Zukunftsforscher-FAQ (Teil 2)

Der erste Teil meiner Zukunftsforscher-FAQ kam so gut an, dass mich diverse weitere Fragen erreichten. Hier kommt er also, der zweite Teil der häufigsten Fragen an mich als Zukunftsforscher! Vielen Dank an alle Fragestellenden - wer weitere Fragen hat, sende diese bitte über das Kontaktformular.

Du wirkst meist sehr zuversichtlich. Bist du Optimist oder Pessimist?

Die Frage ist tiefgründiger, als sie zunächst scheint. Ich bin von Natur aus mit einem deutlich optimistischen Blick auf die Dinge gesegnet, oder eher entsprechend sozialisiert. Meine Familie hatte sehr viel Glück, auch wenn sie es nie zu viel Reichtum oder Popularität geschafft hat. Meine Mutter sagte immer: "Wir haben zwar kein Geld, aber Glück - und das ist besser als umgekehrt." Nun gab es in meinem Leben auch mehrere große Unglücke, sodass das Glück wohl nicht immer auf meiner Seite steht, aber vielleicht habe ich das Schicksal auch zu sehr herausgefordert mit meiner unternehmerischen Tätigkeit und das Erfolgs-Glücks-Gleichgewicht gestört. Zudem befasse ich mich täglich sowohl mit den goldenen als auch den Schattenseiten möglicher Zukünfte, denke sowohl über plausible Visionen für eine regenerative Zukunft als auch Krisenszenarien nach.
Dennoch trete ich nach außen immer mit einem zuversichtlichen Blick. Warum? Ganz einfach: Jede Aussage über Zukünfte, die man vor einem nennenswerten Publikum vertritt, hat die Kraft, einen eigenen Sog in die Zukunft zu entfalten (das nennt sich Propensität). Da möchte ich lieber positive Gestaltungsräume aufzeigen als die ewigen Mühlen der Zukunftsskepsis zu bespielen.

Wie reagieren die Menschen auf "deine" Zukunftsbilder?

Das ist sehr unterschiedlich; auf Veranstaltungen ist das Feedback überwiegend sehr positiv, nicht zuletzt, da ich nicht die eine, unveränderliche Zukunft verkaufe. Davon halte ich im Übrigen auch überhaupt nichts. Stattdessen biete ich immer unterschiedliche Aspekte möglicher Zukünfte an, über die man dann konstruktiv in den Austausch kommen kann. Selten gibt es kompletten Gegenwind, einmal ist sogar ein Mann während einer Keynote aufgestanden und wollte mich belehren, dass meine Ausführungen komplett an der Realität vorbeigingen. Das sah zum Glück nicht nur ich, sondern auch der Rest des Publikums anders und nach einem kurzen Wortwechsel wurde er vom Veranstalter aus dem Raum geführt.
In den "sozialen" Medien ist das schon anders. Ich habe einige politisch angehauchte Videos bei Tiktok, die dort natürlich vom rechten Rand ständig angegriffen werden. Ich darf mir dann anhören, ich sei Propagandist oder schlicht Lügner, oder auch Schlimmeres. Damit kann ich aber umgehen und versuche dennoch stets, die Perspektive der Gegenseite zu verstehen. Unangenehm wird es nur, wenn Drohungen kommen und zusätzlich immer häufiger die Route zu meinem Firmensitz abgerufen wird. Das hält mich trotzdem nicht davon ab, weiter über menschen- und umweltgerechte Zukünfte zu sprechen.

Manche nennen dich Future Punk - warum?

Ich sehe zwar nicht aus wie das, was man sich unter einem Punk vorstellt, aber was ist schon Punk? Die Ärzte haben einen ganzen Song darüber geschrieben, was Punk sein kann ("Punk ist") und ich sehe mich da in der Tradition derjenigen, die Systeme und Mechanismen sehen, obwohl sie teilweise sogar Teil derer sind. Sie sehen sie nicht nur, sondern hinterfragen sämtliche Annahmen. Mein guter Freund und Ex-Chef Jan Berger (inzwischen Geschäftsführer von Themis Foresight) teilt meine Ansicht, dass gute Zukunftsforschung auch darauf beruht, dass man unethisch denken kann. Wie sonst hätte ich entgegen der Massenmeinung ein paar Monate vor dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine zu dem Schluss kommen können, dass dies passiert? Weil ich denken kann wie ein "Zar". Ich kann auch denken wie ein CEO einer Mineralöl- oder Rüstungs-Firma. Ich sage Autozulieferern, dass ihr Geschäftsmodell kaputt und nicht zukunftsfähig ist, rate aber gleichzeitig Immobilienfirmen zum Downsizing und Automatisierung. Das alles hat nicht immer etwas mit meinen privaten Überzeugungen und Taten zu tun; also: Future Punk.

