Deutschland in anderen Teilen der Welt ihre Ideen Realität werden lassen. Unser System ist bewusst kontra-innovativ ausgelegt – bzw. kontra-disruptiv, denn inkrementelle Innovation beherrschen wir hier sehr gut.

Doch zu wenige Risikoinvestoren wagen die Bezuschussung riskanter Ideen, im Fall einer Förderung sichern die Summen selten mehr als das erste Jahr. In diesem ersten, so wichtigen Jahr bildet sich in den jungen Startups die Unternehmenskultur heraus … und zack – schon ist die traditionelle deutsche Mentalität des Sparens und Wartens eingepflanzt. Dabei sitzen deutsche Unternehmen und Konzerne auf kumulierten Rücklagen in Billionenhöhe, die nur darauf warten, die Welt zu verändern! Aber „man“ wartet lieber gemächlich ab, optimiert über Jahrzehnte bestehende Prozesse und beschwert sich, dass Bahn und Flug zu spät sind. Anstatt grundlegend andere Lösungen zu suchen! Irgendwie mutet diese Kausalkette schizophren an … und sie führt am Ende in einen Teufelskreis.

Wer A sagt, muss auch B sagen

Liebe Dorothee Bär, wenn Sie es wirklich ernst meinen mit Ihrer Digitalvision, brechen Sie eine Lanze für all die motivierten Gründerinnen und Gründer. Bringen Sie die private Förderlandschaft dazu, mehr Risiko zu wagen und höhere Summen in potenzialträchtige Startups zu investieren. Sonst jammern in zehn Jahren alle, dass die deutschen Mobilitätsunternehmen von China, Silicon Valley und Qatar entmachtet wurden. Rückblickend wird man dann die schmerzhafte Diagnose stellen können, dass wir selbst Schuld daran waren. Dann haben wir endlich wieder einen Grund zum Jammern. Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitstreiter*innen viel Erfolg dabei.

Also bitte ich Sie, liebe Öffentlichkeit, liebe Zweifelnde und Fortschrittsgegner, um einen Gefallen: denken Sie gelegentlich in Chancen anstatt in Unmöglichkeiten, denken Sie mal „ja, und!“ anstatt „ja, aber“, stehen Sie aber bitte wenigstens nicht denjenigen im Weg, die ihre Visionen in die Tat umsetzen.


Warum das Bürgerticket bald kommt…

Da sich die Grünen Berlin mittlerweile sehr intensiv mit dem Thema „Bürgerticket“ beschäftigen und dies auch öffentlich kundtun, gab es eine forsa-Umfrage, die vom stern beauftragt wurde. Demnach „befürworten 48 Prozent der Bundesbürger diesen Vorschlag, wenn die Abgabe deutlich billiger wäre als eine Zeitkarte. Etwa genauso viele, nämlich 47 Prozent, lehnen ihn ab.“ (Pressemitteilung zum kostenlosen ÖPNV Gruner+Jahr, Stern). Das sind deutlich mehr Befürworter als ich erwartet hätte. Die oft nicht besonders durchdachten Vorbehalte gegen eine Pauschalgebühr hatten in der medialen Berichterstattung bislang immer Oberhand. Das liegt möglicherweise daran, dass oft sehr selektiv Stimmen zu Wort kommen.

Kostenloser ÖPNV / Bürgerticket in Berlin

Das Konzept vom Bürgerticket der Grünen Berlin sieht vor, dass alle Berliner eine monatliche Mobilitätsgebühr in Höhe von 15 Euro zahlen und dann „kostenlos“ den ÖPNV nutzen können. Ausgenommen davon sind natürlich Kinder, Senioren und sozial Schwache. Um den Verkehr zu Spitzenlastzeiten in den Morgen- und Abendstunden zu regulieren, müssen auch BerlinerInnen in dieser Zeit (stark vergünstigte) Fahrscheine lösen.

