Zukunftsforscher-FAQ (Teil 2)

Der erste Teil meiner Zukunftsforscher-FAQ kam so gut an, dass mich diverse weitere Fragen erreichten. Hier kommt er also, der zweite Teil der häufigsten Fragen an mich als Zukunftsforscher! Vielen Dank an alle Fragestellenden - wer weitere Fragen hat, sende diese bitte über das Kontaktformular.

Du wirkst meist sehr zuversichtlich. Bist du Optimist oder Pessimist?

Die Frage ist tiefgründiger, als sie zunächst scheint. Ich bin von Natur aus mit einem deutlich optimistischen Blick auf die Dinge gesegnet, oder eher entsprechend sozialisiert. Meine Familie hatte sehr viel Glück, auch wenn sie es nie zu viel Reichtum oder Popularität geschafft hat. Meine Mutter sagte immer: "Wir haben zwar kein Geld, aber Glück - und das ist besser als umgekehrt." Nun gab es in meinem Leben auch mehrere große Unglücke, sodass das Glück wohl nicht immer auf meiner Seite steht, aber vielleicht habe ich das Schicksal auch zu sehr herausgefordert mit meiner unternehmerischen Tätigkeit und das Erfolgs-Glücks-Gleichgewicht gestört. Zudem befasse ich mich täglich sowohl mit den goldenen als auch den Schattenseiten möglicher Zukünfte, denke sowohl über plausible Visionen für eine regenerative Zukunft als auch Krisenszenarien nach.
Dennoch trete ich nach außen immer mit einem zuversichtlichen Blick. Warum? Ganz einfach: Jede Aussage über Zukünfte, die man vor einem nennenswerten Publikum vertritt, hat die Kraft, einen eigenen Sog in die Zukunft zu entfalten (das nennt sich Propensität). Da möchte ich lieber positive Gestaltungsräume aufzeigen als die ewigen Mühlen der Zukunftsskepsis zu bespielen.

Wie reagieren die Menschen auf "deine" Zukunftsbilder?

Das ist sehr unterschiedlich; auf Veranstaltungen ist das Feedback überwiegend sehr positiv, nicht zuletzt, da ich nicht die eine, unveränderliche Zukunft verkaufe. Davon halte ich im Übrigen auch überhaupt nichts. Stattdessen biete ich immer unterschiedliche Aspekte möglicher Zukünfte an, über die man dann konstruktiv in den Austausch kommen kann. Selten gibt es kompletten Gegenwind, einmal ist sogar ein Mann während einer Keynote aufgestanden und wollte mich belehren, dass meine Ausführungen komplett an der Realität vorbeigingen. Das sah zum Glück nicht nur ich, sondern auch der Rest des Publikums anders und nach einem kurzen Wortwechsel wurde er vom Veranstalter aus dem Raum geführt.
In den "sozialen" Medien ist das schon anders. Ich habe einige politisch angehauchte Videos bei Tiktok, die dort natürlich vom rechten Rand ständig angegriffen werden. Ich darf mir dann anhören, ich sei Propagandist oder schlicht Lügner, oder auch Schlimmeres. Damit kann ich aber umgehen und versuche dennoch stets, die Perspektive der Gegenseite zu verstehen. Unangenehm wird es nur, wenn Drohungen kommen und zusätzlich immer häufiger die Route zu meinem Firmensitz abgerufen wird. Das hält mich trotzdem nicht davon ab, weiter über menschen- und umweltgerechte Zukünfte zu sprechen.

Manche nennen dich Future Punk - warum?

Ich sehe zwar nicht aus wie das, was man sich unter einem Punk vorstellt, aber was ist schon Punk? Die Ärzte haben einen ganzen Song darüber geschrieben, was Punk sein kann ("Punk ist") und ich sehe mich da in der Tradition derjenigen, die Systeme und Mechanismen sehen, obwohl sie teilweise sogar Teil derer sind. Sie sehen sie nicht nur, sondern hinterfragen sämtliche Annahmen. Mein guter Freund und Ex-Chef Jan Berger (inzwischen Geschäftsführer von Themis Foresight) teilt meine Ansicht, dass gute Zukunftsforschung auch darauf beruht, dass man unethisch denken kann. Wie sonst hätte ich entgegen der Massenmeinung ein paar Monate vor dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine zu dem Schluss kommen können, dass dies passiert? Weil ich denken kann wie ein "Zar". Ich kann auch denken wie ein CEO einer Mineralöl- oder Rüstungs-Firma. Ich sage Autozulieferern, dass ihr Geschäftsmodell kaputt und nicht zukunftsfähig ist, rate aber gleichzeitig Immobilienfirmen zum Downsizing und Automatisierung. Das alles hat nicht immer etwas mit meinen privaten Überzeugungen und Taten zu tun; also: Future Punk.

Welche Methoden benutzt die Zukunftsforschung?

Das sind zu viele, um sie hier aufzuschreiben; ebenso könnte man fragen, welche Methoden die Archäologie oder Volkswirtschaftslehre verwenden. Es handelt sich immer um den passenden Mix für die jeweiligen Forschungsfragen und Hypothesen. Häufiger tauchen Delphi-Befragungen auf, das sind Expertenpanels mit mehreren Durchgängen. Man befragt beispielsweise in Interviews oder Online-Fragebögen Expert:innen, aggregiert die Ergebnisse und legt sie demselben oder einem erweiterten Panel wieder vor. Die Methode eignet sich besonders dann, wenn man sehr komplizierte und in eher weiter Zukunft gelagerte Themen ergründen möchte. Die Szenariotechnik ist darüber hinaus in der Zukunftsforschung eine Besonderheit; Zukunftsszenarien der Zukunftsforschung sind, anders als klassische Szenarien, sehr robuste und gut erforschte, plausible Zukunftsbilder. In der Regel versucht man damit, einen Zukunftsraum zu explorieren und Gestaltungsräume zu identifizieren. Das Herzstück jedes Szenarioprozesses sollte die Konsistenzbewertung der vorher gesammelten Grundlagen und Projektionen sein, die in jedem Fall computergestützt berechnet werden soll. Immerhin hat man es in klassischen Prozessen mit vielen Milliarden Kombinationsmöglichkeiten zu tun - und man braucht am Ende ja nur eine Handvoll Szenarien.

Welche Eigenschaften braucht man als Zukunftsforscher:in?

Erstens sind das vermutlich die üblichen, die man braucht, wenn man an der Schnittstelle von Forschung und Praxis arbeitet. Zweitens gehört dazu aber im Wesentlichen auch eine gewisse Offenheit und Neugier gegenüber Zukünften. Drittens bedeutet dies ein tiefgreifendes Verständnis von Komplexität, Emergenz, Kontingenz und Chaos. Viertens muss mir klar sein, dass ich eher Historiker:in als Prognostiker:in bin. Und fünftens hängt das genaue Set an Eigenschaften oder Kompetenzen davon ab, in welchem Einsatzfeld und Umfeld ich mich betätigen möchte. Ich persönlich bin einerseits Analytiker und liebe es, mich in Datenberge zu stürzen und tagelang umfangreiche Tabellen zu interpretieren. Andererseits liebe ich Bühnenauftritte und die Vermittlung von Zukünften. Andere sind stärker in der theoretischen Methodenarbeit oder der Konzeption und Durchführung von Workshops. Einige arbeiten sehr streng in Branchenkontexten oder festangestellt als Foresight-Analyst oder Trendscout; andere sind selbstständig oder in kleinen Beratungsunternehmen unterwegs.

Lieben alle Zukunftsforscher:innen Science Fiction?

Viele, die ich kenne, haben auf jeden Fall ein Faible für die eine oder andere SciFi-Richtung. Ich würde aber nicht so weit gehen zu sagen, dass alle SciFi lieben. Aber die dahinterliegende Annahme ist schon richtig: Science Fiction funktioniert ähnlich wie Zukunftsforschung an manchen Stellen, nur dass bewusst eine deutliche Verstärkung wie mit einem Brennglas auf die Grundannahmen vorgenommen wird. Die Zukunftsforschung hingegen modelliert eher plausible und wenigstens konsistente Zukunftsbilder.

Ist Foresight das gleiche wie Zukunftsforschung?

Nicht ganz. Foresight übersetzt sich ins Deutsche als "strategische Vorausschau", ist also per Definition an einen Organisationskontext gebunden. Zukunftsforschung kommt in vielen Spielarten und versteht sich in der Regel eher als übergreifende, kritisch-rationale Disziplin. Foresight ist gewissermaßen die Übersetzung von Zukunftsforschung in ein Unternehmen oder eine Behörde.

Gibt es historische Beispiele, bei denen Zukunftsforschung Einfluss auf ein Ereignis hatte?

Ja, wobei die Faktenlage recht schwierig ist - das nennt man dann Präventionsparadox. Ein gutes Beispiel ist der Atomwaffensperrvertrag von 1968. Schon vor dem Abwurf der ersten Atomwaffen auf Hiroshima und Nagasaki 1945 gab es Expertenpanels, die die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen des Einsatzes von Kernwaffen antizipiert haben. Einige Organisationen taten sich in den 1950er Jahren, als die Aufrüstung der USA und der Sowjetunion begann, zusammen und schauten immer weiter, welche Auswirkungen dies haben könnte. Und so empfahlen sie (und andere) das Verbot, das ja dann auch beschlossen wurde und bis heute gilt. Ein anderes Beispiel ist die Eindämmung umwelt- und klimaschädlicher Stoffe wie FCKW oder später Asbest, welche sich unter anderen auf die Studie "Die Grenzen des Wachstums" von 1972 zurückführen lassen. Persönlich kann ich aber auch ein schönes Beispiel berichten: 2019 habe ich bei vielen Veranstaltungen darüber gesprochen, dass in den kommenden drei Jahren eine Pandemie sehr wahrscheinlich ist. Ein großes Pharmaunternehmen hat diese Warnprognose ernstgenommen und tatsächlich einige Prozesse in der Forschung und Entwicklung angepasst und sich anschließend bedankt.

Was sind schwarze Schwäne? Sind diese erst zu nehmen oder nur Hirngespinste von Pessimisten?