Welche Methoden benutzt die Zukunftsforschung?

Das sind zu viele, um sie hier aufzuschreiben; ebenso könnte man fragen, welche Methoden die Archäologie oder Volkswirtschaftslehre verwenden. Es handelt sich immer um den passenden Mix für die jeweiligen Forschungsfragen und Hypothesen. Häufiger tauchen Delphi-Befragungen auf, das sind Expertenpanels mit mehreren Durchgängen. Man befragt beispielsweise in Interviews oder Online-Fragebögen Expert:innen, aggregiert die Ergebnisse und legt sie demselben oder einem erweiterten Panel wieder vor. Die Methode eignet sich besonders dann, wenn man sehr komplizierte und in eher weiter Zukunft gelagerte Themen ergründen möchte. Die Szenariotechnik ist darüber hinaus in der Zukunftsforschung eine Besonderheit; Zukunftsszenarien der Zukunftsforschung sind, anders als klassische Szenarien, sehr robuste und gut erforschte, plausible Zukunftsbilder. In der Regel versucht man damit, einen Zukunftsraum zu explorieren und Gestaltungsräume zu identifizieren. Das Herzstück jedes Szenarioprozesses sollte die Konsistenzbewertung der vorher gesammelten Grundlagen und Projektionen sein, die in jedem Fall computergestützt berechnet werden soll. Immerhin hat man es in klassischen Prozessen mit vielen Milliarden Kombinationsmöglichkeiten zu tun - und man braucht am Ende ja nur eine Handvoll Szenarien.

Welche Eigenschaften braucht man als Zukunftsforscher:in?

Erstens sind das vermutlich die üblichen, die man braucht, wenn man an der Schnittstelle von Forschung und Praxis arbeitet. Zweitens gehört dazu aber im Wesentlichen auch eine gewisse Offenheit und Neugier gegenüber Zukünften. Drittens bedeutet dies ein tiefgreifendes Verständnis von Komplexität, Emergenz, Kontingenz und Chaos. Viertens muss mir klar sein, dass ich eher Historiker:in als Prognostiker:in bin. Und fünftens hängt das genaue Set an Eigenschaften oder Kompetenzen davon ab, in welchem Einsatzfeld und Umfeld ich mich betätigen möchte. Ich persönlich bin einerseits Analytiker und liebe es, mich in Datenberge zu stürzen und tagelang umfangreiche Tabellen zu interpretieren. Andererseits liebe ich Bühnenauftritte und die Vermittlung von Zukünften. Andere sind stärker in der theoretischen Methodenarbeit oder der Konzeption und Durchführung von Workshops. Einige arbeiten sehr streng in Branchenkontexten oder festangestellt als Foresight-Analyst oder Trendscout; andere sind selbstständig oder in kleinen Beratungsunternehmen unterwegs.

Lieben alle Zukunftsforscher:innen Science Fiction?

Viele, die ich kenne, haben auf jeden Fall ein Faible für die eine oder andere SciFi-Richtung. Ich würde aber nicht so weit gehen zu sagen, dass alle SciFi lieben. Aber die dahinterliegende Annahme ist schon richtig: Science Fiction funktioniert ähnlich wie Zukunftsforschung an manchen Stellen, nur dass bewusst eine deutliche Verstärkung wie mit einem Brennglas auf die Grundannahmen vorgenommen wird. Die Zukunftsforschung hingegen modelliert eher plausible und wenigstens konsistente Zukunftsbilder.

Ist Foresight das gleiche wie Zukunftsforschung?

Nicht ganz. Foresight übersetzt sich ins Deutsche als "strategische Vorausschau", ist also per Definition an einen Organisationskontext gebunden. Zukunftsforschung kommt in vielen Spielarten und versteht sich in der Regel eher als übergreifende, kritisch-rationale Disziplin. Foresight ist gewissermaßen die Übersetzung von Zukunftsforschung in ein Unternehmen oder eine Behörde.

Gibt es historische Beispiele, bei denen Zukunftsforschung Einfluss auf ein Ereignis hatte?