So weit klingt das ja ganz gut. Die Schwachstelle kommt noch erst: Touristen bzw. Pendler von außerhalb müssen trotzdem ein Ticket ziehen. Dadurch wird aber der enorme Einspareffekt durch die Abschaffung des Vertriebssystems (Ticketautomaten und deren Wartung, Tickets, Ticketkontrolleure…), was immerhin bei Verkehrsunternehmen bis zu 10% des Umsatzes ausmacht, ignoriert.

Schritt zurück: Vorteile durch mehr ÖPNV

Die ganzen positiven Effekte einer signifikanten Stärkung des ÖPNV bzw. Verlagerung des Individualverkehrs auf den ÖPNV gäbe es vermutlich trotzdem. Diese habe ich (und viele andere) anderswo schon umfassend beschrieben, trotzdem hier noch mal eine kurze Liste:

  • weniger Autos auf den Straßen
  • weniger Stau
  • weniger Schadstoffemissionen
  • weniger Lärm
  • weniger Unfälle (Auto vs. Auto, Auto vs. Radfahrer und Fußgänger)
  • weniger Flächenverbrauch durch Verkehr
  • insgesamt eine positivere Bilanz des Verkehrssektors

…viele weitere Folgeeffekte, wie bspw. verbesserte Pünktlichkeit aller Verkehrsteilnehmer = höhere Produktivität insgesamt; höhere Lebensqualität in Städten; weniger Lärm- und Schadstoff-induzierte Erkrankungen = geringere Kosten für das solidarische Gesundheitssystem; geringere Gesamtkosten des Verkehrssystems, da solidarisch verteilt – nicht zu vergessen die externalisierten Kosten…
Um es auf den Punkt zu bringen: Von dieser Entwicklung hätten alle etwas, also auch Radfahrer und Autofahrer. Kommentare wie „Alle zahlen meine Miete, egal ob sie da wohnen oder nicht.“ (Quelle: Facebook-Seite der Berliner Morgenpost) sind da einfach nicht zielführend.


Internationales Verkehrswesen: Kostenloser ÖPNV

Das Thema meiner Masterarbeit, die ich 2013 für die Deutsche Bahn geschrieben habe, ist nach wie vor aktuell: Für das Heft 3/2014 der Zeitschrift „Internationales Verkehrswesen“ (IV) durfte ich einen Beitrag über mein Herzensthema „Kostenloser ÖPNV“ beisteuern. An dieser Stelle noch mal ein herzliches Dankeschön an die ehemaligen Kollegen der DB für die Unterstützung und Förderung.

Hier gibt’s den ganzen Artikel (mit freundlicher Genehmigung des IV): „Kostenloser ÖPNV: Utopie oder plausible Zukunft?“

Kostenloser ÖPNV = Utopie?!

Mein IV-Beitrag befasst sich in erster Linie mit der Finanzierung und den damit verbundenen Problemen. Im Ergebnis komme ich zu der Einschätzung, dass die meisten Projekte, die im Zusammenhang mit dem kostenlosen ÖPNV realisiert wurden, ungenügend durchdacht waren. Deshalb kann man kostenlosen ÖPNV auch als Utopie betrachten; denn ohne Gesamtkonzept ist jedes Modell zum Scheitern verurteilt.

In den meisten Fällen einer Umsetzung wurden – vor allem aufgrund rechtlicher Restriktionen – schlicht Steuergelder bzw. Haushaltsmittel umgewidmet. Das ging in der Regel eine Weile gut; im belgischen Hasselt, der Pionierstadt des kostenlosen ÖPNV, sogar recht lange (1997-2013). Allerdings gibt es mehrere Faktoren, die gegen eine solche Finanzierung sprechen, der entscheidende ist die Starrheit der Mittel. Das Ende vom Lied: die Städte können die Verkehrsunternehmen nicht mehr unverschuldet bezahlen, das System wird wieder umgestellt und die Verkehrsmittelnutzung schlägt wieder um.

Letztlich darf nicht vergessen werden, dass das kostenlose Angebot von Mobilität höchstwahrscheinlich viel mehr oder weniger unnötigen Verkehr induziert. In allen Städten, die mit Nulltarif-Modellen experimentiert haben, war dies der Fall – sollte aber unbedingt vermieden werden. Dazu müssen intelligente Maßnahmen zeitgleich realisiert werden, die den Fußgänger/innen und Radfahrer/innen angemessene Vorteile bieten, wenn diese weiterhin unmotorisiert unterwegs sind.