Schwarze Schwäne sind im Grunde Wildcards, also äußerst unwahrscheinliche, im Falle des Eintretens aber sehr einflussreiche Ereignisse oder Entwicklungstendenzen (Trends). In unserer Zeit kennen wir das alle: Die Corona-Pandemie 2020 war so ein schwarzer Schwan, aber auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 oder die Hamas-Attacke auf Israel 2023. Ehrlicherweise waren das alles keine Phänomene, über die noch nie jemand nachgedacht hat. Doch kaum jemand hat ernsthaft die potenziellen Auswirkungen rechtzeitig antizipiert. Und das ist eins der Kernprobleme in der Umsetzung von Zukunftsforschung in die Praxis. Oft lassen sich zwar die Ereignisse nicht verhindern, aber durch eine kluge, proaktive Anpassung der Prozesse und Strategien kann sich eine Organisation sehr wohl auf Schocks vorbereiten.

Unterliegt die Zukunftsforschung wissenschaftlichen Standards? Ist sie eine richtige Wissenschaft?

Die Zukunftsforschung als fachliche Disziplin hat sehr wohl Gütekriterien und Standards, die mehrfach dokumentiert sind. An den Universitäten wird das auch durchgehend sehr strikt so praktiziert. In der Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung wiederum haben wir aber eher mit Foresight zu tun, wo die wissenschaftlichen Standards zugunsten von zeitlicher und finanzieller Effizienz eher in der zweiten oder dritten Reihe stehen. Ein einfaches Beispiel ist, dass Interviews in der Wissenschaft sehr kleinteilig dokumentiert und analysiert werden. In der Praxis genügt meist die Kernaussage aus einem Gespräch, weshalb man hier den Prozess in der Regel abkürzt.

Arbeitet ihr qualitativ oder quantitativ?

Beides! In Projekten kombiniere ich persönlich sehr gern unterschiedliche methodische Ansätze, die unterschiedliche Perspektiven auf die Untersuchungsgegenstände werfen. Ich würde aber sagen, dass der Großteil der Projekte eher qualitativ bearbeitet werden. Als Auftraggeber muss man allerdings aufpassen, dass auf der anderen Seite keine Scharlatane sitzen, die ihre Zukunftsaussagen aus den Ärmeln schütteln. Ein methodisches Gerüst und auch ein gewisser Grad an Transparenz ist wahnsinnig wichtig. Für mich kommt noch hinzu, dass partizipative Prozesse immer besser sind - das heißt, Auftraggeber arbeiten mit an der Erzeugung von Inhalten, Thesen, etc.

Warum sind alle (oder viele) deiner Beiträge positiver Natur? Eigentlich wird doch alles nur schlimmer?

Alles eine Frage der Perspektive! Mit meiner Arbeit versuche ich ja gerade, meine Adressaten vor die Welle zu bringen. Wer sich strukturierte Gedanken über mögliche Zukünfte macht und sich rechtzeitig mit technologischen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Trends befasst, ist hinterher weniger überrascht oder im besten Fall vorbereitet. Dazu zählen die großen "Megatrends" genauso wie Teilaspekte daraus.

Wie wirst du (wenn du so viel über unsere Zukunft weißt) nicht zum Pessimisten?

Dadurch, dass ich so viele Varianten der Zukunft schon durchgespielt habe, sehe ich keinen Grund, pessimistisch zu sein. Es gibt immer auch mögliche und plausible Zukünfte, die in eine positive Richtung deuten. Ich arbeite daran, die richtigen Akteure immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie sich zwar vor den negativen Zukünften schützen, jedoch gleichzeitig auch die positiven wahrscheinlicher machen. Dazu zählen Unternehmen ebenso wie Regierungsstellen. Und je häufiger meine Zunft das tut, umso besser klappt das auch. Dem Bild des Pessimisten würde ich zudem entgegnen, dass ich eher der stoischen Philosophie folge, alles erst einmal akzeptiere und Optionen auslote. Das einzig Belastende daran ist, dass ich - wie die Kassandra in der griechischen Mythologie - sehr häufig natürlich unzufrieden bin, weil rückwärts betrachtet dann doch zu wenig getan wird, um Unheil abzuwenden. Aber ich habe ja hoffentlich noch einige Jahrzehnte... :)

Wie kann ein studierter Zukunftsforscher fundierte Aussagen über ihm fremde Fachgebiete treffen? Sollten das nicht die Experten des jeweiligen Gebietes tun?

Das muss kein Widerspruch sein! Es stimmt, dass ich nur in wenigen Fachgebieten wirklich als Experte auftreten kann. Das sage ich ja auch immer wieder öffentlich. Aber durch mein Netzwerk und meine Methoden bin ich in der Lage, gehaltvolle Aussagen von Expert:innen aus Fachgebieten zu bewerten und die Expert:innen wiederum in den Austausch zu bringen. Das ist dann vielleicht auch nicht immer akkurat, aber sehr viel besser, als wenn ich mir selbst eine "Meinung" bilden und diese proklamieren würde. So machen es leider viele, die den Beinamen "Zukunftsforscher" vor sich her tragen - damit richten sie großen Schaden für unser Metier an. Ich hoffe, dass wir eines Tages verbindliche Standards haben und der Beiname "Zukunftsforscher" (oder ein anderer) geschützt ist. Bis dahin gilt "nur" Reputation.

 

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FAQ eines Zukunftsforschers

In diesem Beitrag möchte ich die Fragen beantworten, die mir als Zukunftsforscher in den letzten Jahren am häufigsten in Interviews und im Bekanntenkreis gestellt wurden. Willkommen zu den FAQ (frequently asked questions, dt.: häufig gestellte Fragen) eines Zukunftsforschers - sortiert nach Häufigkeit!

Bei wie vielen Prognosen lagst du richtig?

Die Antwort kann gar nicht anders lauten als: 42. Das ist natürlich Quatsch, denn einerseits zähle ich das wirklich nicht. Natürlich freue ich mich mehr oder weniger, wenn ich richtig liege bei Entwicklungen globalen Ausmaßes. Dass ich 2019 an vielen Stellen eine Pandemie in den nächsten drei Jahren vorhergesagt habe, ist inzwischen bekannt. Ende 2021 überlegte ich unter anderem in meinem eigenen Podcast "Im Hier und Morgen", ob die russische Armee die Ukraine völkerrechtswidrig noch vor oder erst nach Silvester 2021 angreift. Meine Masterarbeit habe ich 2013 über "Kostenlosen ÖPNV" geschrieben und im Wesentlichen das Deutschlandticket als gute Lösung vorhergesagt. Aber wie viele richtige Prognosen nun insgesamt dabei waren, ist schwer zu ermitteln, da ich viele Aussagen ja auch in Diskussionsrunden in mehr oder weniger exklusivem Kreis mache, die womöglich nicht dokumentiert werden. Rein wissenschaftlich ist es also kaum möglich, eine vollständige Statistik zu erstellen.

Andererseits geht es in der Zukunftsforschung nicht unbedingt darum, richtig zu liegen. Wichtiger ist es, die von heute aus plausiblen Zukünfte zu durchdenken und Gestaltungsräume in der kurz-, mittel- und langfristigen Perspektive zu erarbeiten. Allein mit der Formulierung solcher Zukunftsbilder liefern wir also einen Teil dazu, dass die Zukunft anders wird als es heute noch plausibel (umgangssprachlich: wahrscheinlich) wäre. Im Gegenteil spielen auch Warnprognosen oft eine Rolle - das heißt, dass einige Zukunftsaussagen durchaus überspitzt formuliert werden, um Energien zu mobilisieren, sie zu verhindern.

Leider enden wir in meinem Metier oft wie die Kassandra aus der griechischen Mythologie: Wir warnen, zeigen sowohl Chancen als auch Risiken auf, aber letztlich gewinnt oft die Systemträgheit, weil man doch zu neugierig ist, das trojanische Pferd in die Festung zu lassen und zu schauen, ob die Warnung nicht doch falsch war.

Wie wird man eigentlich Zukunftsforscher:in?

Es gibt viele Lager, Beziehungsstatus: kompliziert. Anders ausgedrückt, die meisten, die in den Medien als "Zukunftsforscher" (bewusst nicht gegendert) bezeichnet werden, verdienen diesen Titel nicht. Als Zukunftsforscher werden oft schon Menschen bezeichnet, die aus ihrer Disziplin heraus Aussagen über die Zukunft treffen. Nichts könnte falscher sein, da Zukunftsforschung per se interdisziplinär ist und mindestens transdisziplinär arbeitet. Diese Bildungslücke bei Journalist:innen versuchen die Verbände und Vereine der akademischen Zukunftsforschung seit Jahrzehnten ohne nennenswerten Erfolg zu füllen.

Ich für meinen Teil bin einer derjenigen, die Zukunftsforschung studiert haben. Man muss es aber nicht studiert haben, um als Zukunftsforscher:in zu arbeiten - man sollte aber die Gütekriterien und Standards der Zukunftsforschung kennen und, soweit möglich, achten. Wer seine Quellen nicht hin und wieder offenlegt, keine methodischen Grundlagenkenntnisse hat, sollte sich also eine andere Berufsbezeichnung suchen. Böse Zungen bezeichnen diese Leute als Scharlatane und ich hege gewisse Sympathien für den Begriff.

Wie bitte, man kann Zukunftsforschung studieren??

Ja, seit 2010 gibt es den Masterstudiengang Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin, danach kamen einige ähnliche Studiengänge in Deutschland hinzu, bspw. an der TH Ingolstadt. International ist man da (wie immer) schon weiter. Highlights liegen in Finnland, Südafrika und Hawaii. Die internationale Community der Zukunftsforschung ist gut vernetzt und auf allen Kontinenten sehr aktiv, mit unterschiedlicher struktureller bzw. institutioneller Anbindung. Der international wichtigste Verband ist die World Futures Studies Federation.

Wie lautet der Titel eines studierten Zukunftsforschers?

Master of the Future!

... leider nicht, es ist ganz staubig: Master of Arts Zukunftsforschung.

In welchen Bereichen arbeiten Zukunftsforschende?

Es gibt im Grunde vier Arten der Beschäftigung. Die erste ist wie ich selbstständig bzw. mit einem meist sehr kleinen Forschungsinstitut (PROFORE) unterwegs. Die zweite Art findet man am ehesten in großen Unternehmen in der Nähe der Strategieabteilung - für mich ist die Arbeit im Konzern ungefähr das Gegenteil von Selbstständigkeit und passt nicht zu meinem Naturell. Der Mittelstand springt so langsam auf das Thema auf, nennt es aber meist "Trendscouting" oder ähnliches. Die dritte Beschäftigungsart für Zukunftsforschende ist in der Wissenschaft oder wenigstens freien Forschung, bspw. beim IZT oder verschiedenen Fraunhofer-Instituten; hier besteht ein nennenswerter Anteil der Arbeit darin, Förderanträge zu befüllen, um die kommenden Projekte zu finanzieren - auch nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Die vierte und wohl bekannteste Art sind Trendforschungs-"Institute", die im Wesentlichen aktuelle Trends analysieren und relativ oberflächlich in die Masse tragen. Einige nennen sich Thinktank bzw. Denkfabrik, andere behaupten sogar, sie seien Zukunftsforschungsinstitute, wieder andere gehen sehr offen damit um, dass sie Trendwissen herunterbrechen auf einzelne Branchen und Unternehmen. Auf Anfrage gebe ich gern konkrete Auskunft, welches der Unternehmen in diesem Feld zu welcher Gattung zählt.

