New Work: Neue Arbeit im Zeitalter der Digitalisierung

Was steckt eigentlich hinter dem Konzept von „New Work"? Was bedeutet Neue Arbeit für Sie als Personaler*in, Unternehmer*in oder Angestellte*r? Ein schneller Ritt durch die schöne, neue Arbeitswelt.

Begriffsbestimmung

Wie es sich für einen pseudo-wissenschaftlichen Beitrag gehört, möchte ich zunächst den Begriff definieren. Denn ich möchte wetten, dass Ihre Idee von New Work eine andere ist als meine und vermutlich auch als die Ihrer Angestellten oder Kolleg*innen.

Immerhin: Der Suchbegriff „New Work“ liefert bei Amazon über 100.000 Resultate, bei buch7.de findet man 39 deutschsprachige Bücher und 3522 Englische. Anschnallen: Wir betreten #Neuland!

Ursprung: New Work nach Bergmann

Das Konzept von New Work hat seine Wurzeln in den USA und wurde vom in Sachsen geborenen US-Österreicher Frithjof Bergmann bereits in den 1980er Jahren entwickelt. Bergmann betrachtete die Entwicklungen der kapitalistischen und kommunistischen Ökonomien kritisch. Als eine heftige Rezession die Automobilstadt Flint in Michigan traf, gründete er dort das erste Zentrum für Neue Arbeit. Dessen Ziel war es, Menschen auf den erwarteten Zusammenbruch der herkömmlichen Wirtschaftswelt vorzubereiten. Erst 2004 veröffentlichte Bergmann seine Ideen im Buch „Neue Arbeit, neue Kultur".

Bergmanns drei zentrale Thesen fußen auf der zunehmenden Automatisierung und Globalisierung. Er projizierte diese beiden Megatrends in die Zukunft und kam zu dem Ergebnis, dass die klassische Lohnarbeit kein tragfähiges Konzept für die Wirtschaft sei.

  1. Im Ergebnis erschien es Bergmann naheliegend, die Erwerbsarbeitszeit deutlich zu reduzieren, weil schließlich nicht genug Arbeit für alle Menschen in einem geographischen Gebiet verfügbar wäre.
  2. Diese Menschen würden ihre Güter für den alltäglichen Gebrauch in Hightech-Eigenproduktion selbst herstellen und in Netzwerken jedem frei zur Verfügung stellen.
  3. Eine starke normative Komponente kritisierte den Überfluss der Konsumgesellschaft, weshalb ein großer Teil der Güter und Waren des täglichen Lebens – so Bergmanns Argumentation – ohnehin überflüssig seien. Der Ansatz war damals natürlich revolutionär und wurde als anarchisch verschrien. Letztlich klingt das aber auch sehr schön, wenn nicht gar utopisch, denn die freigewordene Zeit sollen die Menschen in der schönen, neuen Arbeitswelt mit dem füllen, was sie am liebsten tun und am besten können. Viel mehr Menschen würden sich künstlerisch oder sportlich oder musisch oder floristisch oder, oder, oder… betätigen. Freiwillig.

Deutsche Adaption: Neue Arbeit nach Markus Väth

Obwohl die ersten Anzeichen für einen Wandel der Arbeitswelt spätestens seit der Jahrtausendwende immer offensichtlicher zutage traten, dauerte es hierzulande bis 2016, bis ein vergleichbares Standardwerk für die neue Arbeitswelt erschien. Der Psychologe und Informatiker Markus Väth nannte sein erweitertes und aktualisiertes Konzept „Arbeit – die schönste Nebensache der Welt". Väth bestimmte darin fünf Dimensionen der Neuen Arbeit:

  1. Psychologische Dimension: Ähnlich wie Bergmann erfüllt für Väth die Arbeit für den Menschen einen Zweck, nicht umgekehrt. Die Entfaltung des Individuums soll im Zentrum der Arbeitswelt stehen.
  2. Soziale Dimension: Im Beruf entstehen zwangsläufig mehr oder weniger intendierte zwischenmenschliche Beziehungen. In der neuen Arbeitswelt findet immer mehr Teamarbeit statt, moderne Führungskonzepte wiederum verteilen die Entscheidungsgewalt quasi-demokratisch auf mehrere Schultern der Angestellten.
  3. Technologische Dimension: Nach der großen Welle der Automatisierung im 20. Jahrhundert geht es nun an die Digitalisierung. Ziel dieser Veränderung ist natürlich die Effizienzsteigerung der Unternehmen bzw. Organisationen, welche zwangsläufig zu Veränderungen in der Personalbedarfsplanung führen (maximal objektiv formuliert).
  4. Organisatorische Dimension: In Zeiten des Taylorismus herrschten die starr hierarchischen Organisationsformen mit klarer Linienführung und top down-Entscheidungslogik vor. Diese Art der Organisation weicht einer immer agileren, netzwerkartigen Aufbauorganisation, die auch Platz für (teil-)autonome Teams und „unkonventionelle“ bottom up-Entscheidungswege lässt.
  5. Politische Dimension: Diese Dimension bezieht schließlich die externe Politik mit ein, die die Rahmenbedingungen für Gesundheit, soziale Gerechtigkeit, Lohnniveau und Arbeitsschutz schneller den aktuellen Gegebenheiten anpassen muss. Diese Anforderung adressiert natürlich die politische Exekutive, namentlich die Bundesregierung und die Bundesministerien (insbesondere die Ministerien für Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Justiz und Finanzen).
    Markus Väth bloggt unter anderem zu New Work und hat in einem unterhaltsamen Artikel Ende Mai 2019 der deutschen Politik bescheinigt, dass auch New Work #neuland für sie ist.

Neue Definition New Work

In einer mir vorliegenden Bachelorarbeit (siehe Quellen) hat der Autor basierend auf einer qualitativen Expertenbefragung im Jahr 2019 eine – wie ich finde – gute neue Definition für Neue Arbeit entwickelt:

„New Work bezeichnet eine neue Form der Arbeit, welche die Selbstverwirklichung des Individuums im Arbeitsprozess in den Mittelpunkt stellt [!] und deren Ursprungsbezeichnung auf den Philosophen Frithjof Bergmann zurückgeht. Damit ist New Work ein Gegenbeispiel zur klassischen, linearen, hierarchischen Organisations- und Arbeitsform, in welcher der Mensch als Produktionsmittel wahrgenommen wird. New Work ist dabei mehr als nur Arbeitsweise, sondern hat Auswirkungen auf die Organisationsform. Dabei ist New Work aber keine einheitliche Denkschule, sondern kann in Bezug auf Arbeitsfelder, Miteinander und Arbeitsergebnisse – dabei sowohl auf deren Sinnhaftigkeit als auch auf deren gesellschaftlichen Mehrwert – individuell auf Unternehmen und Arbeitnehmer ausgerichtet sein.“

Exkurs: Industrielle Revolution(en)

Wir sind uns alle einig, dass der technologische Fortschritt einen Einfluss auf unser Verständnis von Arbeit hat. Immerhin tragen die meisten Arbeitnehmer*innen in Deutschland mit ihrem Smartphone auch 2019 noch einen schnelleren Computer in ihrer Hosentasche herum und nutzen barrierefreiere Angebote als das in ihrem Arbeits-PC möglich oder erlaubt wäre. In der Arbeitswelt wirft die Digitalisierung oder auch vierte industrielle Revolution ihre Schatten voraus. Ein kurzer Überblick über die industriellen Revolutionen:

  • 1. industrielle Revolution: Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft und Beginn der Urbanisierung hat vor allem Landarbeiter verdrängt, verabschiedet den Feudalismus als vorherrschendes Gesellschaftssystem. Beginn ab ca. 1780, Epizentrum: britische Baumwollindustrie.
  • 2. industrielle Revolution: Die zunehmende Mechanisierung und Elektrifizierung bringt viele Fließbandarbeiter um ihre Jobs und festigt das kapitalistische Wirtschaftssystem. Beginn ab ca. 1870, prominentestes Beispiel ist die massenhafte Automobilfertigung von Henry Ford (USA) in den 1910er Jahren.
  • 3. industrielle Revolution: Die mikroelektronische Revolution ersetzt einfache Hilfsarbeiten und setzt die ökonomische Globalisierung in Gang. Beginn in den 1970er Jahren mit dem Siegeszug der kommerziellen Computer und der ersten Industrieroboter – Sie ahnen, wo der Ursprung liegt. Richtig: Im Silicon Valley (auch USA).
  • 4. industrielle Revolution: Neue Grundlagentechnologien sind in dieser Revolution nicht hinzugekommen, doch die Vernetzung durch das globale und vor allem zunehmend mobile Internet entfaltet seit den 2010er Jahren ihr Potential. Beginn: 2007 mit Einführung des iPhone und 2010 mit der Einführung des 3G-Standards für mobile Internetverbindungen, ausgehend von den USA, aber bald (fast) global verfügbar. Die Welt wächst zusammen. Aber: Nicht zuletzt aufgrund des von der deutschen Regierung geprägten Begriffs „Industrie 4.0“ wird die tatsächliche Existenz des Revolutionscharakters kontrovers diskutiert; manch eine*r spricht höchstens von einer zweiten Phase der 3. industriellen Revolution.
  • Kurzer Ausblick: Spätestens mit dem bevorstehenden Durchbruch bei Quantencomputern sowie der künstlichen Intelligenz werden Digitalisierung und Globalisierung eine neue Stufe erreichen. Homo sapiens steht damit anthropologisch betrachtet auf einer neuen Grundlage (vgl. Yuval Noah Harari). Auch im Büroalltag wird es bald völlig normal sein, dass einige Kolleg*innen nur aus Programmcode bestehen; sie sind lernende Algorithmen, die im kommenden Jahrzehnt zunehmend Entscheidungen treffen werden. Das fängt bei einfachen Dingen wie Terminvereinbarungen an (vgl. Amy AI), macht aber auch vor heutigen Expertenaufgaben nicht Halt. Die Software von NDALynn oder Lawgeex prüft Verschwiegenheitsvereinbarungen (NDAs) schon heute präziser und viel schneller als Fachanwälte, die ihr Leben lang nichts anderes gemacht haben. Je mehr Entscheidungsgewalt auf die künstlichen Kollegen (Roboter bzw. Algorithmen) übertragen wird, je mehr diese in der Lage sind sich und ihre Interessen zu artikulieren, desto dringlicher wird auch der Bedarf nach rechtlichen Rahmenbedingungen und betrieblicher Mitbestimmung. In der Schweiz wurde im Dezember 2018 ein Roboter in die traditionsreiche Gewerkschaft „Verband Angestellte Schweiz“ aufgenommen, nachdem ein Robo-Kollege in Großbritannien entlassen wurde. Denn selbstverständlich machen die künstlichen Kollegen auch Fehler. Und als Korrektiv dafür muss aktuell noch das vorherrschende Rechtssystem herhalten; Unternehmen haften für ihre Kinder, äh, KIs. Dabei wird es immer komplizierter festzustellen, auf welcher Grundlage eine KI Entscheidungen trifft oder sich auf diese oder jene Weise verhalten hat. Bis zum Jahr 2030 werden die Kinderkrankheiten aber längst der Vergangenheit angehören. Die Auswirkungen auf menschliche Beschäftigte sind einerseits noch unklar, andererseits liegen sie vor allem in der Verantwortung der Arbeitgeber und der Politik.
    Es gehört zweifelsohne zu den Charakteristika solcher Revolutionen, dass bestehende durch neue Handlungsmuster auf allen gesellschaftlichen Ebenen ersetzt werden. Ebenso gehört es zu den bitteren Wahrheiten, dass im kapitalistischen System das Leitmotiv „Gewinnmaximierung“ nicht immer zugunsten der Beschäftigten entscheidet. So gab es in allen industriellen Revolutionen vor allem Massenentlassungen („Rationalisierungen“) und zumindest in Europa historische Massendemonstrationen (bspw. den Weberaufstand 1844, Widerstände gegen die Eisenbahn im 19. Jahrhundert, Taxifahreraufstände 2019, bald Automobil-Zulieferer-Aufstand…). Genauso können wir es aktuell beobachten. Und es werden noch viele Meldungen über Massenentlassungen folgen, nicht zuletzt weil Arbeitgeber und Arbeitnehmerorganisationen sich aus nachvollziehbaren, aber unvernünftigen Gründen gegen „disruptive“ Technologien sperren.