Kostenloser ÖPNV = plausible Zukunft!

Allerdings gibt es Modelle, in denen der kostenlose ÖPNV als plausible Zukunft angesehen werden kann. Es ist alles eine Frage des adäquaten Maßnahmen-Mixes aus push-and-pull-Maßnahmen; damit meine ich, dass einerseits viel Geld in den Ausbau der Infrastruktur fließen müsste, um das erwartbare hohe Verkehrsaufkommen schultern zu können. Andererseits gehört zu einem ausgewogenen Konzept aber auch die Maßregelung des mobilisierten Individualverkehrs (MIV).

Eine allgemein verpflichtende Mobilitätsabgabe, wie sie bereits für viele Städte auf dem Papier durchdacht wurde, kann eine Lösung sein. Das Prinzip ist einfach: Alle Bürgerinnen und Bürger zahlen eine ÖPNV-Abgabe analog der Rundfunkgebühr, wovon der Betrieb und Investitionen für den ÖPNV bezahlt werden. Flankiert wird diese Gebühr von steigenden Pkw-Steuereinnahmen und Parkraumgebühren.

In einigen deutschen Städten laufen aktuell Machbarkeitsforschungen, unter anderem befasst sich die Potsdamer Stadtverwaltung auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung mit dem kostenlosen ÖPNV. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis.


Die Zukunft der Unternehmen

In einem anderthalbjährigen Forschungsprojekt habe ich mich in einem kleinen Team mit der Zukunft der Berliner Unternehmen auseinandergesetzt.

Das Projekt war angegliedert an das zweijährige Forschungsvorhaben des Instituts für Entrepreneurship, Mittelstand und Familienunternehmen (EMF) der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin: Innovative Lern- und Kommunikationskonzepte zur Unternehmensnachfolge in Berlin. Eines der Produkte dieses Projekts ist die Website www.nachfolge-in-deutschland.de – dort wird auch der Abschlussbericht kostenlos als pdf veröffentlicht werden, er ist aber auch käuflich erwerbbar. Und ein richtiges Buch ist ja auch viel schöner als ein digitales…

Zukunftsstudie

Unsere Zukunftsstudie befasste sich weniger mit der Kommunikation als mit der Zukunft der Unternehmensnachfolge. Dazu haben wir in einem mehrstufigen Verfahren aus Expertendelphi, Workshops, quantitativer Befragung und schließlich einem Szenarioprozess die Zukunft Berlins beleuchtet.

Ein Ergebnis lautet: die Unternehmenslandschaft unterliegt teils enormen Veränderungsprozessen. Insbesondere der Bereich der Unternehmensnachfolge wird stark vom Wertewandel beeinflusst. Heute ist es alles andere als vorherbestimmt, dass die Kinder von Unternehmern später einmal die Firma übernehmen. Deshalb werden familienexterne Übernahmen in Zukunft weiter zunehmen.

Der demographische Wandel wirkt sich in Berlin anders aus als im Rest Deutschlands. Berlin bleibt auch in Zukunft die Metropole und zieht viele Fachkräfte an. Daher wird der Arbeitsmarkt auch in höher qualifizierten Berufen tendenziell angespannt bleiben.

Wenn Sie Ihre persönliche Kopie des 184-seitigen Berichts erhalten oder in Form eines Vortrags oder Beitrags tiefer eintauchen möchten, schreiben Sie mir einfach eine Mail.

Edition EMF – Band 6
Unternehmensnachfolge in Berlin 2030. Wertewandel und der Einfluss gesellschaftlicher Entwicklungen auf Unternehmensnachfolgen im Jahr 2030 – Ist das klassische Familienunternehmen ein Auslaufmodell?

Projektleitung:
Prof. Dr. Birgit Felden

Zukunftsforscher:
Kai Gondlach, M.A.
Mira Schirrmeister, M.A.
Mischa Stähli, M.A.