Darüber hinaus gibt es natürlich auch zunehmend Aufmerksamkeit in der Politik und öffentlichen Verwaltung sowie zahlreichen NGOs, Vereinen und Verbänden.

Und wie wird die Zukunft?

Diese Frage kommt fast immer als typische Cocktailparty-Frage, wenn ich sage, dass ich Zukunftsforscher bin. Wer kurz darüber nachdenkt, merkt dann schnell, dass die Frage an sich natürlich unmöglich zu beantworten ist. Ich antworte in der Regel mit Gegenfragen; welches Jahr? Für wen? Welcher Bereich der Gesellschaft? Eher die zuversichtliche oder bedrückende Perspektive? Manchmal sage ich aber auch einfach: "Alles super." Zukunft ist erst einmal nur eine grammatische Zeitform und je weiter wir uns von der Gegenwart entfernen, desto mehr Möglichkeiten gibt es - irgendwo zwischen Weltuntergang und Kant'schen ewigem Frieden liegt die Antwort.

Wo auf der Welt ist die Zukunftsforschung bzw. Foresight besonders aktiv?

Das ist schwer zu beantworten. Ursprünglich stammen viele Methoden und damit auch Institutionen aus den USA, aber auch Frankreich, Großbritannien und Deutschland waren grundlegend früh dabei. Aktuell dominieren in der World Futures Studies Federation Stimmen aus Dubai und Singapur, doch auch die lateinamerikanische Community ist sehr aktiv. Eine der wichtigsten internationalen Vordenkerinnen ist wiederum Jennifer Gidley aus Australien, die unter anderem das fantastische Buch "The Future: A Very Short Introduction" (Oxford University Press) geschrieben hat.

Was hältst von Megatrends?

Die ursprüngliche Idee stammt von John Naisbitt aus den 1980er Jahren und wurde nicht nur hierzulande von einigen findigen Unternehmern gekapert und vergoldet. Dass Megatrends empirisch nicht haltbar sind und auch theoretisch bei näherer Betrachtung unsinnig sind, verraten diese Unternehmer selten. Megatrends sind letztlich nicht viel mehr als das Abbild einer globalisierten Welt, in der bestimmte Themen in der kollektiven Wahrnehmung eine größere Rolle spielen als andere. Megatrends sind praktisch der Stammtisch der Trendforschung - man kann kaum widersprechen, aber konkret wird's dann doch nicht. Außerdem entfalten Megatrends auch dadurch eine eigene Dynamik, dass sie gebetsmühlenartig wiederholt werden und gewissermaßen als sich selbst erfüllende Prophezeiung immer wieder die Sau durchs Dorf treiben. Allein der Begriff "mega" sollte aber seriöse Entscheider:innen davon abhalten, sich genau davon infizieren zu lassen.

Die Trend- und Zukunftsforschung hat es in Deutschland nicht leicht. Woran liegt das?

Ich vermute, dass dies genau mit dem missbräuchlichen Umgang mit Trends zu tun hat. Das ist ähnlich wie mit Meinungsumfragen: Wenn ich nicht genau weiß, welche Annahmen und welches Sample die Grundlage für eine Umfrage gelegt hat, sollte ich sie meiden. Trendforschung hat in Deutschland erheblichen Schaden dadurch angerichtet, dass Narrative beispielsweise aus dem Silicon Valley übernommen und als erstrebenswerte Realität verkauft wurden. Aber so einfach ist das Geschäft mit der Zukunft nicht. Doch wer sich als Prophet in der Tradition von Nostradamus sieht und unsinnige, verallgemeinerte Aussagen verbreitet, die kaum jemandem wirklich helfen, sät das Chaos.

Wie erhebt man Daten über die Zukunft?

Gar nicht. Wir arbeiten leider - im Gegensatz zum Video auf meiner Startseite - ohne Zeitmaschine und können nur Daten aus der Vergangenheit und "Gegenwart" erheben und auswerten. Was wir dafür sehr gut können, ist Plausibilität abzubilden und dadurch Gestaltungsräume zu finden, die vorher im Verborgenen blieben. Dadurch sind wir selten wirklich überrascht, wenn im Großen oder Kleinen mal wieder etwas "Unerwartetes" passiert, weil wir uns zwar meist nicht über das konkrete Ereignis, sehr wohl aber ein vergleichbares Event mit ähnlichen Auswirkungen Gedanken gemacht haben.

Wie weit schauen Zukunftsforschende in die Zukunft?

Das hängt von der Fragestellung ab. Für gewöhnlich möchten Unternehmen eher einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren dargestellt bekommen, da sie selbst mit ihrer Strategie und Vision bereits die nächsten fünf Jahre antizipiert haben. Sie wollen sich auf das vorbereiten, was dahinter kommt, aber bitte auch nicht allzu weit. Fair. Öffentliche Auftraggeber sind meist am Zeitraum 10-25 Jahre interessiert. Dann gibt es auch Projekte, in denen es zum Beispiel um die Bau-, Immobilien- oder Forstwirtschaft geht, wo man seit eh und je in einem Jahrhundert denkt. Das ist herausfordernd und ehrlicherweise auch oft inspiriert durch Science-Fiction. Für alles weitere kombinieren wir alles, was wir wissen (die sogenannten known knowns), mit allem, von dem wir wissen, dass wir es nicht wissen (known unknowns). Wir machen aber auch Aussagen darüber, was wir nicht wissen, nicht zu wissen (unknown unknowns) und schätzen auf Nachfrage die potenziellen Auswirkungen ein.

Woran erkenne ich gute Zukunftsforschung?

Das ist wahnsinnig schwierig, da es (noch) keine Standards nach DIN oder ISO gibt. Immerhin hat sich die UNESCO schon vor vielen Jahren dem Thema "Futures Literacy" (dt.: Zukünftebildung) angenommen und einen eigenen Leitstuhl (Chair) dafür eingerichtet. Daneben wäre es aus Sicht eines Auftraggebers unbedingt empfehlenswert, danach zu fragen, ob der:die Auftragnehmer:in die Standards und Gütekriterien der Zukunftsforschung kennt und befolgt - dazu gehört dann Transparenz, Offenlegung der Annahmen, Nachvollziehbarkeit und ein paar weitere. Einen Pocketguide Zukunftsforschung zum Thema gibt es kostenlos auf der Website der FU Berlin.

Gibt es ein Gütesiegel für gute Zukunftsforschung?

Nein, noch nicht - das wäre mal eine gute Aufgabe für das Netzwerk Zukunftsforschung! Dieses hat auch den Sammelband der Standards und Gütekriterien (s.o.) initiiert.

Was ist der Unterschied zwischen Trend- und Zukunftsforschung?

Trendforschung schaut eher auf sehr spezifische Branchen- oder Modetrends. Beispiele dafür sind Prognosen, welche Farbe nächstes Jahr in den Bekleidungsläden dominiert, welcher Antriebsstrang bei Fahrzeugen in zehn Jahren das Rennen gemacht haben wird oder wie die Gen Z* demnächst wählen wird.

Zukunftsforschung stellt grundsätzlich zuerst Fragen, welche Intention mit einem Vorhaben verbunden ist, welcher Zeitraum relevant ist, welche Vorarbeit schon geleistet wurde und ob es wirklich angestrebt wird, bestehende Muster infrage zu stellen. Meine erste Frage bei Projekt- oder Keynote-Anfragen ist: Beauftragt mich die Kommunikation oder die Strategie?

Ich vergleiche die beiden Herangehensweisen, die durchaus beide ihre Berechtigung haben (siehe Beitrag über die Methoden der Zukunftsforschung), gern mit einer Erstbegehung eines dunklen Kellers in einem leer stehenden Haus (= Zukunft). Um herauszufinden, was sich dort unten befindet, geht die Trendforschung vorsichtig die Treppe herunter und hält sich am Geländer fest (= bekannte Rahmenbedingung). Am Ende des Geländers bleibt sie stehen und überbringt den oben Wartenden die frohe Botschaft, dass das Geländer aus Kirschholz besteht, die Verzierungen wunderbar kreativ sind und die Treppenstufen nicht genormt sind. Das ist alles, was im Schein des von oben herunter scheinenden Tageslichts wahrnehmbar war. Was den Rest des Kellers betrifft, bleibt die Trendforschung vage - es war auch nicht ihr Auftrag. Die Zukunftsforschung überlegt sich vorher, ob dort unten im Keller eine Taschenlampe, ein Schutzhelm, eine Fliegenklatsche, vielleicht sogar eine Verteidigungswaffe nötig sein könnte; man weiß ja noch nicht, was einen nach der Treppe erwartet! Allein für die Vorbereitung wendet sie mehr Zeit auf, geht dann aber nach der Treppe deutlich weiter. Sie leuchtet alle Winkel aus, hebt möglicherweise Möbel hoch, und übersieht dennoch garantiert etwas. Und das sagt sie dann auch, wenn sie wieder zurück im Erdgeschoss ist. Weitere Antworten über dort unten befindliche Gegenstände, den Luftdruck, den Staub, etc., gibt sie weiter, wenn sie für die Fragestellung der Erdgeschossler relevant sind.

*Gen X, Gen Y, Gen Z, Gen Alpha... diese Konzepte sind empirisch übrigens kompletter Unsinn und sollten mit Vorsicht behandelt werden! Siehe dazu den glorreichen Aufsatz von Dr. Martin Schröder "Der Generationenmythos". Umgangssprachlich zusammengefasst: es gibt mehr Wert-Unterschiede innerhalb von Geburtenjahrgängen als zwischen diesen Jahrgängen. Noch umgangssprachlicher: Oma und Enkel sind sich in puncto Werte meist ähnlicher als deren Mitschüler oder Kolleginnen.

Was ist der Unterschied zwischen Science-Fiction und Zukunftsforschung?