Ja, wobei die Faktenlage recht schwierig ist - das nennt man dann Präventionsparadox. Ein gutes Beispiel ist der Atomwaffensperrvertrag von 1968. Schon vor dem Abwurf der ersten Atomwaffen auf Hiroshima und Nagasaki 1945 gab es Expertenpanels, die die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen des Einsatzes von Kernwaffen antizipiert haben. Einige Organisationen taten sich in den 1950er Jahren, als die Aufrüstung der USA und der Sowjetunion begann, zusammen und schauten immer weiter, welche Auswirkungen dies haben könnte. Und so empfahlen sie (und andere) das Verbot, das ja dann auch beschlossen wurde und bis heute gilt. Ein anderes Beispiel ist die Eindämmung umwelt- und klimaschädlicher Stoffe wie FCKW oder später Asbest, welche sich unter anderen auf die Studie "Die Grenzen des Wachstums" von 1972 zurückführen lassen. Persönlich kann ich aber auch ein schönes Beispiel berichten: 2019 habe ich bei vielen Veranstaltungen darüber gesprochen, dass in den kommenden drei Jahren eine Pandemie sehr wahrscheinlich ist. Ein großes Pharmaunternehmen hat diese Warnprognose ernstgenommen und tatsächlich einige Prozesse in der Forschung und Entwicklung angepasst und sich anschließend bedankt.

Was sind schwarze Schwäne? Sind diese erst zu nehmen oder nur Hirngespinste von Pessimisten?

Schwarze Schwäne sind im Grunde Wildcards, also äußerst unwahrscheinliche, im Falle des Eintretens aber sehr einflussreiche Ereignisse oder Entwicklungstendenzen (Trends). In unserer Zeit kennen wir das alle: Die Corona-Pandemie 2020 war so ein schwarzer Schwan, aber auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 oder die Hamas-Attacke auf Israel 2023. Ehrlicherweise waren das alles keine Phänomene, über die noch nie jemand nachgedacht hat. Doch kaum jemand hat ernsthaft die potenziellen Auswirkungen rechtzeitig antizipiert. Und das ist eins der Kernprobleme in der Umsetzung von Zukunftsforschung in die Praxis. Oft lassen sich zwar die Ereignisse nicht verhindern, aber durch eine kluge, proaktive Anpassung der Prozesse und Strategien kann sich eine Organisation sehr wohl auf Schocks vorbereiten.

Unterliegt die Zukunftsforschung wissenschaftlichen Standards? Ist sie eine richtige Wissenschaft?

Die Zukunftsforschung als fachliche Disziplin hat sehr wohl Gütekriterien und Standards, die mehrfach dokumentiert sind. An den Universitäten wird das auch durchgehend sehr strikt so praktiziert. In der Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung wiederum haben wir aber eher mit Foresight zu tun, wo die wissenschaftlichen Standards zugunsten von zeitlicher und finanzieller Effizienz eher in der zweiten oder dritten Reihe stehen. Ein einfaches Beispiel ist, dass Interviews in der Wissenschaft sehr kleinteilig dokumentiert und analysiert werden. In der Praxis genügt meist die Kernaussage aus einem Gespräch, weshalb man hier den Prozess in der Regel abkürzt.

Arbeitet ihr qualitativ oder quantitativ?

Beides! In Projekten kombiniere ich persönlich sehr gern unterschiedliche methodische Ansätze, die unterschiedliche Perspektiven auf die Untersuchungsgegenstände werfen. Ich würde aber sagen, dass der Großteil der Projekte eher qualitativ bearbeitet werden. Als Auftraggeber muss man allerdings aufpassen, dass auf der anderen Seite keine Scharlatane sitzen, die ihre Zukunftsaussagen aus den Ärmeln schütteln. Ein methodisches Gerüst und auch ein gewisser Grad an Transparenz ist wahnsinnig wichtig. Für mich kommt noch hinzu, dass partizipative Prozesse immer besser sind - das heißt, Auftraggeber arbeiten mit an der Erzeugung von Inhalten, Thesen, etc.

Warum sind alle (oder viele) deiner Beiträge positiver Natur? Eigentlich wird doch alles nur schlimmer?

Alles eine Frage der Perspektive! Mit meiner Arbeit versuche ich ja gerade, meine Adressaten vor die Welle zu bringen. Wer sich strukturierte Gedanken über mögliche Zukünfte macht und sich rechtzeitig mit technologischen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Trends befasst, ist hinterher weniger überrascht oder im besten Fall vorbereitet. Dazu zählen die großen "Megatrends" genauso wie Teilaspekte daraus.

Wie wirst du (wenn du so viel über unsere Zukunft weißt) nicht zum Pessimisten?

