Vortrag: Kostenloser ÖPNV im Abgeordnetenhaus Berlin

Heute, am 12. Februar 2014, bin ich bei einer Podiumsdiskussion als Zukunftsforscher eingeladen. Sie wird von den Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Grünen Berlin veranstaltet. Das Thema lautet:

Kostenloser ÖPNV – Vision oder Utopie?

Die Referenten sind Dr. Matthias Stoffregen (Bereichsleiter Tarif und Marketing beim VBB), Matthias Oomen (ProBahn e.V.), Stefan Kohte (VCD Berlin) und eben ich, Kai Gondlach (Zukunftsforscher).

Los geht’s um 19:00 Uhr. Mehr Infos zur Veranstaltung:

gruene-berlin.de/termine/kostenloser-öpnv-vision-oder-utopie

Update: Nach der Veranstaltung

Nach den Eingangsstatements der Redner fasste der Sprecher der LAG Martin Kasztantowicz das Gesagte kurz zusammen und läutete die Diskussion ein. Es wurden viele Pro- und Kontra-Argumente diskutiert und – wie zu erwarten war – kam man an dem Abend noch zu keinem Ergebnis. Die Komplexität des Themas ist allen Beteiligten klar geworden, so gestand eine zuvor sehr kritische Teilnehmerin, dass sie mittlerweile sehr „entzückt“ von der Idee sei. Als bedenklich nahm ich die Tendenz wahr, dass einige Beteiligte eine Zahlenjonglage begannen; da unter diesen kein Verkehrsplaner war, der die Komplexität des Systems abbilden könnte, war dies m.E. nicht sehr konstruktiv, da 1.) von fixen Summen ausgegangen wurde, obwohl diese sich am Tag X mit Sicherheit anders darstellen würden (als Beispiel sei hier nur der Umsatz der Verkehrsunternehmen genannt, die ja im fahrscheinlosen ÖPNV komplett auf das Fahrgeldmanagement verzichten und damit ca. 10% einsparen könnten); 2.) neigt der Mensch dazu, sich von Zahlen leiten zu lassen und glaubt diesen eher als „weichen“ Argumenten. Auch wenn die Zahlen falsch sind, können sie im Moment der Diskussion in der Regel nicht überprüft werden, und dienen so als wackelige Diskussionsgrundlage.

Es ist denke ich allen Beteiligten klar geworden, dass der Nulltarif / Kostenlose ÖPNV kein Thema ist, welches man kurzerhand als unrealistisch oder unplausibel unter den Teppich kehren kann. Unter der Voraussetzung einer Beitragsfinanzierung (Nahverkehrsabgabe) scheint grundsätzlich eine plausible Lösungsbasis gegeben zu sein. Besonders die politischen Akteure müssen sich gewahr sein, welche Ziele sie mit dem Nulltarif verfolgen; sind dies umwelt-, sozial- und/oder verkehrspolitische Ziele?

Wenn man nur einen Hammer hat, der sieht in jedem Problem einen Nagel. Man muss aufpassen, dass der Kostenlose ÖPNV nicht zum Hammer wird und die politischen Ziele verwischen.

Im nächsten Schritt ist es deshalb an der Zeit, eine umfassende Studie zum Thema zu erstellen, die folgende Fragen klärt:

  • Ist der Kostenlose ÖPNV in Berlin möglich (Insellösung) oder müsste ein größeres System eingebunden werden (VBB)?
  • Welche Folgen-Szenarien sind denkbar? (Auswirkungen auf Umwelt, Stadtbild,…)
  • Welche zusätzlichen push-and-pull-Maßnahmen wären notwendig, um a) eine solide Finanzierungsbasis zu erhalten und b) Anreize zum Umstieg von MIV auf ÖV zu erreichen?
  • Was halten die Bürgerinnen und Bürger von einer Nahverkehrsabgabe?
  • Wie würden sich die mobilen Personen infolge der Umstellung verhalten? Was bedeutet das für die Auslastung? Wie kann darauf im bestehenden Netz reagiert werden bzw. welche Investitionen in Fahrzeuge und Infrastruktur wären ggf. nötig?
  • Welches sind die rechtlichen Rahmenbedingungen? Inwiefern muss geltendes Recht ggf. angepasst werden?

Nachhaltigkeit und Klimawandel

In meinem Studium habe ich mich sehr stark mit den Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel beschäftigt. Da bin ich natürlich auch nicht um den wohl bekanntesten Forschungsbericht herum gekommen, der je im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Zukunftsforschung geschrieben wurde: „Die Grenzen des Wachstums“ (1972) von Donella und Dennis Meadows und weiteren Autoren. Initiiert wurde die Studie vom Club of Rome, einem losen Zusammenschluss gebildeter Menschen, die sich schon früh Gedanken über die Endlichkeit von Ressourcen und die Auswirkungen menschlichen Handelns gemacht haben.

Es ist erstaunlich, dass heute – über 40 Jahre später – noch immer nicht jeder etwas mit dem Konzept Nachhaltigkeit anfangen kann. Dass Firmen sich damit rühmen, Corporate Social Responsibility zu betreiben – und damit Geld machen, während sie an anderer Stelle Flüsse verseuchen. Dass die Bundesregierung letztes Jahr erstmals einen CSR-Preis vergeben hat. Und dass ungeachtet der sicherlich vorhandenen Bemühungen vieler einzelner Akteure immer noch kein globaler Konsens darüber herrscht, dass (statt, viel wichtiger, wie) man dem Klimawandel begegnen sollte.