Science-Fiction (SF) ist eine ernstzunehmende Literaturgattung und einige Werke (Romane, Filme, Serien) machen wirklich einen guten Job in der Modellierung von Zukünften. Das heißt, sie sind in sich plausibel und man könnte argumentieren, dass die beschriebenen Geschichten unter bestimmten Voraussetzungen meist technologischer Natur auch "realistisch" sind. Doch SF ist immer auch polarisierend, denn so funktioniert Unterhaltung: Ich brauche zwar einen Anker, in den ich mich aus meiner heutigen Realität hineinversetzen kann, doch dann muss das Zukunftsbild mit einigen meiner Werte und Weltanschauungen kollidieren, um Emotionen in mir auszulösen.
Zukunftsforschung hingegen extrapoliert und polarisiert weniger. Es geht vielmehr um die Sammlung von quantitativen und qualitativen Daten über einen Forschungsgegenstand, anschließend bilden wir - oft mit Auftraggebern - Annahmen über plausible Projektionen der wichtigsten Schlüsselfaktoren, schätzen dann ein, inwieweit bestimmte Projektionen logisch miteinander koexistieren könnten und dann berechnen wir softwaregestützt, welche Szenarien im Bereich des Möglichen liegen. Insofern sind wir eher Zukunftsarchäologen als Wahrsager oder fiktionale Autor:innen. Natürlich gibt es auch Projekte, in denen wir eher wünschenswerte Szenarien entwerfen, aber die kommen selten aus der Wirtschaft und Verwaltung, eher von NGOs oder einzelnen Teams, die in einem Visionsprozess stecken.

Wenn die Zukunft nicht feststeht, nicht deterministisch ist, warum gibt es dann Zukunftsforschung?

Einfach: Tunnelblick - Geschlossene Systeme sind schlecht in der 360°-Betrachtung, weil sie um ihren Nukleus kreisen. Anders ausgedrückt: Der Zweck jedes Systems - Zelle, Familie, Firma, Regierung - ist, sich permanent darum zu kümmern, dass die Daseinsberechtigung erhalten bleibt (Autopoiesis). Da kann man nur auf Sicht fahren und das ist okay. … Wir bieten ein umfangreiches Set an Orientierung, aus denen sich Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, die natürlich von bestimmten Parametern abhängen. Einfach gesagt: Wir modellieren eine sehr komplexe "wenn, dann"-Matrix, sprechen auch über Wildcards wie Pandemien, Vulkanausbrüche oder sonstige eher unwahrscheinliche, im Eintreten aber einflussreiche Entwicklungen. Daraufhin liegt die Verantwortung wieder beim Auftraggeber, entsprechend die Prozesse, Verträge und Strategien zu überprüfen.

Letztlich verstehe ich mich eher als Komplexitätsmanager und Impulsgeber, um Organisationen zu befähigen, im Rahmen der plausiblen Zukünfte wirksam ihre eigenen Einflusssphären im Einklang mit sozialer und ökologischer Umwelt zu gestalten. Es ist meine feste Überzeugung, dass so viele Menschen wie möglich mehr Zeit mit der Antizipation möglicher Zukünfte verbringen sollten; dann wäre die Welt im besten Fall ein besserer Ort. Im schlimmsten Fall würden einige Menschen etwas Zeit am Tag mit Grübeln verbringen.

Warum hältst du Vorträge (Keynotes) über die Zukunft?

Das hat viele Gründe. Persönlich macht es mir einfach Spaß und ich habe eine Neigung dazu, mich auf Bühnen wohlzufühlen. Wichtiger ist aber, dass besonders auf Veranstaltungen aller Art Impulse über mögliche Zukünfte wahnsinnig wichtig sind. Denn in dem Moment, in dem Zukunftsbilder diskutiert werden, erhöht sich die Chance, dass diese auch eintreten (Propensität) - deshalb neige ich auch zu zuversichtlichen Botschaften. Das Ganze basiert zu einem guten Teil auf Erkenntnissen aus der Forschung und individueller Vorbereitung, letztlich aber natürlich in einem oft eher Entertainment-lastigen Format auch auf einer stringente, unterhaltsamen Argumentation.

Welche Quellen nutzt du für deine Recherchen?

So viele wie möglich, so wenige wie nötig. Pragmatisch gesprochen hängt das auch vom Budget ab. Was aber kontinuierlich passiert, ist das Verfolgen der großen Entwicklungen (Trends) in den Nachrichten (aber bitte nicht täglich), die Lektüre wichtiger Studien nennenswerter Markt- und Meinungsforschungsinstitute, Beobachtung potenzieller Wildcards und natürlich ein gut trainierter Google News Stream. Darüber hinaus führen wir Interviews mit Expert:innen für bestimmte Themen in Projekten oder Podcasts, um tiefgründige Einblicke in deren Zukunftsbilder zu erhalten. Last but not least tausche ich mich mit anderen Zukunftsforschenden und Foresight-Leuten regelmäßig aus, beispielsweise über den Alumniverein des Masterstudiengangs Zukunftsforschung "Kapitel21: Zukunftsforschung", den ich 2013 mitgegründet habe.

Offene Fragen?

Welche Fragen fehlen? Schreiben Sie mir über mein Kontaktformular und ich ergänze die Antworten schnellstmöglich!

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Neue Website online und allgemeines Update

Während der Sommer etwas stockend in Gang kam, waren wir entgegen der längeren Stille hier im Zlog nicht untätig. Im Gegenteil. Wie vielleicht der eine oder die andere schon gemerkt hat, sieht die Website seit Ende Juli anders aus. Wir haben den Relaunch bzw. Facelift einige Monate lang vorbereitet und gemeinsam mit der Speaker Agentur Athenas und den Kollegen in Dänemark umgesetzt. Keine leichte Geburt bei so vielen individuellen Funktionen und Inhalten. Einige davon haben die Überarbeitung nicht überlebt und wurden im besten Sinne in den Ruhestand befördert.

Uns interessiert nun brennend, was Sie und ihr davon halten/haltet. Funktioniert alles? Sind die Inhalte gut auffindbar? Gefallen die Videos? Fehlt etwas? Passt das neue Design gut zur Kernmarke? Wir freuen uns sehr über jede Form von Feedback, gern über das Kontaktformular.

Update von Kai Gondlach & PROFORE im Sommer 2024

Das Jahr begann turbulent und wie es sich für Turbulenzen gehört, wirken sie oft noch nach. Glücklicherweise haben sich einige strategische Entscheidungen in der Unternehmensführung der Kai Gondlach GmbH und der PROFORE Gesellschaft für Zukunft mbH als goldrichtig bzw. bis dato sehr erfolgreich erwiesen. Die Anwendung der Methoden der Zukunftsforschung aufs eigene Unternehmen hat sich wirklich gelohnt, wenn auch - wie es sich gehört - mit einigen Wachstumsschmerzen.

Die Anzahl der Presse- und Medienanfragen hat sich sehr positiv entwickelt, besonders von überregionalen Medien. Das bisherige Highlight des Jahres war natürlich mein Interview mit dem RTL Nachtjournal im Mai, von dem unfassbare 18 Minuten tatsächlich ausgestrahlt wurden. So viel Sendezeit für Zukunftsforschung in einem Top-Medium; ich weiß nicht, ob es das schon einmal gab. Die Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen im Berliner Studio hat darüber hinaus auch noch richtig Spaß gemacht, sodass ich mich schon auf zukünftige Sessions dieser Art freue!

Keynote-Update 2024

Die Keynote-Saison 2024 begann erst zögerlich, entwickelte sich dann aber rasch zur intensivsten seit 2019, dem Jahr vor Corona. Und das ist ein wahrer Grund zur Freude, denn das Jahresziel ist nun, da ich diesen Text schreibe, zu 98 Prozent erreicht und der Kalender im zweiten Halbjahr ist gut gefüllt. Vielen Dank an die vielen Menschen, die dies ermöglicht haben und weiterhin ermöglichen! Außerdem 1000 Dank an die zahlreichen Menschen, die ich im Zuge der bisherigen 23 Auftritte dieses Jahres kennenlernen durfte. Mein Highlight war eine Reise nach Oldenburg auf Einladung der dortigen Wirtschaftsförderung - dort traf ich auf ein großes, begeistertes Publikum, wertschätzende Kundengespräche und einen echten DeLorean wie im Film "Zurück in die Zukunft" (und meinem Imagefilm). Der Herbst wird aller Voraussicht nach sehr reiseintensiv und es gibt nur noch wenige Zeitfenster in meinem Kalender, zu denen ich neue Termine annehmen könnte. Einerseits eine schöne Situation, da ich dann in meinem Element bin, andererseits schade, wenn interessante Anfragen aus Kapazitätsgründen abgelehnt werden müssen. Aber heute ist nicht alle Tage, ich komm' wieder, keine Frage!

Buch-Update 2024

In der Zwischenzeit erschien mein erstes Sachbuch "KI jetzt!" Ende April, in dem ich gemeinsam mit dem KI-Experten Mark Brinkmann den Spagat probiert habe, sowohl die wichtigsten Begriffe und Konzepte (und natürlich Zukunftsbilder) von Künstlicher Intelligenz zu beschreiben, als auch konkrete Starthilfe für Führungskräfte in Organisationen zu geben, wie sie KI gewinnbringend implementieren können. Viele positive Rezensionen in diversen Medien lassen den vorsichtigen Schluss zu, dass dieser Spagat ganz gut funktioniert hat, was mich sehr glücklich macht. Immerhin entstand das Buch in kürzester Zeit und zwischendurch erschien der für mich wichtigste Protagonist auf der Bühne meines Lebens - mein Sohn, der inzwischen das erste Lebensjahr mit allen Höhen und Tiefen erfoglreich absolviert hat und unsere Leben durcheinanderwirbelt.

Noch ein wichtiges Buchprojekt wird demnächst veröffentlicht: Gemeinsam mit drei Co-Herausgebenden habe ich in den letzten zwei Jahren einen bislang einzigartigen Sammelband in drei Teilen vorbereitet, an dem über 200 Autor:innen mitgewirkt haben. Die Rede ist von "Regenerative Zukünfte und künstliche Intelligenz" in den drei Bänden PLANET, PEOPLE und PROFIT, welche im Springer VS Verlag und konkret der Sonderserie zu den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDG) erscheinen werden. Über 100 Beiträge aus dem großen Spektrum der Nachhaltigkeit auf allen Ebenen haben wir ausgewählt, gelesen, strukturiert und machen sie demnächst verfügbar für die interessierte Öffentlichkeit. Darin enthalten sind sowohl Problembeschreibungen als auch innovative Lösungsansätze, Konzepte und Utopien. Den Verkaufspreis haben wir auf 49,90 Euro reduzieren können, was für Fachbücher dieses Umfangs sehr günstig ist - dafür verzichten wir auf Tantiemen. Warum? Weil wir möchten, dass die wertvollen Inhalte eine möglichst große Zielgruppe erreichen! Zudem gibt es wohl kaum einen besseren Beweis für intrinsische Motivation, als ein solches Mammutprojekt pro bono zu stemmen. Umso dankbarer sind wir, wenn diese Botschaft bei möglichst vielen Gelegenheiten weitererzählt wird! Der erste und zweite Band erscheinen noch in diesem Jahr, PROFIT folgt dann Anfang 2025.