Dadurch, dass ich so viele Varianten der Zukunft schon durchgespielt habe, sehe ich keinen Grund, pessimistisch zu sein. Es gibt immer auch mögliche und plausible Zukünfte, die in eine positive Richtung deuten. Ich arbeite daran, die richtigen Akteure immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie sich zwar vor den negativen Zukünften schützen, jedoch gleichzeitig auch die positiven wahrscheinlicher machen. Dazu zählen Unternehmen ebenso wie Regierungsstellen. Und je häufiger meine Zunft das tut, umso besser klappt das auch. Dem Bild des Pessimisten würde ich zudem entgegnen, dass ich eher der stoischen Philosophie folge, alles erst einmal akzeptiere und Optionen auslote. Das einzig Belastende daran ist, dass ich - wie die Kassandra in der griechischen Mythologie - sehr häufig natürlich unzufrieden bin, weil rückwärts betrachtet dann doch zu wenig getan wird, um Unheil abzuwenden. Aber ich habe ja hoffentlich noch einige Jahrzehnte... :)

Wie kann ein studierter Zukunftsforscher fundierte Aussagen über ihm fremde Fachgebiete treffen? Sollten das nicht die Experten des jeweiligen Gebietes tun?

Das muss kein Widerspruch sein! Es stimmt, dass ich nur in wenigen Fachgebieten wirklich als Experte auftreten kann. Das sage ich ja auch immer wieder öffentlich. Aber durch mein Netzwerk und meine Methoden bin ich in der Lage, gehaltvolle Aussagen von Expert:innen aus Fachgebieten zu bewerten und die Expert:innen wiederum in den Austausch zu bringen. Das ist dann vielleicht auch nicht immer akkurat, aber sehr viel besser, als wenn ich mir selbst eine "Meinung" bilden und diese proklamieren würde. So machen es leider viele, die den Beinamen "Zukunftsforscher" vor sich her tragen - damit richten sie großen Schaden für unser Metier an. Ich hoffe, dass wir eines Tages verbindliche Standards haben und der Beiname "Zukunftsforscher" (oder ein anderer) geschützt ist. Bis dahin gilt "nur" Reputation.

 

Foto von Emily Morter auf Unsplash


FAQ eines Zukunftsforschers

In diesem Beitrag möchte ich die Fragen beantworten, die mir als Zukunftsforscher in den letzten Jahren am häufigsten in Interviews und im Bekanntenkreis gestellt wurden. Willkommen zu den FAQ (frequently asked questions, dt.: häufig gestellte Fragen) eines Zukunftsforschers - sortiert nach Häufigkeit!

Bei wie vielen Prognosen lagst du richtig?

Die Antwort kann gar nicht anders lauten als: 42. Das ist natürlich Quatsch, denn einerseits zähle ich das wirklich nicht. Natürlich freue ich mich mehr oder weniger, wenn ich richtig liege bei Entwicklungen globalen Ausmaßes. Dass ich 2019 an vielen Stellen eine Pandemie in den nächsten drei Jahren vorhergesagt habe, ist inzwischen bekannt. Ende 2021 überlegte ich unter anderem in meinem eigenen Podcast "Im Hier und Morgen", ob die russische Armee die Ukraine völkerrechtswidrig noch vor oder erst nach Silvester 2021 angreift. Meine Masterarbeit habe ich 2013 über "Kostenlosen ÖPNV" geschrieben und im Wesentlichen das Deutschlandticket als gute Lösung vorhergesagt. Aber wie viele richtige Prognosen nun insgesamt dabei waren, ist schwer zu ermitteln, da ich viele Aussagen ja auch in Diskussionsrunden in mehr oder weniger exklusivem Kreis mache, die womöglich nicht dokumentiert werden. Rein wissenschaftlich ist es also kaum möglich, eine vollständige Statistik zu erstellen.

Andererseits geht es in der Zukunftsforschung nicht unbedingt darum, richtig zu liegen. Wichtiger ist es, die von heute aus plausiblen Zukünfte zu durchdenken und Gestaltungsräume in der kurz-, mittel- und langfristigen Perspektive zu erarbeiten. Allein mit der Formulierung solcher Zukunftsbilder liefern wir also einen Teil dazu, dass die Zukunft anders wird als es heute noch plausibel (umgangssprachlich: wahrscheinlich) wäre. Im Gegenteil spielen auch Warnprognosen oft eine Rolle - das heißt, dass einige Zukunftsaussagen durchaus überspitzt formuliert werden, um Energien zu mobilisieren, sie zu verhindern.

Leider enden wir in meinem Metier oft wie die Kassandra aus der griechischen Mythologie: Wir warnen, zeigen sowohl Chancen als auch Risiken auf, aber letztlich gewinnt oft die Systemträgheit, weil man doch zu neugierig ist, das trojanische Pferd in die Festung zu lassen und zu schauen, ob die Warnung nicht doch falsch war.

Wie wird man eigentlich Zukunftsforscher:in?