Wir halten folgende Formel fest: Technologiesprung + Kapitalismus = industrielle Revolution.

Zurück zum Leitthema, oder eher: Leidthema?

Willkommen zurück im Jahr 2019.

Industrielle Revolution hin oder her, das dürfen die Historiker der nächsten Generation beurteilen. Die Arbeitswelt unterliegt einem Wandel, dieses Mal mischen aber noch mehr Faktoren mit. Neben Technologiesprüngen und dem Kapitalismus spielen für die Debatte um New Work zwei weitere wichtige Faktoren eine wichtige Rolle: demografischer Wandel und Wertewandel.

Demografischer Wandel

Der Begriff an sich ist eigentlich bescheuert. Demografie befindet sich immer im Wandel, jede Sekunde sogar. Im Volksmund wissen wir in den westlichen Industriestaaten aber alle, was damit gemeint ist: die bevorstehende Überalterung der Gesellschaft(en).

Woher kommt das? Die sehr geburtenstarken Nachkriegsgenerationen, auch Babyboomer genannt, stehen altersmäßig kurz vor dem Renten- bzw. Pensionsalter. (Was das für Unternehmensnachfolgen bedeuten wird, habe ich mal als Co-Autor einer wissenschaftlichen Zukunftsstudie untersucht.) Die Generation danach wird nicht ohne Grund auch „Pillenknick-Generation“ genannt: Nach der Markteinführung der Anti-Baby-Pille kamen signifikant weniger Menschen zur Welt, auch andere Verhütungsmittel und der offenere Diskurs über Schwangerschaftsverhütung sowie HIV-Prävention spielen in die Statistik. Das Phänomen hat bis heute Bestand.

Nicht zuletzt erlebten die westlichen Staaten in den 1950er Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung (goldene 50er) und paradoxerweise führt Wohlstand zu weniger Geburten, das gilt sogar in Entwicklungsländern wie Indien oder Bangladesch (an die Soziologen: natürlich ist das kein monokausaler Zusammenhang, ich weiß).

Jedenfalls sterben schon seit 1972 in Deutschland mehr Menschen als geboren werden, gleichzeitig werden die Alten älter. Nicht ohne Grund wurde die Sicherheit der Rente schon in den 1990er Jahren infragegestellt.

Die demografische Entwicklung führt damit geradewegs in eine Welt des Arbeits- und Fachkräftemangels sowie des Altersüberschusses. Kombinieren wir diese Einflussfaktoren, erkennen wir für das Thema New Work zwei zentrale Konsequenzen der Demografie:

  1. Der Wert menschlicher Arbeit nimmt zu. Es war noch nie so leicht für qualifizierte Fachkräfte, einen Job zu finden (persönliche Mobilität vorausgesetzt). Was für Informatiker und einige Ingenieursberufe seit einem guten Jahrzehnt gilt – regelmäßige Abwerbeversuche anderer Arbeitgeber zu immer besseren Konditionen – gilt für auch immer mehr Sozial- oder Geisteswissenschaftler*innen. Und natürlich für Mediziner*innen. Sie suchen sich ihren nächsten Arbeitgeber an dem Tag aus, wenn sie eine neue Stelle antreten. Fordern ein Sabbitical, mehr Urlaubstage, bessere Sozialleistungen und so weiter. Viele Unternehmen in westlichen Industriestaaten wiederum sind in einer Zeit des Fachkräfteüberflusses gewachsen. Sie wissen oft nicht, wie sie mit anderen Mitteln als ihrer Marke und einem sicheren Einkommen um Fachkräfte werben sollen, wenn überhaupt. Employer Branding kann man deshalb inzwischen studieren. Dazu gehört inzwischen mehr als kostenloses Wasser und Obst am Arbeitsplatz. Haben Sie schon mal über Wohnzuschüsse für die Eltern Ihrer Angestellten nachgedacht? Oder Subventionen für temporäre Expat-Office-Aufenthalte auf Bali? Oder demokratische Wahlen der Geschäftsführung?
  2. Wirtschaftlich agierende Organisationen, in der Regel Unternehmen, müssen Arbeitsprozesse automatisieren. Dieser Befund ist heutzutage einer der zentralen Treiber für technologische Innovation, denn wenn ein Unternehmen keine Arbeitskräfte mehr durch die besten Employer Branding-Strategien findet, muss es neue Wege finden, den Profit zu maximieren. Nach einer Prognos-Studie fehlen 2030 drei Millionen Fachkräfte. Fachkräfte! Nicht „nur“ Arbeitskräfte. Damit gemeint sind lediglich die Spezialist*innen bzw. Expert*innen! Und heute stehen die Züge der Deutschen Bahn schon regelmäßig still, weil das Personal für die Stellwerke oder Loks fehlt. Dabei weiß ich aus sicherer Quelle, dass gerade der DB-Konzern recht früh damit angefangen hat, Gegenmaßnahmen zu ergreifen…

Wertewandel: Generation X, Generation Y, Generationsbrei…

Danke, Prof. Dr. Martin Schröder!

Im Oktober 2018 stieß ich auf seinen Beitrag in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (drauf gestoßen hat mich Spiegel Online). Endlich gibt es empirische Ergebnisse, die die gängigen Annahmen über „Generation X“, „Generation Y“, „Generation Z“ etc. widerlegen. Natürlich gibt es einen sich wandelnden Zeitgeist, natürlich wird ein Wertewandel durch Generationenwechsel beschleunigt. Und natürlich ist die Jugend verroht und respektlos, das wusste schon Sokrates. Aber es ist falsch zu behaupten, dass eine Geburtenkohorte in sich gefestigt über diese oder jene (insgesamt homogene) Wertvorstellungen verfügt oder Entscheidungen immer auf dieselbe Weise trifft. Nun endlich auch wissenschaftlich belegt.

Der gesellschaftliche Wertewandel vollzieht sich also dynamisch und relativ unabhängig vom Geburtsjahr, sondern orientiert an der aktuellen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen Gesamtsituation. Meiner Generation werden beispielsweise eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne und postmaterielle Ideale zugeschrieben – das erklärt noch lange keine Inflation von Achtsamkeitstrainings und die Absatzzahlen von Tablets bei über 45-Jährigen.

Was wir aber sehr wohl festhalten können ist ein steigender Drang zur Subjektivierung, auch Individualismus genannt. Parallel vollzieht sich ein Bruch mit dem Determinismus, sprich der Weltanschauung, dass ein oder mehrere göttliche(r) Schöpfer das Schicksal jedes Lebewesens bestimmt/bestimmen. Immer mehr Menschen nehmen ihre Lebensläufe selbst in die Hand, gehen – besonders in Sozialstaaten – höhere Risiken ein, sehen Arbeit nicht mehr als das zentrale Element ihres Lebens. Immerhin will man ja was erleben! Schließlich erfreuen wir uns einer steigenden Gleichberechtigung der Geschlechter, Kulturen, Religionen und weiteren Kategorien. (Über die weiteren, spannenden Auswüchse des Wertewandels schreibe ich vielleicht mal an anderer Stelle etwas, aber das war’s im Wesentlichen für das Thema New Work.)