Derweil hat meine Co-Herausgeberin von "Arbeitswelt und KI 2030" (Springer Gabler), Dr. Inka Knappertsbusch, die zweite, erweiterte Auflage des Bestsellers (über 700.000 Zugriffe allein bei Springer!) maßgeblich vorangetrieben und organisiert. Ein paar Beiträge konnte ich auch lesen und korrigieren und kann schon jetzt sagen: Das Update wird noch besser als das Original und mit fast doppelt so vielen Beiträgen auch deutlich umfangreicher. Das Veröffentlichungsdatum steht noch nicht fest; bei Linkedin werde ich auf jeden Fall darüber berichten, vermutlich auch im Newsletter.

Last but not least habe ich ein neues Buchprojekt gestartet. Dabei handelt es sich wieder um ein Sachbuch, bei dem ich mich als Co-Autor eingeklinkt habe. Viel darf ich über den Inhalt noch nicht verraten, aber so viel: Es besetzt eine einzigartige Nische im Business-Bereich und wird auch stilistisch für viele neuartig sein. Ein Veröffentlichungsdatum gibt es noch nicht, da die Verlagsabsprachen noch laufen. Stay tuned!

PROFORE-Update 2024

Ein paar Takte zum unternehmerischen Big Picture. Das PROFORE Zukunftsinstitut wird in diesen Tagen zwei Jahre alt und hat damit den wichtigsten Meilenstein für ein junges Unternehmen geschafft! Jetzt sind wir sogar KfW-kreditwürdig 😇 Der Beiname "Zukunftsinstitut" ist natürlich ein kleiner Sidekick zu den Kolleg:innen nach Frankfurt, das Geschäftsmodell und die Angebote könnten in derselben Branche kaum unterschiedlicher sein. Was PROFORE auszeichnet, ist seine Dezentralität, Agilität und der klare Fokus auf Erkenntnisvermehrung der Kundschaft. Wir machen keinen Outbound-Vertrieb, sondern stellen für jedes Projekt einzigartige und kompetente Teams zusammen.

Aktuell realisieren wir mit einem kleinen Team eine wahnsinnig spannende und zukunftsweisende Szenarioanalyse in der Immobilienwirtschaft. Darüber wird es ab November mehr Infos geben. Nur so viel: Nach einigen Monaten Recherche, vielen Interviews und einer Online-Befragung ergaben sich 460 Milliarden verschiedene Szenarien, die wir computergestützt errechnet haben, was selbst mit einem Hochleistungscomputer mehrere Tage gedauert hat. Cliffhanger: Die Arbeit hat sich gelohnt! Darüber hinaus macht die Foresight Akademie wichtige Schritte in die richtige Richtung. Was dahintersteckt, wird schon bald im Newsletter kommuniziert werden.

Derweil arbeite ich mit einem völlig anderen Team an einer Startup-Idee, die das Potenzial hat, den demografischen Wandel und die angespannte Fachkräftesituation nachhaltig zu verändern. Mehr kann ich natürlich noch nicht verraten, damit will ich nur sagen: Meine Interpretation von Zukunftsforschung beinhaltet durchaus auch die aktive Zukunftsgestaltung 😉

Fazit

Das Jahr 2024 ist alles andere als entspannt oder geradlinig verlaufen und mit diesem Befund bin ich ganz sicher nicht allein. Die Nachfrage nach seriösen Zukunftsanalysen hat sich nach Corona- und Ukraine-Schock endlich erholt, was mich als intrinsischen


Kai Gondlach im RTL Nachtjournal

Neulich war ich zu Gast bei RTL im Hauptstadtstudio, um Auskunft über die Zukunft zu geben. Moderatorin Clara Pfeffer hat mich im Nachtjournal Spezial sehr lang über meine Einschätzungen zu aktuellen Themen und deren mögliche Zukünfte ausgefragt:

https://plus.rtl.de/video-tv/shows/rtl-nachtjournal-spezial-177848/2024-5-1002693/episode-62-rtl-nachtjournal-spezial-interview-mit-dem-zukunftsforscher-kai-gondlach-970090

Die Fragen drehten sich natürlich um wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen. Ich sprach die aktuelle Rezession, aber auch die Reindustrialisierung an - das "grüne Wachstum", das einerseits von der Industrie und Beschäftigten teilweise noch kritisch beäugt wird, andererseits sind deutsche Firmen und Beschäftigte teilweise Pioniere. Wohnungsmangel, Resilienz, Privilegien - viele Themen haben wir besprochen. Und natürlich Künstliche Intelligenz (KI). Die Frage: Ist das eine Revolution? "In zehn Jahren werden wir uns wundern, was für sinnlose Prozesse und Arbeitsschritte wir damals noch als Menschen haben ausführen müssen", sage ich an einer Stelle.

Schön, dass RTL als Massensender das Thema Zukunftsforschung so prominent positioniert. Ich wünsche mir mehr davon - gern mit Kolleg:innen aus der Zukunftsforschung. Im Zweifel vermittle ich sehr gern.


Kai bei "Wirtschaft Hören" der IHK zu Leipzig

Das Heimspiel geht in die nächste Runde: Ich durfte mit dem großartigen Volly Tanner bei "Wirtschaft Hören" der IHK zu Leipzig über Künstliche Intelligenz (KI) und New Work ein paar Eindrücke aus meiner Arbeit als Zukunftsforscher geben:

https://www.secondradio.de/audiothek/player/episode/374

Was heißt KI für die mittelständische Wirtschaft? Ist das wirklich so relevant? Ich denke, ja. Dazu habe ich ja auch ein paar Bücher geschrieben bzw. herausgegeben.

Im Gespräch entkräfte ich ein paar Ängste rund um KI und gebe eher Tipps, wie man mit diesem "Megatrend" umgehen kann. Stichwort Fachkräftemangel, Stichwort repetitive Tätigkeiten. Nein, Roboter übernehmen nicht die Welt - andererseits gibt es keine Unternehmen, die nicht vom Einsatz künstlicher Intelligenz profitieren können.

Im Zwischenspiel gute Musik unter anderem von Kraftclub - schöner Zufall? Verdammter Mike Skinner...

 


Zu Gast bei Sachsen Fernsehen: Tanner trifft

Eine halbe Stunde Druckbetankung Zukunft bzw. Zukunftsforscher Kai Gondlach - das gab es kürzlich in Sachsen Fernsehen bei Tanner trifft mit dem fantastischen Volker Volly Tanner. Ich stand Rede und Antwort darüber, was ein Zukunftsforscher so in seinem Alltag macht, welche Themen ich besonders wichtig finde und wie ich die Entwicklungen in Sachsen einschätze:

https://www.sachsen-fernsehen.de/mediathek/video/tanner-trifft-folge-99-gondlach/

Das Gespräch wurde auf diversen Kanälen ausgestrahlt, scheinbar auch in den Straßenbahnen - sagte mir ein Freund aus Leipzig. Sehr schön und definitiv eine Wiederholung bzw. Fortsetzung wert!

Edit: Tatsächlich so inzwischen geschehen bei Wirtschaft Hören von der IHK zu Leipzig, auch mit Volly Tanner.


Buch "KI jetzt!" erscheint bald!

Am 25. April erscheint mein neues Buch „KI jetzt!“ im GABAL Verlag, das ich mit KI-Führungskraft (Schwarz IT) Mark Brinkmann geschrieben habe. Es richtet sich an alle, die nicht bei ChatGPT stehen bleiben möchten, sondern mehr über Künstliche Intelligenz wissen möchten – oder müssen. Denn eins steht fest: KI ist gekommen, um zu bleiben.

 

Im Grußwort schreibt Deepa Gautam-Nigge, Vice President Corporate Development bei SAP SE und Aufsichtsrätin bei Aleph Alpha:

Das vorliegende Buch »KI jetzt!« ist dafür ein erster Atlas und wichtiger Kompass, um sich entlang der wichtigen Routen zu orientieren. Es schafft Verständnis für die Topografie des Geländes: Es liefert in sieben Schritten ein kurzes Grundlagentraining zum KI-Profi. Dazu gibt es mit 22 plastischen Anwendungsfällen die ersten vordefinierten Pfade. Mit diesem Wissen kann man dann die ersten Schritte abseits der beschriebenen Wege wagen, um Neues zu entdecken.

»KI jetzt!« – gehen wir’s an!

In diesem Sinne richtet sich das Buch wirklich an alle Menschen und Organisationen, die mehr KI brauchen: Führungskräfte, Arbeitssuchende, Fachkräfte, Studierende, Senior:innen. Mehr Informationen und Vorbestellung:

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Keine Angst vor der Zukunft

Heute durfte ich beim Bundesverband der Vertriebsmanager Grußworte (ca. 20 Minuten) an die Mitglieder richten. Das Thema sollte einerseits um "Angst vor der Zukunft" kreisen, andererseits einen positiven Ausblick in plausible Zukünfte vermitteln. Da das Event online stattfand, habe ich mich gegen die "klassische" Variante mit einer Powerpoint-Präsentation entschieden und stattdessen einen Nachdenktext vorgetragen. Diesen möchte ich nun auch hier veröffentlichen und wünsche viel Spaß & Erkenntnis.

Intro

  • Moin. Ich bin ein echter Zukunftsforscher, das heißt, ich habe unter anderem den Masterstudiengang Zukunftsforschung studiert. Ich arbeite seit 11 Jahren daran, aktuelle Trends zu verstehen und Einschätzungen zu möglichen Szenarien zu geben.
  • Das tue ich unter anderem als Inhaber des PROFORE Zukunftsinstituts, als Keynote Speaker, Autor und Podcaster.
  • Vielleicht fragen sich jetzt einige, ob ich die Zukunft auch vorhersagen kann. Nein, kann ich nicht. Aber ich lag schon oft richtig: Corona habe ich Mitte 2019 angekündigt, fast ein Jahr vor dem Beginn der Pandemie. Den Krieg in der Ukraine habe ich in meinem Podcast Ende 2021 thematisiert, also rund ein Vierteljahr vor dessen Beginn. Mein Whitepaper über Künstliche Intelligenz erschien im Oktober 2022 – zwei Monate vor ChatGPT.
  • Damit will ich nicht sagen, dass ich die Zukunft doch irgendwie vorhersehen kann, sondern dass die Methoden der wissenschaftlichen Zukunftsforschung verdammt gut darin sind, kommende Entwicklungen früher als die Allgemeinheit zu erkennen.
  • Aber heute wurde ich gebeten, einen Impuls zum Thema „Zukunftsangst“ vorzubereiten. Dafür habe ich keine Präsentation vorbereitet, wie sonst bei Keynotes und anderen Gelegenheiten, sondern ganz old fashioned einen Text für euch geschrieben.
  • Und der geht so.