Es gibt viele Lager, Beziehungsstatus: kompliziert. Anders ausgedrückt, die meisten, die in den Medien als "Zukunftsforscher" (bewusst nicht gegendert) bezeichnet werden, verdienen diesen Titel nicht. Als Zukunftsforscher werden oft schon Menschen bezeichnet, die aus ihrer Disziplin heraus Aussagen über die Zukunft treffen. Nichts könnte falscher sein, da Zukunftsforschung per se interdisziplinär ist und mindestens transdisziplinär arbeitet. Diese Bildungslücke bei Journalist:innen versuchen die Verbände und Vereine der akademischen Zukunftsforschung seit Jahrzehnten ohne nennenswerten Erfolg zu füllen.

Ich für meinen Teil bin einer derjenigen, die Zukunftsforschung studiert haben. Man muss es aber nicht studiert haben, um als Zukunftsforscher:in zu arbeiten - man sollte aber die Gütekriterien und Standards der Zukunftsforschung kennen und, soweit möglich, achten. Wer seine Quellen nicht hin und wieder offenlegt, keine methodischen Grundlagenkenntnisse hat, sollte sich also eine andere Berufsbezeichnung suchen. Böse Zungen bezeichnen diese Leute als Scharlatane und ich hege gewisse Sympathien für den Begriff.

Wie bitte, man kann Zukunftsforschung studieren??

Ja, seit 2010 gibt es den Masterstudiengang Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin, danach kamen einige ähnliche Studiengänge in Deutschland hinzu, bspw. an der TH Ingolstadt. International ist man da (wie immer) schon weiter. Highlights liegen in Finnland, Südafrika und Hawaii. Die internationale Community der Zukunftsforschung ist gut vernetzt und auf allen Kontinenten sehr aktiv, mit unterschiedlicher struktureller bzw. institutioneller Anbindung. Der international wichtigste Verband ist die World Futures Studies Federation.

Wie lautet der Titel eines studierten Zukunftsforschers?

Master of the Future!

... leider nicht, es ist ganz staubig: Master of Arts Zukunftsforschung.

In welchen Bereichen arbeiten Zukunftsforschende?

Es gibt im Grunde vier Arten der Beschäftigung. Die erste ist wie ich selbstständig bzw. mit einem meist sehr kleinen Forschungsinstitut (PROFORE) unterwegs. Die zweite Art findet man am ehesten in großen Unternehmen in der Nähe der Strategieabteilung - für mich ist die Arbeit im Konzern ungefähr das Gegenteil von Selbstständigkeit und passt nicht zu meinem Naturell. Der Mittelstand springt so langsam auf das Thema auf, nennt es aber meist "Trendscouting" oder ähnliches. Die dritte Beschäftigungsart für Zukunftsforschende ist in der Wissenschaft oder wenigstens freien Forschung, bspw. beim IZT oder verschiedenen Fraunhofer-Instituten; hier besteht ein nennenswerter Anteil der Arbeit darin, Förderanträge zu befüllen, um die kommenden Projekte zu finanzieren - auch nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Die vierte und wohl bekannteste Art sind Trendforschungs-"Institute", die im Wesentlichen aktuelle Trends analysieren und relativ oberflächlich in die Masse tragen. Einige nennen sich Thinktank bzw. Denkfabrik, andere behaupten sogar, sie seien Zukunftsforschungsinstitute, wieder andere gehen sehr offen damit um, dass sie Trendwissen herunterbrechen auf einzelne Branchen und Unternehmen. Auf Anfrage gebe ich gern konkrete Auskunft, welches der Unternehmen in diesem Feld zu welcher Gattung zählt.

Darüber hinaus gibt es natürlich auch zunehmend Aufmerksamkeit in der Politik und öffentlichen Verwaltung sowie zahlreichen NGOs, Vereinen und Verbänden.

Und wie wird die Zukunft?

Diese Frage kommt fast immer als typische Cocktailparty-Frage, wenn ich sage, dass ich Zukunftsforscher bin. Wer kurz darüber nachdenkt, merkt dann schnell, dass die Frage an sich natürlich unmöglich zu beantworten ist. Ich antworte in der Regel mit Gegenfragen; welches Jahr? Für wen? Welcher Bereich der Gesellschaft? Eher die zuversichtliche oder bedrückende Perspektive? Manchmal sage ich aber auch einfach: "Alles super." Zukunft ist erst einmal nur eine grammatische Zeitform und je weiter wir uns von der Gegenwart entfernen, desto mehr Möglichkeiten gibt es - irgendwo zwischen Weltuntergang und Kant'schen ewigem Frieden liegt die Antwort.

Wo auf der Welt ist die Zukunftsforschung bzw. Foresight besonders aktiv?