Konkrete Folgen für den Arbeitsmarkt:

  • Immer weniger Menschen hegen den Wunsch, ihr Erwerbsleben bei nur einem Arbeitgeber zu verbringen.
  • Immer mehr sehen lebenslanges Lernen mit teils obskuren Richtungswechseln als Erfüllung.
  • Immer mehr Menschen sind beruflich Selbstständige (Statistik, mehr Startups. auch mehr Gründungen durch Ältere) oder fristen als Freiberufler ihr flexibles Dasein.
  • Immer mehr Frauen rücken in Führungspositionen oder gründen Unternehmen – dasselbe gilt für homo-, trans- und intersexuelle Menschen sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Langsam, aber immerhin.

Mini-Fazit Demografie und Wertewandel

Die Arbeitswelt unterliegt erheblichen exogenen und endogenen Treibern der Veränderung. Wer noch nicht angefangen hat, sich mit New Work zu beschäftigen, sollte genau jetzt starten. Aber Sie lesen diese Zeilen vermutlich aus dem Grund, weil Sie schon im Thema stecken… das ewige Paradoxon setzt sich fort. Wenn Sie jemanden kennen, der mit New Work noch nichts verbindet – nutzen Sie bitte die Teilen-Funktion dieses Beitrags für Xing, Linkedin, Mail oder ein Format Ihrer Wahl. Danke! Und jetzt: weiter im Text.

Zwischenfazit: Warum New Work? Warum jetzt?

Erwerbsarbeit, ein historisch relativ junges Konstrukt, unterliegt großen Umschwüngen. Dieser stetige Wandel wurde bislang vor allem durch technologische und politische Umwälzungen angestoßen. Die stärksten derzeit wirkenden Einflüsse bzw. Trends lauten:

  • Die Digitalisierung entfaltet so langsam ihr volles Potential. Gemeint ist nicht bloß die Elektrifizierung und Automatisierung vormals mechanischer (Arbeits-)Prozesse. Die Vernetzung der wachsenden Weltgemeinschaft (Globalisierung 2.0) und des globalen Arbeitsmarkts hat erst vor wenigen Jahren eingesetzt.
  • Der demografische Wandel zwingt Arbeitgeber in die Situation, automatisieren zu müssen. Arbeitnehmer profitieren von der Überalterung der Gesellschaft, sodass immer mehr Qualifikationen oder Professionen unter Hochdruck gesucht werden – und Beschäftigte sich immer mehr ganz mündig und selbstbestimmt ihre Erwerbsbiographie stricken.
  • Der Wertewandel in liberalen, demokratischen Staaten ermöglicht die aktive Teilhabe vormals unterdrückter Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig werden die Bedingungen für die berufliche Selbstverwirklichung immer günstiger.Schließlich zeigt die relative Reife der New Work-Diskussion, dass wir weit davon entfernt sind, eine einheitliche Definition für Neue Arbeit zu entwickeln. Es sind allenfalls Stoßrichtungen der Transformation; das Ergebnis wird bei jeder Organisation anders aussehen.

Was bedeutet New Work für Organisation und Management?

Selbstverständlich stehen wir noch am Beginn der Transformation. Oder stecken mittendrin. Das hängt von Ihrem Standpunkt und der Rhetorik ab. Wichtig ist, dass New Work per Definition kein abschließbarer Prozess sein kann – kein Change-Prozess mit einem konkreten Ziel.