Keine Angst vor der Zukunft

Angst ist eine reale, unmittelbare Emotion.

Der Angst-Teil unseres Gehirns, die Amygdala, hat Vorfahrt vor den meisten anderen neurologischen Vorgängen. Aus evolutionärer Sicht ist Angst überlebenswichtig für jede Spezies, denn sie hält uns oft von dummen Entscheidungen ab und sagt unseren Gliedmaßen eher: „LAUF!“ statt „mal abwarten, ob das Rascheln im Busch ein Tiger oder eine Tüte Popcorn ist“

Angst wird allerdings oft mit Furcht verwechselt: Angst ist der allgemeine Gefühlszustand im Hinblick auf die Zukunft, auf mögliche Ereignisse, die uns oder unseren Liebsten zustoßen könnten. Unser Gehirn simuliert permanent etwa eine Sekunde in die Zukunft, was als nächstes total schiefgehen könnte, weshalb wir in manchen Situationen erstaunlich schnelle Reflexe haben – wenn etwa jemand ein Glas vom Tisch stößt. Das ist dann weniger Angst als aufmerksame Beobachtung mit allen Sinnen.

Furcht wiederum ist die gerichtete Form der Angst: Ich fürchte mich vor Spinnen in meinem Bett, ich fürchte, dass das Glas vom Tisch fällt und ich mich daran schneide; ich fürchte mich vor einem Fahrradunfall auf dem Weg zur Arbeit, ich fürchte, dass die Faschisten in den sächsischen Landtag einziehen und die Demokratie zerstören.

Ich persönlich kenne Angst und Furcht sehr gut. Ich bin Traumapatient seit einer privaten Tragödie vor einigen Jahren; vor fast 3 Jahren habe ich einen schweren Fahrradunfall überlebt; ich habe einen 7 Monate alten Sohn, der letztes Wochenende in der Klinik am Beatmungsgerät hing.

Angst ist allgegenwärtig.

Wir fürchten uns ja auch in der Freizeit wirklich gern: Fällt euch ein Science-Fiction-Film ein, der eine komplette Utopie einer perfekten Welt beschreibt? Ich kenne keinen. Horror und Actionfilme funktionieren nur, wenn wir uns auch gruseln oder fürchten lassen, dass zum Beispiel der Protagonistin etwas zustößt – James Bond hätte nicht funktioniert, wenn der am Ende nicht immer wieder die Welt gerettet hätte.

Angst ist sexy, make Angst great again!

… aber doch bitte nur mit Happy End!

Die deutsche Gesellschaft kennt Angst besser als jede andere, weshalb uns oft die „German Angst“ zugeschrieben wird. Wir haben Angst vor Veränderung, Angst vor dem Statusverlust durch eine diversere Gesellschaft oder hohe Inflation. Wir haben Angst vor Innovationen, die die Erfindungen unserer Vorfahren obsolet machen könnten, Angst, dass uns die Politik das Auto verbietet oder Gender-Sternchen aufzwingt. Wir haben Angst vor Putin, Angst vor Trump, Angst vor Xi Jinping.

Angst ist also nicht einfach nur unser Hobby, Angst ist unsere Berufung.

Dabei ergaben diverse Umfragen selbst während der Corona-Pandemie, dass die Menschen hierzulande meistens Angst vor diffusen Schreckensbildern haben – privat und beruflich schätzt eine überwältigende Mehrheit ihre individuelle Zukunft sehr zuversichtlich ein. Wie passt das zusammen? Sind wir individuell naiv-optimistisch, aber kollektiv krankhaft-paranoid?

Mein Eindruck ist, dass uns gesellschaftlich das Verständnis einer gesunden Angst, die uns zu vernünftigen Entscheidungen leitet, abhandengekommen ist. Angst und Furcht sind keine Phänomene, die es nur in schwarz und weiß gibt, sondern auch in allen Farben dazwischen. Das ist eine zentrale Erkenntnis, wenn man sich Gedanken über die Zukunft machen möchte, die nicht durch Angst verzerrt sind.

[PAUSE]

Ich bin Zukunftsforscher, Soziologe und Politikwissenschaftler. Ich genieße das fabelhafte Privileg, sehr häufig sehr klugen Menschen und mir selbst immer wieder die Frage stellen zu dürfen:

Welche anderen Perspektiven als Angst oder Zweifel können wir auf die Zukünfte richten?

Wir alle befassen uns mehr oder weniger strukturiert mit der Zukunft. Urlaubsplanung, Steuererklärung, Einkaufsliste, Rentenversicherung, Weihnachtsgeschenke. Paradoxerweise findet aber Zukunft für die meisten Menschen in der Regel kaum explizit statt.

Unser Bildungssystem ist ein verheerendes Beispiel dafür: Junge Menschen sollen Gehorsam lernen, sollen das Wiedergeben der Lehrpläne perfektionieren, es geht mehr ums Verwalten des Status Quo als das Erdenken und Gestalten der Zukunft. Und das wird uns gerade gesellschaftlich mit einiger Brutalität zurückgespiegelt.

Denn: Wer nicht nach einer plausibel erreichbaren Zukunft strebt, wird destruktiv oder depressiv. Das gilt für einzelne Personen genauso wie für Gesellschaften. Leider zieht sich dieser eklatante Zukunftsmangel bis in die höchsten politischen Ämter durch.

„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, hat Altkanzler Helmut Schmidt einst gesagt und ist damit der geistige Vater der Zukunftslosigkeit ganzer Generationen. Dass er das nicht so gemeint hat, hilft uns leider nicht mehr.

Doch ich möchte eure Zeit bei diesem Neujahrsempfang nicht mit Lamentieren vergeuden, denn Experten für Nörgelei gibt es wahrlich genug. Stattdessen möchte ich euch ab jetzt ausgewählte plausible, erreichbare positive Zukunftsszenarien der nächsten paar Jahrzehnte erzählen. Sie basieren auf den Erkenntnissen der seriösen Zukunftsforschung, sind also technologisch machbar und unter der Annahme wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessen konsistent – das heißt, sie widersprechen nicht anderen naturwissenschaftlichen Gesetzen und gängigen Prognosen.

Willkommen im Jahr 2050!

Lasst uns ausschließlich einen Blick auf die guten Errungenschaften werfen.

1. Gesundheit

Seit der Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas9 im Jahr 2013 ist es möglich, die genetische Struktur von Lebewesen zu verändern. Und wir wissen ja längst, dass viele Gesellschaftskrankheiten durch bestimmte Kombinationen bzw. Prädispositionen der Gene begünstigt werden. Die gute Nachricht ist also: Im globalen Norden gibt es 2050 kaum noch bekannte Fälle von Diabetes, Alzheimer-Demenz, Parkinson, multipler Sklerose und selbst Krebs tritt nur noch selten auf und verläuft fast nie tödlich!

Künstliche Organe liegen in großen Organdatenbanken bereit für den Fall, dass durch einen Unfall oder eine unvorhergesehene Krankheit die Leber, Lunge oder das Herz ersetzt werden muss. Diese Datenbanken werden von den Krankenkassen verwaltet – die Premiumvariante ist natürlich auch im Jahr 2050 den Superreichen vorbehalten. Sie lassen sich besonders leistungsfähige Organe anfertigen, die nicht nur dann ausgetauscht werden, wenn die erste Version nicht mehr funktioniert. Schönheits-OP 2.0, sozusagen. Nur das Gehirn konnte bislang nicht dupliziert werden, aber das ist vielleicht auch gut so.

Natürlich gibt’s trotzdem noch diverse weniger schlimme Krankheiten; Körper und Geist brauchen auch gelegentliche Erkältungen, zudem entstehen immer neue Viren und Bakterien. Aber auch dagegen gibt’s ein Wundermittel: Mithilfe von Quantencomputern und künstlicher Intelligenz werden für bestimmte Krankheitsbilder seit vielen Jahren individualisierte Arzneimittel hergestellt.

Tatsächlich hat das zwei erstaunliche Entwicklungen begünstigt. Das eine ist, dass Menschen heutzutage sehr viel gesünder altern. Viele Alterskrankheiten und Todesursachen sind schlicht nicht mehr nötig. Heute ist es keine Seltenheit mehr, dass 90-Jährige einen Marathon laufen oder als Nachhilfelehrer ihre Rente aufbessern. Das zweite ist, dass einige wenige Menschen weit über 100 Jahre alt werden. Das liegt daran, dass nicht nur die Krankheiten heilbar wurden, die sonst den Tod bedeutet haben, sondern auch erste Mittel zugelassen wurden, die den Alterungsprozess einfrieren oder sogar umkehren! Der älteste Mensch ist im Jahr 2050 stolze 140 Jahre alt und auf dem körperlichen und mentalen Stand wie ein 50-Jähriger. Das verleiht einigen gesellschaftlichen Konzepten eine völlig neue Bedeutung: Was kostet eine Lebensversicherung? Wann gehen wir in Rente? Wie lange muss ich zur Schule gehen, wenn ich danach noch über 100 Jahre arbeiten werde? Wer heiratet noch, wenn „bis dass der Tod uns scheidet“ kein Ablaufdatum mehr hat? Brauchen wir ein Enddatum, zu dem das Leben enden soll?

2. Mobilität

Das Wichtigste vorweg: Ja, es gibt Flugtaxis. Gab es ja zu eurer Zeit auch schon, zumindest in Dubai und einigen anderen Orten der Welt. Auch in Deutschland sind sie inzwischen angekommen und entlasten den Verkehr auf den Autobahnen und in Ballungsgebieten zunehmend. Der größte Vorteil ist gar nicht unbedingt die individuelle Mobilität, sondern dass man dafür kaum Infrastruktur braucht. Immerhin gab es zu eurer Zeit rund 600 stillgelegte Kleinflughäfen, die inzwischen als Mobility Hubs genutzt werden.