Das ist schwer zu beantworten. Ursprünglich stammen viele Methoden und damit auch Institutionen aus den USA, aber auch Frankreich, Großbritannien und Deutschland waren grundlegend früh dabei. Aktuell dominieren in der World Futures Studies Federation Stimmen aus Dubai und Singapur, doch auch die lateinamerikanische Community ist sehr aktiv. Eine der wichtigsten internationalen Vordenkerinnen ist wiederum Jennifer Gidley aus Australien, die unter anderem das fantastische Buch "The Future: A Very Short Introduction" (Oxford University Press) geschrieben hat.

Was hältst von Megatrends?

Die ursprüngliche Idee stammt von John Naisbitt aus den 1980er Jahren und wurde nicht nur hierzulande von einigen findigen Unternehmern gekapert und vergoldet. Dass Megatrends empirisch nicht haltbar sind und auch theoretisch bei näherer Betrachtung unsinnig sind, verraten diese Unternehmer selten. Megatrends sind letztlich nicht viel mehr als das Abbild einer globalisierten Welt, in der bestimmte Themen in der kollektiven Wahrnehmung eine größere Rolle spielen als andere. Megatrends sind praktisch der Stammtisch der Trendforschung - man kann kaum widersprechen, aber konkret wird's dann doch nicht. Außerdem entfalten Megatrends auch dadurch eine eigene Dynamik, dass sie gebetsmühlenartig wiederholt werden und gewissermaßen als sich selbst erfüllende Prophezeiung immer wieder die Sau durchs Dorf treiben. Allein der Begriff "mega" sollte aber seriöse Entscheider:innen davon abhalten, sich genau davon infizieren zu lassen.

Die Trend- und Zukunftsforschung hat es in Deutschland nicht leicht. Woran liegt das?

Ich vermute, dass dies genau mit dem missbräuchlichen Umgang mit Trends zu tun hat. Das ist ähnlich wie mit Meinungsumfragen: Wenn ich nicht genau weiß, welche Annahmen und welches Sample die Grundlage für eine Umfrage gelegt hat, sollte ich sie meiden. Trendforschung hat in Deutschland erheblichen Schaden dadurch angerichtet, dass Narrative beispielsweise aus dem Silicon Valley übernommen und als erstrebenswerte Realität verkauft wurden. Aber so einfach ist das Geschäft mit der Zukunft nicht. Doch wer sich als Prophet in der Tradition von Nostradamus sieht und unsinnige, verallgemeinerte Aussagen verbreitet, die kaum jemandem wirklich helfen, sät das Chaos.

Wie erhebt man Daten über die Zukunft?

Gar nicht. Wir arbeiten leider - im Gegensatz zum Video auf meiner Startseite - ohne Zeitmaschine und können nur Daten aus der Vergangenheit und "Gegenwart" erheben und auswerten. Was wir dafür sehr gut können, ist Plausibilität abzubilden und dadurch Gestaltungsräume zu finden, die vorher im Verborgenen blieben. Dadurch sind wir selten wirklich überrascht, wenn im Großen oder Kleinen mal wieder etwas "Unerwartetes" passiert, weil wir uns zwar meist nicht über das konkrete Ereignis, sehr wohl aber ein vergleichbares Event mit ähnlichen Auswirkungen Gedanken gemacht haben.

Wie weit schauen Zukunftsforschende in die Zukunft?

Das hängt von der Fragestellung ab. Für gewöhnlich möchten Unternehmen eher einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren dargestellt bekommen, da sie selbst mit ihrer Strategie und Vision bereits die nächsten fünf Jahre antizipiert haben. Sie wollen sich auf das vorbereiten, was dahinter kommt, aber bitte auch nicht allzu weit. Fair. Öffentliche Auftraggeber sind meist am Zeitraum 10-25 Jahre interessiert. Dann gibt es auch Projekte, in denen es zum Beispiel um die Bau-, Immobilien- oder Forstwirtschaft geht, wo man seit eh und je in einem Jahrhundert denkt. Das ist herausfordernd und ehrlicherweise auch oft inspiriert durch Science-Fiction. Für alles weitere kombinieren wir alles, was wir wissen (die sogenannten known knowns), mit allem, von dem wir wissen, dass wir es nicht wissen (known unknowns). Wir machen aber auch Aussagen darüber, was wir nicht wissen, nicht zu wissen (unknown unknowns) und schätzen auf Nachfrage die potenziellen Auswirkungen ein.

Woran erkenne ich gute Zukunftsforschung?