Wissenschaftliche Mitarbeit:
Michael Graffius, M.A.
Laura Marwede, M.A.

ISBN 978-3-940989-15-4, 19,90 EUR

Keynote über die Zukunft der Unternehmen anfragen

Selbstverständlich gehört das Thema der "Zukunft der Unternehmen" (inklusive Nachfolge) auch zu meinem Repertoire als Keynote Speaker. Wenn Sie Interesse an einem Vortrag oder auch Beitrag für Ihr Magazin haben, schreiben Sie gern eine Nachricht über folgendes Formular:


Vortrag: Kostenloser ÖPNV im Abgeordnetenhaus Berlin

Heute, am 12. Februar 2014, bin ich bei einer Podiumsdiskussion als Zukunftsforscher eingeladen. Sie wird von den Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Grünen Berlin veranstaltet. Das Thema lautet:

Kostenloser ÖPNV – Vision oder Utopie?

Die Referenten sind Dr. Matthias Stoffregen (Bereichsleiter Tarif und Marketing beim VBB), Matthias Oomen (ProBahn e.V.), Stefan Kohte (VCD Berlin) und eben ich, Kai Gondlach (Zukunftsforscher).

Los geht’s um 19:00 Uhr. Mehr Infos zur Veranstaltung:

gruene-berlin.de/termine/kostenloser-öpnv-vision-oder-utopie

Update: Nach der Veranstaltung

Nach den Eingangsstatements der Redner fasste der Sprecher der LAG Martin Kasztantowicz das Gesagte kurz zusammen und läutete die Diskussion ein. Es wurden viele Pro- und Kontra-Argumente diskutiert und – wie zu erwarten war – kam man an dem Abend noch zu keinem Ergebnis. Die Komplexität des Themas ist allen Beteiligten klar geworden, so gestand eine zuvor sehr kritische Teilnehmerin, dass sie mittlerweile sehr „entzückt“ von der Idee sei. Als bedenklich nahm ich die Tendenz wahr, dass einige Beteiligte eine Zahlenjonglage begannen; da unter diesen kein Verkehrsplaner war, der die Komplexität des Systems abbilden könnte, war dies m.E. nicht sehr konstruktiv, da 1.) von fixen Summen ausgegangen wurde, obwohl diese sich am Tag X mit Sicherheit anders darstellen würden (als Beispiel sei hier nur der Umsatz der Verkehrsunternehmen genannt, die ja im fahrscheinlosen ÖPNV komplett auf das Fahrgeldmanagement verzichten und damit ca. 10% einsparen könnten); 2.) neigt der Mensch dazu, sich von Zahlen leiten zu lassen und glaubt diesen eher als „weichen“ Argumenten. Auch wenn die Zahlen falsch sind, können sie im Moment der Diskussion in der Regel nicht überprüft werden, und dienen so als wackelige Diskussionsgrundlage.

Es ist denke ich allen Beteiligten klar geworden, dass der Nulltarif / Kostenlose ÖPNV kein Thema ist, welches man kurzerhand als unrealistisch oder unplausibel unter den Teppich kehren kann. Unter der Voraussetzung einer Beitragsfinanzierung (Nahverkehrsabgabe) scheint grundsätzlich eine plausible Lösungsbasis gegeben zu sein. Besonders die politischen Akteure müssen sich gewahr sein, welche Ziele sie mit dem Nulltarif verfolgen; sind dies umwelt-, sozial- und/oder verkehrspolitische Ziele?

Wenn man nur einen Hammer hat, der sieht in jedem Problem einen Nagel. Man muss aufpassen, dass der Kostenlose ÖPNV nicht zum Hammer wird und die politischen Ziele verwischen.