Aber natürlich besitzt man kein Flugtaxi für den Privatgebrauch, sondern man mietet sich eins – einen Flugschein braucht man dafür nicht, weil es komplett autonom von A nach B steuert. Keine Angst: Es herrscht kein Chaos am Himmel, denn wie es sich für Deutschland gehört, sind die erlaubten Korridore recht eingeschränkt.

Aber überhaupt ist der Privatbesitz eines Fahrzeugs, das kein Fahrrad ist, im Jahr 2050 eher eine Seltenheit. Es ist seit Jahren viel einfacher und günstiger, ein Fahrzeug für den aktuellen Nutzungszweck zu mieten, als mehrere Tonnen Metall zu kaufen, zu versichern und für dessen Unterhalt zu sorgen. Sehr merkwürdiges Konzept, das ihr zu eurer Zeit noch „normal“ nennt. Selbstfahrende Autos, wie ihr sie euch vorstellt, gibt es trotzdem in der Form noch sehr wenig – das liegt daran, dass die Städte dafür einfach nicht geeignet sind. Außerorts ist das natürlich was anderes.

Derweil ist das Streckennetz im Schienenverkehr deutlich gewachsen, sodass die überregionale Bahnmobilität deutlich angenehmer wurde. 100 Prozent Pünktlichkeit bekommen wir trotzdem noch nicht hin, das ist weiterhin Zukunftsmusik 😉

3. Künstliche Intelligenz

KI ist im Jahr 2050 so normal und allgegenwärtig wie zu eurer Zeit die Verwendung von Smartphones. Im Arbeitsalltag heißt das: Die meisten Erwerbstätigen haben einen KI-Kollegen, der sie bei fachlichen Fragen, bei der Einhaltung des Freizeitausgleichs und für sämtliche Korrespondenz unterstützt. Das heißt auch, dass alle jetzt einen persönlichen Coach zur Stelle haben, mit dem sie konzeptionelle Fragen durchspielen oder die Selbstverwirklichung vorantreiben können. Ähnlich wie die Sozialabgaben werden die Kosten für diese KIs über einen kleinen Gemeinwohlbeitrag vom Bruttolohn abgezogen.

Es gibt keine Unternehmen und öffentliche Einrichtungen mehr, in denen KI nicht Standard ist. Alle Organisationen, die sich zu eurer Zeit nicht mit KI beschäftigt haben, gibt es schlicht nicht mehr. In einer Übergangszeit waren also einige Menschen arbeitslos, haben sich aber dann mit den Möglichkeiten von KI befasst und dann eine neue Existenz aufgebaut. Eine 40-Stunden-Woche gibt es längst nicht mehr, klar arbeiten einige so viel oder auch mehr, aber nicht mehr nur in einem Job. Die meisten haben nämlich auch ein zweites Standbein in Form einer freiberuflichen Arbeit oder eines Kleingewerbes, mit dem sie ihren Traum verwirklichen und dabei trotzdem noch gutes Geld verdienen. Ob das nun ein Job im Metaverse oder eine eigene Gärtnerei ist, spielt dabei keine Rolle.

Eine der markantesten Entwicklungen ist die Verschmelzung von KI und Mensch. Es gibt einige wenige, die sich tatsächlich kleine Computerchips direkt ins Gehirn transplantieren lassen, um unmittelbar per Gedankenkraft mit der KI kommunizieren zu können.

Wäre das was für euch?

4. Nachhaltigkeit

Zwar sind viele Prognosen aus eurer Zeit in Bezug auf den Klimawandel leider eingetreten, doch vieles hat sich auch zum Guten gewendet. Durch massive Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft und der Zivilgesellschaft hat sich die Biodiversität nahezu erholt. Das hatte auch damit zu tun, dass seit etwa 2030 die Massentierhaltung verboten wurde – einer der wichtigsten Emittenten von Treibhausgasen. Es gibt zwar noch Fleisch von echten, toten Tieren im Handel, doch das ist sehr teuer. Stattdessen wird es für 95 Prozent des Verbrauchs künstlich hergestellt und zwar genau dort, wo es auch verbraucht wird: Im Supermarkt, Restaurant, der Kantine, im Zug oder Flugzeug. Das ist übrigens auch viel gesünder für die Menschen, hat aber trotzdem eine Weile gedauert, bis sich die Ernährungskultur darauf eingestellt hat. Die Technologie dahinter war zu eurer Zeit längst erforscht, doch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit brauchte noch ein paar Jahre. Irgendwann fand es dann die Mehrheit der Gesellschaft barbarisch, lebendige Tiere zu schlachten, um ein leckeres Steak zu essen – und das kommt schneller als einige von euch heute vielleicht noch denken.

Stichwort Wettbewerbsfähigkeit: Wir haben ein Energieproblem im Jahr 2050, aber nicht das, was ihr jetzt denkt… wir haben nicht zu wenig, sondern ZU VIEL ENERGIE! Das liegt daran, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien aus Wind, Sonne und Wasser so rasend schnell ging, dass Haushalte und Gewerbeimmobilien sich inzwischen fast komplett selbst versorgen können. Dazu kommen aber noch zwei weitere, disruptive Faktoren: Erstens ist die Kernfusion, die ja seit 2022 erwiesenermaßen funktioniert, seit ein paar Jahren auch kommerziell interessant geworden. Deshalb haben die meisten Staaten Kernfusionsreaktoren, die nahezu unendlich viel Energie erzeugen können. Zweitens haben wir aber auch riesige Photovoltaikanlagen im Weltall, die Sonnenenergie direkt dort oben einsammeln und per Mikrowelle an Stationen auf der ganzen Welt und dem Mond senden – wir dürfen ja nicht unsere Mitmenschen auf Mond und Mars vergessen, die haben ja auch Bedürfnisse. Das heißt also: Wir haben Energie im Überfluss und „müssen“ uns immer wieder neu überlegen, wie wir noch mehr Strom verbrauchen können, damit die Energienetze nicht überlasten. Für die Großindustrie ist das natürlich etwas anders, aber mit dem vielen Strom gibt es seit wenigen Jahren ein globales Netz für grünen Wasserstoff und das funktioniert erstaunlich gut.

Ach ja, Müll gibt’s auch nicht mehr. Seit den 2030er Jahren ist es weltweit vorgeschrieben, dass Unternehmen für das Recycling und Upcycling ihrer Produkte verantwortlich sind. Das hat komplett den Anreiz zerstört, möglichst schnell möglichst viele Produkte herzustellen, die irgendwo auf der Welt gekauft, benutzt und entsorgt werden. Stattdessen leben wir inzwischen in einer echten Kreislaufwirtschaft, in der alle Gegenstände und selbst defekte Geräte als Rohstoff wieder aufgewertet werden können und müssen. Das Paradigma hat sich entsprechend von schnellem Konsum bzw. schnellen Gewinnen gewandelt zu hochwertigen, langlebigen und problemlösenden Erzeugnissen. Dadurch sind auch viele Länder des globalen Südens immer schneller wirtschaftlich vorangekommen – seit das Energieproblem kein Problem mehr ist, haben sich die Währungen stabilisiert, Inflation ist überall moderat und es entstand vielerorts eine kreative, sehr facettenreiche neue Ökonomie. Das Zeitalter des Turbokapitalismus wurde abgelöst von einer für alle Lebewesen und Ökosysteme gewinnbringenden Form des Postkapitalismus. Ich meine nicht die Hippie- oder Trotzki-Version, sondern einen Kapitalismus, der andere Währungen kennt als Geld, nämlich das Gemeinwohl von Menschen überall auf dem Planeten und der Natur.

Zurück ins Jahr 2024.

Ich wette, dass diese Ausführungen einigen von euch im wahrsten Sinne fantastisch vorkommen – also basierend auf Fantasie. Doch hinter jedem einzelnen stecken nennenswerte Stränge in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Dieses Jahr erscheinen unter anderem drei Sammelbände von mir, die einige der genannten Themen unterfüttern – und ein Handbuch für KI in Unternehmen namens „KI jetzt!“.

Nach vielen Jahren und hunderten Mandaten im Kontext der seriösen Zukunftsforschung bin ich überzeugt: Wir sollten öfter über unsere positiven Zukunftsbilder sprechen. Und auch darüber streiten. Denn es ist ja offensichtlich, dass mein Blick in die Zukunft ein anderer ist als der meiner Nachbarin oder eines Kindes, das gerade in Lagos aufwächst. Doch wir werden uns und unsere Welt nicht retten, wenn wir nur über die Schattenseiten sprechen. Lasst uns häufiger und strukturierter über schöne Zukünfte sprechen.

Dann klappt’s auch mit der Angst, das verspreche ich euch.

Vielen Dank fürs Zuhören!

Foto von Etienne Girardet auf Unsplash


Neuer Imagefilm: Keynote Speaker Kai Gondlach

🌐 In meinem neuen Imagefilm nehme ich Sie mit auf eine faszinierende Reise durch die Zukunft. Als renommierter Zukunftsforscher, Keynote Speaker und Unternehmer ist es meine Leidenschaft, Themen wie Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Dekarbonisierung mit einem einzigartigen Ansatz zu präsentieren - und das inzwischen weit über 300 Mal.

https://www.youtube.com/watch?v=JUCLpLnba_A

Falls Sie das Video lieber direkt auf Youtube ansehen möchten, benutzen Sie diesen Link: https://www.youtube.com/watch?v=JUCLpLnba_A

🚗 Das Highlight: Tauchen Sie ein in das Highlight des Videos, wenn ich live hinter der Bühne aus einem echten DeLorean aussteige – die legendäre Zeitmaschine aus "Zurück in die Zukunft". Diese einzigartige Inszenierung verleiht meinen Keynotes auf Wunsch eine unvergessliche Dimension und bleibt bei Ihrem Publikum ganz sicher in Erinnerung!

🎤 Keynotes: Erleben Sie inspirierende Einblicke in meine Vorträge über die Zukunft und Zukünfte, während ich vor einem begeisterten Publikum von rund 400 Menschen aus einem großen IT-Beratungsunternehmen spreche. Als Wissenschaftler, Autor und Herausgeber teile ich mein fundiertes Wissen über die neuesten Innovationen, spannende Thesen und Visionen für das Jahr 2050. Sie mögen es lieber anwendungsbezogen? Kein Problem. Ich bringe auf Wunsch gern Fallbeispiele zu meinen Kernthemen mit und verbinde diese mit plausiblen Zukunftsszenarien.

🔍 Entdecken Sie mehr über die möglichen Themen meiner Keynotes und Buchungsmöglichkeiten.