Das ist wahnsinnig schwierig, da es (noch) keine Standards nach DIN oder ISO gibt. Immerhin hat sich die UNESCO schon vor vielen Jahren dem Thema "Futures Literacy" (dt.: Zukünftebildung) angenommen und einen eigenen Leitstuhl (Chair) dafür eingerichtet. Daneben wäre es aus Sicht eines Auftraggebers unbedingt empfehlenswert, danach zu fragen, ob der:die Auftragnehmer:in die Standards und Gütekriterien der Zukunftsforschung kennt und befolgt - dazu gehört dann Transparenz, Offenlegung der Annahmen, Nachvollziehbarkeit und ein paar weitere. Einen Pocketguide Zukunftsforschung zum Thema gibt es kostenlos auf der Website der FU Berlin.

Gibt es ein Gütesiegel für gute Zukunftsforschung?

Nein, noch nicht - das wäre mal eine gute Aufgabe für das Netzwerk Zukunftsforschung! Dieses hat auch den Sammelband der Standards und Gütekriterien (s.o.) initiiert.

Was ist der Unterschied zwischen Trend- und Zukunftsforschung?

Trendforschung schaut eher auf sehr spezifische Branchen- oder Modetrends. Beispiele dafür sind Prognosen, welche Farbe nächstes Jahr in den Bekleidungsläden dominiert, welcher Antriebsstrang bei Fahrzeugen in zehn Jahren das Rennen gemacht haben wird oder wie die Gen Z* demnächst wählen wird.

Zukunftsforschung stellt grundsätzlich zuerst Fragen, welche Intention mit einem Vorhaben verbunden ist, welcher Zeitraum relevant ist, welche Vorarbeit schon geleistet wurde und ob es wirklich angestrebt wird, bestehende Muster infrage zu stellen. Meine erste Frage bei Projekt- oder Keynote-Anfragen ist: Beauftragt mich die Kommunikation oder die Strategie?

Ich vergleiche die beiden Herangehensweisen, die durchaus beide ihre Berechtigung haben (siehe Beitrag über die Methoden der Zukunftsforschung), gern mit einer Erstbegehung eines dunklen Kellers in einem leer stehenden Haus (= Zukunft). Um herauszufinden, was sich dort unten befindet, geht die Trendforschung vorsichtig die Treppe herunter und hält sich am Geländer fest (= bekannte Rahmenbedingung). Am Ende des Geländers bleibt sie stehen und überbringt den oben Wartenden die frohe Botschaft, dass das Geländer aus Kirschholz besteht, die Verzierungen wunderbar kreativ sind und die Treppenstufen nicht genormt sind. Das ist alles, was im Schein des von oben herunter scheinenden Tageslichts wahrnehmbar war. Was den Rest des Kellers betrifft, bleibt die Trendforschung vage - es war auch nicht ihr Auftrag. Die Zukunftsforschung überlegt sich vorher, ob dort unten im Keller eine Taschenlampe, ein Schutzhelm, eine Fliegenklatsche, vielleicht sogar eine Verteidigungswaffe nötig sein könnte; man weiß ja noch nicht, was einen nach der Treppe erwartet! Allein für die Vorbereitung wendet sie mehr Zeit auf, geht dann aber nach der Treppe deutlich weiter. Sie leuchtet alle Winkel aus, hebt möglicherweise Möbel hoch, und übersieht dennoch garantiert etwas. Und das sagt sie dann auch, wenn sie wieder zurück im Erdgeschoss ist. Weitere Antworten über dort unten befindliche Gegenstände, den Luftdruck, den Staub, etc., gibt sie weiter, wenn sie für die Fragestellung der Erdgeschossler relevant sind.

*Gen X, Gen Y, Gen Z, Gen Alpha... diese Konzepte sind empirisch übrigens kompletter Unsinn und sollten mit Vorsicht behandelt werden! Siehe dazu den glorreichen Aufsatz von Dr. Martin Schröder "Der Generationenmythos". Umgangssprachlich zusammengefasst: es gibt mehr Wert-Unterschiede innerhalb von Geburtenjahrgängen als zwischen diesen Jahrgängen. Noch umgangssprachlicher: Oma und Enkel sind sich in puncto Werte meist ähnlicher als deren Mitschüler oder Kolleginnen.

Was ist der Unterschied zwischen Science-Fiction und Zukunftsforschung?