Im nächsten Schritt ist es deshalb an der Zeit, eine umfassende Studie zum Thema zu erstellen, die folgende Fragen klärt:

  • Ist der Kostenlose ÖPNV in Berlin möglich (Insellösung) oder müsste ein größeres System eingebunden werden (VBB)?
  • Welche Folgen-Szenarien sind denkbar? (Auswirkungen auf Umwelt, Stadtbild,…)
  • Welche zusätzlichen push-and-pull-Maßnahmen wären notwendig, um a) eine solide Finanzierungsbasis zu erhalten und b) Anreize zum Umstieg von MIV auf ÖV zu erreichen?
  • Was halten die Bürgerinnen und Bürger von einer Nahverkehrsabgabe?
  • Wie würden sich die mobilen Personen infolge der Umstellung verhalten? Was bedeutet das für die Auslastung? Wie kann darauf im bestehenden Netz reagiert werden bzw. welche Investitionen in Fahrzeuge und Infrastruktur wären ggf. nötig?
  • Welches sind die rechtlichen Rahmenbedingungen? Inwiefern muss geltendes Recht ggf. angepasst werden?

Nachhaltigkeit und Klimawandel

In meinem Studium habe ich mich sehr stark mit den Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel beschäftigt. Da bin ich natürlich auch nicht um den wohl bekanntesten Forschungsbericht herum gekommen, der je im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Zukunftsforschung geschrieben wurde: „Die Grenzen des Wachstums“ (1972) von Donella und Dennis Meadows und weiteren Autoren. Initiiert wurde die Studie vom Club of Rome, einem losen Zusammenschluss gebildeter Menschen, die sich schon früh Gedanken über die Endlichkeit von Ressourcen und die Auswirkungen menschlichen Handelns gemacht haben.

Es ist erstaunlich, dass heute – über 40 Jahre später – noch immer nicht jeder etwas mit dem Konzept Nachhaltigkeit anfangen kann. Dass Firmen sich damit rühmen, Corporate Social Responsibility zu betreiben – und damit Geld machen, während sie an anderer Stelle Flüsse verseuchen. Dass die Bundesregierung letztes Jahr erstmals einen CSR-Preis vergeben hat. Und dass ungeachtet der sicherlich vorhandenen Bemühungen vieler einzelner Akteure immer noch kein globaler Konsens darüber herrscht, dass (statt, viel wichtiger, wie) man dem Klimawandel begegnen sollte.

Gelähmte Vertreter

Die regelmäßig ernüchternd ausfallenden Klimakonferenzen verdeutlichen dies recht anschaulich. Fast 200 Nationen entsenden Vertreter, um Worte darüber auszutauschen, für wie wichtig sie sich selbst halten und welche persönlichen Erfahrungen sie mit dem Klimawandel haben. Oder auch nicht. In der Regel kommt dabei folgendes heraus: Entwicklungs- und Schwellenländer berichten von steigenden Temperaturen, Dürre und schließlich Nahrungsmangel. Teilweise steigt der Meeresspiegel und bedroht Küstengebiete (Mauritius wird bald verschwunden sein, Norddeutschland folgt etwas später). Man nimmt – sicher verstärkt durch die immer schnellere und multimediale Berichterstattung – mehr und heftigere Naturkatastrophen wahr, bemerkt eine Veränderung der Flora und Fauna. Konflikte in sogenannten Krisengebieten, deren Ursachen nicht selten die gerade geschilderten Auswirkungen des Klimawandels ersten oder zweiten Grades sind, führen zu immer dichteren Flüchtlingsströmen. Darüber thronen die „Erste Welt“-Staaten und leugnen den Klimawandel oder diskutieren über den Sinngehalt Erneuerbarer Energien und die damit verbundenen, nötigen und viel zu spät ergriffenen Maßnahmen. Diese vereinfachte Kausalkette könnte man noch sehr viel weiter spinnen, doch der Clou ist: Obwohl bekannt ist, dass vor allem Treibhausgase den Klimawandel beschleunigen, ist kaum eine Regierung Willens, konkrete und vor allem umfassende Handlungen daraus abzuleiten.