👥 Zielgruppe: Meine Keynotes richten sich an Entscheidungsträger, Unternehmen und Verwaltungen sowie alle, die den Blick in die Zukunft richten. Entdecken Sie, wie Sie mit meiner Expertise die Zukunft aktiv gestalten können. Ob Mittelstand, öffentliche Verwaltung, Bildungsträger oder Startup; ob Strategiemeeting der Geschäftsleitung, Sommerfest oder Kongress - mir liegen alle Formate und Anlässe.

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Machen Sie sich bereit für eine faszinierende Reise in die Zukunft!

Videoproduktion: Lauflichtfilm, Rödingsmarkt 14, Mediadeck Hamburg, 20459 Hamburg

DeLorean animation courtesy of @harmzz


Wo stehen wir 2035? 

Das Jahr 2035 mag uns heute noch fern erscheinen, doch in einer Welt, die von rasantem technologischem Fortschritt, gesellschaftlichem Wandel und globalen Herausforderungen geprägt ist, ist es wichtig, unsere Zukunft zu beleuchten. Drei fiktive Geschichten aus Deutschland sollen uns helfen, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie unsere Welt in zwölf Jahren aussehen könnte. Diese Geschichten basieren auf aktuellen Erkenntnissen der Zukunftsforschung und sind eingebettet in plausible Szenarien, die auf realen Trends und wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Sie geben uns nicht nur einen Einblick in das Jahr 2035, sondern werfen auch einen Blick auf das Jahr 2050, um die langfristigen Auswirkungen heutiger Entwicklungen zu verstehen.

Leo (23) aus Berlin im März 2035

An diesem sonnigen Frühlingstag können wir noch ohne Sonnenschirm und Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 80 aus dem Haus gehen. Doch die Spuren der vergangenen Sturzfluten und Dürreperioden sind allgegenwärtig. Trotz aller Vorbereitungen hat der letzte Jahrhundertsommer viel zerstört und zu viele Menschen durch Hitze und Überschwemmungen getötet. Einige Regionen haben bereits drastische Schutzmaßnahmen ergriffen.

Die Wohnraumbeschränkung zwingt Leos Familie zum Zusammenleben. Als Erzieher kümmert er sich vormittags um seine Nichten und Neffen, denn Schulen gibt es nicht mehr. Nachmittags und oft auch nachts arbeitet er in verschiedenen Pflege- und Rettungsdiensten, wo eine künstliche Intelligenz die Jobs verteilt. Die Automatisierung hat den Arbeitsmarkt längst verändert, und der Traum von einer Karriere in großen Konzernen hat seinen Reiz verloren. Die Welt hat eine zweite Pandemie erlebt, die auf den Eingriff des Menschen in die Natur zurückzuführen ist. Diese Pandemie breitete sich aufgrund steigender Temperaturen und invasiver Arten rasch aus. Das führte zu einer Verlagerung der globalen Produktion hin zu regionalen Versorgungsketten. In Berlin wächst Gemüse auf Dächern und in Kellern neben synthetischem Fleisch. Grundnahrungsmittel sind umsonst und subventionierte Pauschalmieten in vielen Städten üblich.

Zum Glück ist vieles endlich auf dem richtigen Klimapfad, auch global gesehen. Es wird zwar noch einige Jahre dauern, bis wir uns an die Wetterextreme gewöhnt haben, aber einige Horrorszenarien der 2020er Jahre werden wohl nicht eintreten. Immerhin geht die Emissionskurve bis 2050 im globalen Saldo gegen Null - ganz ohne Greenwashing-Zertifikate, sondern durch einen echten CO2-Preis und Verbote bestimmter Technologien, die auf Kohle und Öl basieren. Auch die Biodiversität erholt sich langsam, was das Risiko neuer Pandemien bereits reduziert.

Stef (35) aus Frankfurt am Main

Nach einem raschen Aufstieg in der Bankenwelt mit schickem Auto, Wohnung und ständigen Reisen nach London und New York erkannte Stef die Leere im Hamsterrad und verlor den Blick für das große Ganze. Wenige Jahre später, fast ein Jahrhundert nach dem "Schwarzen Donnerstag", erlebte die Welt erneut einen Finanzcrash, der die globalen Märkte und Demokratien erschütterte. Banken schlossen, Spekulation wurde verboten und die erste KI-Blase platzte.

In dieser schweren Krise hatte die EU glücklicherweise umfassende Pläne in der Schublade. Als in Teilen Deutschlands Panik ausbrach und erste Anzeichen von Unruhen sichtbar wurden, griffen die Notstandsgesetze und ermöglichten schnelles Handeln. Banken und Versicherungen wurden über Nacht verstaatlicht, ihre automatisierten Prozesse minimierten den Bedarf an menschlicher Arbeit erheblich. Energieprobleme blieben weitgehend aus, da sich die meisten Haushalte aus eigenen erneuerbaren Quellen mit Strom versorgten und die letzten verbliebenen Kraftwerke in Betrieb blieben - nur im Winter gab es vereinzelte Ausfälle.

Parallel dazu lief ein ehrgeiziges Umschulungsprogramm für fast zehn Millionen Beschäftigte in den betroffenen Branchen. Zudem erhielten Bürgerinnen und Bürger ein bedingungsloses Grundeinkommen, sofern ihr Vermögen eine Million nicht überstieg. Auch Stef profitierte davon und konnte ihre ursprüngliche Leidenschaft für die Raumfahrt wiederentdecken, nachdem sie sich für eine Karriere im Bankwesen entschieden hatte. Jetzt steht sie kurz vor ihrem ersten Einsatz im Orbit, um für die ESA Solarmodule zu montieren und Marsmissionen vorzubereiten. Energie bleibt der Schlüssel für die Zukunft, nicht nur auf der Erde, sondern auch für künftige Weltraumkolonien.  

Eli (48) aus Wacken

Vor gut fünf Jahren kamen Eli und sein Sohn nach Deutschland. Sie hatten nichts mehr. Das letzte Geld war im Flüchtlingslager aufgebraucht. Auf ihrer Odyssee durch verschiedene Länder hatten sie bereits alles verloren: ihre Frau und Mutter, ihre Kinder und Geschwister, ihre Würde und ihre Hoffnung.

Noch im Jahr ihrer Ankunft erlebten Deutschland und Mitteleuropa eine beispiellose Migration in unterschiedliche Richtungen, die heute als "Große Wanderung" bezeichnet wird. Es war nicht nur die größte Völkerwanderung der Geschichte, auch die sozialen und wirtschaftlichen Systeme gerieten an ihre Grenzen, nachdem die ökologischen Systeme zusammengebrochen waren. Als sie ihre Flucht antraten, lebte Deutschland noch in Wohlstand, die Demokratie war stabil und die Zukunft schien berechenbar. Der Börsencrash im Jahr 2029 hat diese Sicherheit zerstört, aber das haben sie erst auf einer Mittelmeerinsel im Flüchtlingslager erfahren.

Erstaunlicherweise funktionierte vieles gut. Eli hatte Medizin studiert und in seiner Heimat jahrelang in Kliniken gearbeitet, bis diese der Hitze und den Bomben zum Opfer fielen. Hier in Deutschland konnte er nach einem Sprachkurs, den seine neuen Nachbarn organisiert hatten, seine Qualifikation schnell anerkennen lassen und sich in das wiederaufgebaute Gesundheitssystem integrieren. Sein Sohn hat inzwischen den Meisterbrief als Koch, worauf Eli sehr stolz ist. Früher war Koch ein unbeliebter Beruf, heute wollen ihn viele, obwohl es nur wenige Ausbildungsplätze gibt.

Das Beste an der "Großen Bewegung" ist, dass ein regelrechter Bauboom für regenerative Häuser und Energienetze eingesetzt hat - weltweit. Armut ist selten geworden, und trotz des Verlustes vieler Arbeitsplätze in verschiedenen Branchen gibt es in den meisten Ländern erstaunlich wenig Probleme. Es herrscht Aufbruchstimmung, die Menschheit ist auf dem Weg in ein regeneratives Zeitalter. Selbst in der Medizin zeigt sich, dass die Menschen länger gesund leben, manche sogar biologisch jünger werden. All dies wäre ohne die technologischen Durchbrüche der 2010er Jahre und die Einhaltung des Moratoriums für die funktionelle Genmanipulation nicht möglich gewesen. Die Menschheit steht vor einer vielversprechenden Blütezeit; zusammen statt gegeneinander.

Die Notwendigkeit menschlicher Kernkompetenzen in einer sich wandelnden Welt

Die vorliegenden drei Kurzgeschichten bieten einerseits faszinierende Einblicke in mögliche Szenarien für das Jahr 2035, andererseits tauchen sie ein in die vielschichtige Welt komplexer Zukunftsvisionen, die auf einer durchdachten Entwicklungslinie von der Gegenwart im Jahr 2023 ausgehen. Diese Geschichten enthalten Elemente, die bereits heute als mehr oder weniger sicher gelten: Der bevorstehende Renteneintritt der Babyboomer-Generation, der Wechsel der Generation Z in Führungspositionen und die zunehmenden Auswirkungen des spürbaren Klimawandels sowie die Zunahme von Wetterextremen, die schon heute in Deutschland zu schweren Notlagen führen und ganze Landstriche unbewohnbar machen können.

Die anthropogene Beschleunigung des Klimawandels ist bereits heute hinreichend erforscht und lässt erhebliche Veränderungen bis 2035 erwarten. Die These unterstreicht jedoch, dass es möglicherweise eines weiteren disruptiven Elements, vergleichbar mit der Corona-Pandemie, bedarf, um die globalen Entscheidungsträger zu drastischen und raschen Maßnahmen zu bewegen. Dieser Weg wird nicht ohne Widerstand sein und viele Millionen Menschen weltweit könnten ihren Arbeitsplatz verlieren. Dies geht über die Automatisierung von Tätigkeiten hinaus und stellt eine zusätzliche Herausforderung dar.

Im Zuge dieser Veränderungen werden menschliche Kernkompetenzen immer wichtiger. Es reicht nicht mehr aus, sich nur Wissen anzueignen. Vielmehr wird es entscheidend, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und die interpersonalen Kompetenzen gewinnbringend auszubilden. Ebenso ist die Fähigkeit, langfristig zu denken und proaktiv zu handeln, anstatt nur auf akute Entwicklungen zu reagieren, von entscheidender Bedeutung. Es liegt an uns, diese Herausforderungen anzunehmen und gemeinsam in die Zukunft zu blicken.

 

 

Foto von Štefan Štefančík auf Unsplash