Gelähmte Vertreter

Die regelmäßig ernüchternd ausfallenden Klimakonferenzen verdeutlichen dies recht anschaulich. Fast 200 Nationen entsenden Vertreter, um Worte darüber auszutauschen, für wie wichtig sie sich selbst halten und welche persönlichen Erfahrungen sie mit dem Klimawandel haben. Oder auch nicht. In der Regel kommt dabei folgendes heraus: Entwicklungs- und Schwellenländer berichten von steigenden Temperaturen, Dürre und schließlich Nahrungsmangel. Teilweise steigt der Meeresspiegel und bedroht Küstengebiete (Mauritius wird bald verschwunden sein, Norddeutschland folgt etwas später). Man nimmt – sicher verstärkt durch die immer schnellere und multimediale Berichterstattung – mehr und heftigere Naturkatastrophen wahr, bemerkt eine Veränderung der Flora und Fauna. Konflikte in sogenannten Krisengebieten, deren Ursachen nicht selten die gerade geschilderten Auswirkungen des Klimawandels ersten oder zweiten Grades sind, führen zu immer dichteren Flüchtlingsströmen. Darüber thronen die „Erste Welt“-Staaten und leugnen den Klimawandel oder diskutieren über den Sinngehalt Erneuerbarer Energien und die damit verbundenen, nötigen und viel zu spät ergriffenen Maßnahmen. Diese vereinfachte Kausalkette könnte man noch sehr viel weiter spinnen, doch der Clou ist: Obwohl bekannt ist, dass vor allem Treibhausgase den Klimawandel beschleunigen, ist kaum eine Regierung Willens, konkrete und vor allem umfassende Handlungen daraus abzuleiten.

Deshalb stellt Jørgen Randers, der an der Studie mit den Meadows zusammengearbeitet hat, ganze Systeme infrage. Ist das kapitalistische System von sich aus in der Lage, adäquat auf den Klimawandel zu reagieren? Natürlich nicht. Kapitel wandert immer dorthin, wo es am lukrativsten ist. Ist das demokratische System (mit der auf kurzfristige Entscheidungen und Machtgewinn & /-erhalt fokussierte Grundlogik – ich beziehe mich hier auf Luhmann) in der Lage, etwas dagegen zu tun? Die Funktionsweise des Systems Politik lässt nun mal keine unpopulären Entscheidungen zu, wie zum Beispiel die strikte Sanktionierung unökologischen Verhaltens sowie auf der anderen Seite die Förderung nachweisbar nachhaltigen Handelns. Denn die Folgen davon wären, so wird befürchtet, Kürzungen auf einer anderen Seite oder Preissteigerungen für Endverbraucher, was kurzfristig unbeliebt wäre und damit zu einem Verlust der Wählergunst führen würde.

Keine Verbesserung in Sicht

Konstruktiv wäre es, an diesem Punkt des Diskurses einen Vorschlag für eine Optimierung des Systems zu unterbreiten. Ein entscheidender Punkt dabei wäre der Einbezug wissenschaftlich fundierter Fakten statt populär-politischer Meinungen, die nur einem Zweck dienen: der Maximierung individuellen Wohlstands.

Als ich 27 Jahre alt war und an den Grenzen des Wachstums arbeitete, hatte ich eine andere Vorstellung von der Welt. Es gibt zwei grundsätzliche Herangehensweisen an Politik. Wissenschaftler sammeln Daten und rufen dann aus: „Um Himmels Willen, der Meeresspiegel steigt, Orkane werden stärker, die Muster von Wind und Niederschlägen verkomplizieren sich, ein Klimawandel findet statt! Also müssen wir unsere Treibhausgase senken!“

Die andere Haltung ist: „Ich glaube nicht an den Klimawandel, denn zurzeit breiten sich sogar die Gletscher aus.“

Dann kommen die Wissenschaftler, fertigen Studien an und sagen: „Nein, die Gletscher schrumpfen weltweit“, worauf dann die Klimaskeptiker antworten: „Egal, Gletscher kümmern mich nicht sonderlich. Ich glaube nicht an den Klimawandel und ich muss auch nichts unternehmen, denn den Eisbären geht es zurzeit besser als jemals zuvor.“

Dann verrichten die Wissenschaftler wieder ihre Arbeit und sagen: „Nein, die Eisbären sind in füchterlichen Schwierigkeiten! Sie ertrinken! Sie finden keine Nahrung mehr, das Eis um sie herum verschwindet“, worauf die Klimaskeptiker antworten: „Wissen Sie was? Eisbären sind mir eigentlich relativ egal. Ich glaube nicht an den Klimawandel, denn in Washington D.C. hat es letzten Winter viel geschneit.

Dennis Meadows, Autor von „Die Grenzen des Wachstums“

Dieses Zitat zeigt eindrucksvoll, wie (Lobby-)Politik heute abläuft. Die Interessen der Wähler sollen gewahrt werden, so ist beispielsweise die republikanische Seite (ich vermeide hier den Begriff „Partei“) in den Vereinigten Staaten von Amerika seit der Veröffentlichung des Berichts der größte Meinungsmotor gegen die wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse. Daran konnte bislang nicht einmal das IPCC* etwas ändern. Das Leugnen geht fröhlich weiter, damit Weltkonzerne weiterhin ungestraft den Boden, das Meer und die Menschen ausbeuten können. Nächste Stufe: Gen-Mais und multiresistente Schädlinge.

Als Optimist glaube ich, dass das nötige Umdenken möglich ist. Nur ist es leider längst zu spät für eine Kehrtwende, die Zeit drängt.

Anmerkungen

* Das Intergovernmental Panel on Climate Change trägt regelmäßig wissenschaftliche Erkenntnisse weltweiter Untersuchungen zusammen und formuliert auf deren Basis Jahresberichte. Auch die Aussagen des Panels decken sich seit über 20 Jahren mit denen des Club of Rome.

Linktipp:
+ „Letzte Warnung“, Arte-Doku, ausgestrahlt am 28. Januar 2013, auf Youtube