Deshalb stellt Jørgen Randers, der an der Studie mit den Meadows zusammengearbeitet hat, ganze Systeme infrage. Ist das kapitalistische System von sich aus in der Lage, adäquat auf den Klimawandel zu reagieren? Natürlich nicht. Kapitel wandert immer dorthin, wo es am lukrativsten ist. Ist das demokratische System (mit der auf kurzfristige Entscheidungen und Machtgewinn & /-erhalt fokussierte Grundlogik – ich beziehe mich hier auf Luhmann) in der Lage, etwas dagegen zu tun? Die Funktionsweise des Systems Politik lässt nun mal keine unpopulären Entscheidungen zu, wie zum Beispiel die strikte Sanktionierung unökologischen Verhaltens sowie auf der anderen Seite die Förderung nachweisbar nachhaltigen Handelns. Denn die Folgen davon wären, so wird befürchtet, Kürzungen auf einer anderen Seite oder Preissteigerungen für Endverbraucher, was kurzfristig unbeliebt wäre und damit zu einem Verlust der Wählergunst führen würde.

Keine Verbesserung in Sicht

Konstruktiv wäre es, an diesem Punkt des Diskurses einen Vorschlag für eine Optimierung des Systems zu unterbreiten. Ein entscheidender Punkt dabei wäre der Einbezug wissenschaftlich fundierter Fakten statt populär-politischer Meinungen, die nur einem Zweck dienen: der Maximierung individuellen Wohlstands.

Als ich 27 Jahre alt war und an den Grenzen des Wachstums arbeitete, hatte ich eine andere Vorstellung von der Welt. Es gibt zwei grundsätzliche Herangehensweisen an Politik. Wissenschaftler sammeln Daten und rufen dann aus: „Um Himmels Willen, der Meeresspiegel steigt, Orkane werden stärker, die Muster von Wind und Niederschlägen verkomplizieren sich, ein Klimawandel findet statt! Also müssen wir unsere Treibhausgase senken!“

Die andere Haltung ist: „Ich glaube nicht an den Klimawandel, denn zurzeit breiten sich sogar die Gletscher aus.“

Dann kommen die Wissenschaftler, fertigen Studien an und sagen: „Nein, die Gletscher schrumpfen weltweit“, worauf dann die Klimaskeptiker antworten: „Egal, Gletscher kümmern mich nicht sonderlich. Ich glaube nicht an den Klimawandel und ich muss auch nichts unternehmen, denn den Eisbären geht es zurzeit besser als jemals zuvor.“

Dann verrichten die Wissenschaftler wieder ihre Arbeit und sagen: „Nein, die Eisbären sind in füchterlichen Schwierigkeiten! Sie ertrinken! Sie finden keine Nahrung mehr, das Eis um sie herum verschwindet“, worauf die Klimaskeptiker antworten: „Wissen Sie was? Eisbären sind mir eigentlich relativ egal. Ich glaube nicht an den Klimawandel, denn in Washington D.C. hat es letzten Winter viel geschneit.

Dennis Meadows, Autor von „Die Grenzen des Wachstums“

Dieses Zitat zeigt eindrucksvoll, wie (Lobby-)Politik heute abläuft. Die Interessen der Wähler sollen gewahrt werden, so ist beispielsweise die republikanische Seite (ich vermeide hier den Begriff „Partei“) in den Vereinigten Staaten von Amerika seit der Veröffentlichung des Berichts der größte Meinungsmotor gegen die wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse. Daran konnte bislang nicht einmal das IPCC* etwas ändern. Das Leugnen geht fröhlich weiter, damit Weltkonzerne weiterhin ungestraft den Boden, das Meer und die Menschen ausbeuten können. Nächste Stufe: Gen-Mais und multiresistente Schädlinge.

Als Optimist glaube ich, dass das nötige Umdenken möglich ist. Nur ist es leider längst zu spät für eine Kehrtwende, die Zeit drängt.

Anmerkungen

* Das Intergovernmental Panel on Climate Change trägt regelmäßig wissenschaftliche Erkenntnisse weltweiter Untersuchungen zusammen und formuliert auf deren Basis Jahresberichte. Auch die Aussagen des Panels decken sich seit über 20 Jahren mit denen des Club of Rome.

Linktipp:
+ „Letzte Warnung“, Arte-Doku, ausgestrahlt am 28. Januar 2013, auf Youtube