Science-Fiction (SF) ist eine ernstzunehmende Literaturgattung und einige Werke (Romane, Filme, Serien) machen wirklich einen guten Job in der Modellierung von Zukünften. Das heißt, sie sind in sich plausibel und man könnte argumentieren, dass die beschriebenen Geschichten unter bestimmten Voraussetzungen meist technologischer Natur auch "realistisch" sind. Doch SF ist immer auch polarisierend, denn so funktioniert Unterhaltung: Ich brauche zwar einen Anker, in den ich mich aus meiner heutigen Realität hineinversetzen kann, doch dann muss das Zukunftsbild mit einigen meiner Werte und Weltanschauungen kollidieren, um Emotionen in mir auszulösen.
Zukunftsforschung hingegen extrapoliert und polarisiert weniger. Es geht vielmehr um die Sammlung von quantitativen und qualitativen Daten über einen Forschungsgegenstand, anschließend bilden wir - oft mit Auftraggebern - Annahmen über plausible Projektionen der wichtigsten Schlüsselfaktoren, schätzen dann ein, inwieweit bestimmte Projektionen logisch miteinander koexistieren könnten und dann berechnen wir softwaregestützt, welche Szenarien im Bereich des Möglichen liegen. Insofern sind wir eher Zukunftsarchäologen als Wahrsager oder fiktionale Autor:innen. Natürlich gibt es auch Projekte, in denen wir eher wünschenswerte Szenarien entwerfen, aber die kommen selten aus der Wirtschaft und Verwaltung, eher von NGOs oder einzelnen Teams, die in einem Visionsprozess stecken.

Wenn die Zukunft nicht feststeht, nicht deterministisch ist, warum gibt es dann Zukunftsforschung?

Einfach: Tunnelblick - Geschlossene Systeme sind schlecht in der 360°-Betrachtung, weil sie um ihren Nukleus kreisen. Anders ausgedrückt: Der Zweck jedes Systems - Zelle, Familie, Firma, Regierung - ist, sich permanent darum zu kümmern, dass die Daseinsberechtigung erhalten bleibt (Autopoiesis). Da kann man nur auf Sicht fahren und das ist okay. … Wir bieten ein umfangreiches Set an Orientierung, aus denen sich Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, die natürlich von bestimmten Parametern abhängen. Einfach gesagt: Wir modellieren eine sehr komplexe "wenn, dann"-Matrix, sprechen auch über Wildcards wie Pandemien, Vulkanausbrüche oder sonstige eher unwahrscheinliche, im Eintreten aber einflussreiche Entwicklungen. Daraufhin liegt die Verantwortung wieder beim Auftraggeber, entsprechend die Prozesse, Verträge und Strategien zu überprüfen.

Letztlich verstehe ich mich eher als Komplexitätsmanager und Impulsgeber, um Organisationen zu befähigen, im Rahmen der plausiblen Zukünfte wirksam ihre eigenen Einflusssphären im Einklang mit sozialer und ökologischer Umwelt zu gestalten. Es ist meine feste Überzeugung, dass so viele Menschen wie möglich mehr Zeit mit der Antizipation möglicher Zukünfte verbringen sollten; dann wäre die Welt im besten Fall ein besserer Ort. Im schlimmsten Fall würden einige Menschen etwas Zeit am Tag mit Grübeln verbringen.

Warum hältst du Vorträge (Keynotes) über die Zukunft?

Das hat viele Gründe. Persönlich macht es mir einfach Spaß und ich habe eine Neigung dazu, mich auf Bühnen wohlzufühlen. Wichtiger ist aber, dass besonders auf Veranstaltungen aller Art Impulse über mögliche Zukünfte wahnsinnig wichtig sind. Denn in dem Moment, in dem Zukunftsbilder diskutiert werden, erhöht sich die Chance, dass diese auch eintreten (Propensität) - deshalb neige ich auch zu zuversichtlichen Botschaften. Das Ganze basiert zu einem guten Teil auf Erkenntnissen aus der Forschung und individueller Vorbereitung, letztlich aber natürlich in einem oft eher Entertainment-lastigen Format auch auf einer stringente, unterhaltsamen Argumentation.

Welche Quellen nutzt du für deine Recherchen?

So viele wie möglich, so wenige wie nötig. Pragmatisch gesprochen hängt das auch vom Budget ab. Was aber kontinuierlich passiert, ist das Verfolgen der großen Entwicklungen (Trends) in den Nachrichten (aber bitte nicht täglich), die Lektüre wichtiger Studien nennenswerter Markt- und Meinungsforschungsinstitute, Beobachtung potenzieller Wildcards und natürlich ein gut trainierter Google News Stream. Darüber hinaus führen wir Interviews mit Expert:innen für bestimmte Themen in Projekten oder Podcasts, um tiefgründige Einblicke in deren Zukunftsbilder zu erhalten. Last but not least tausche ich mich mit anderen Zukunftsforschenden und Foresight-Leuten regelmäßig aus, beispielsweise über den Alumniverein des Masterstudiengangs Zukunftsforschung "Kapitel21: Zukunftsforschung", den ich 2013 mitgegründet habe.

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