Mindset shifts for organization transformation (new work)Aaron Sachs und Anupam Kundu haben eine schöne bildliche Darstellung entwickelt, die die fundamentalen Richtungswechsel darstellt. Ich versuche mich auch in meinen Keynotes immer mal gern an einer Erläuterung. Nun auch hier:

  • Unternehmenszweck: Natürlich müssen Unternehmen Gewinn (profit) erwirtschaften. In Wirklichkeit müssen sie sich aber viel stärker an einem Sinn (purpose) orientieren – das macht übrigens auch die Personalarbeit leichter. Im nächsten Schritt wird die strikte Formulierung von Prozessen weniger benötigt, da jede*r einzelne Mitarbeiter*in den Sinn so sehr verinnerlicht hat, dass das Ziel mit eigenen Mitteln erreicht werden kann. Oft auch unkonventionell, eben individuell auf die Bedürfnisse und Stärken der Persönlichkeit zugeschnitten.
  • Aufbauorganisation: Verabschieden Sie sich von starren Hierarchien und machen Platz für Netzwerke. Agile Projektteams, in denen auch mal die Geschäftsführung als einfache Teamplayer einer Projektleiterin unterstellt sind – kein Novum mehr in Unternehmen an der Spitze der New Work-Bewegung. Eine Kienbaum-/StepStone-Studie hat 2017 nachgewiesen, dass mit steigender Durchlässigkeit der Hierarchieebenen der Unternehmenserfolg messbar steigt (von funktional über Matrix über gar keine Abteilungen zu divisional und schließlich agil).
  • Personalführung: Gemäß dem tayloristischen System müssen Führungskräfte ihre Angestellten eng führen und kontrollieren, weil sie ja schließlich selbst nicht in der Lage sind, eigenständig zu handeln. Überprüfen Sie gern mal Ihr Prozesswerk, das haargenau diese und jene Schritte für die einfachsten Tätigkeiten festlegt – dadurch wird Menschen das eigenständige Denken abgewöhnt. Viel wichtiger ist in der Neuen Arbeitswelt die Befähigung (empowering) der Beschäftigten: durch eine offene, faire Feedback-Kultur, intrinsische Anreize, eine gesunde Fehlerkultur und Zugeständnisse bei Entscheidungswegen.
  • Produktentwicklung: Die deutsche Innovationskultur zeichnet sich durch einen perfektionistischen Tüftlerdrang aus. Die Metapher ist der schwäbische Tüftler, der in seiner Garage eine Idee jahrelang bis zum perfekten, marktfähigen Produkt entwickelt – zwischendurch ein Patent anmeldet und ein Marktforschungsinstitut mit einer repräsentativen Studie seiner Zielgruppe beauftragt. Bei immer kürzer werdenden Innovationszyklen auf immer diffuseren Märkten kann diese Taktik nicht mehr funktionieren. An der Stelle müssen sich Erfinder*innen und Entwickler*innen eine Scheibe aus dem Silicon Valley abschneiden und mehr experimentieren. Und zwar in der Realität. Ein Prototyp bzw. Pretotyp (oder auch MVP, minimum viable product) ist egal für welche Idee (ausgenommen vielleicht Hochsicherheitslösungen) schnell entwickelt, wird dann an eine begrenzte Testgruppe herangeführt, um Feedback zu erhalten, dieses anschließend umzusetzen und mit einer überarbeiteten Fassung erneut an die Öffentlichkeit zu gehen. Selbst die ersten Fahrzeuge von Tesla verfolgten dieses Ziel; in den Fahrzeugen war so viel unfunktionale Sensorik verbaut, die nur dem Zweck diente, Daten über das Nutzungsverhalten zu sammeln und mit einer massiven Support-Offensive die oft noch unzufriedenen, oft unbewussten Test-Fahrer bei Laune zu halten.
  • Daten: Das leidige Thema Datenschutz und Betriebsgeheimnisse. Die „alte Welt“ funktioniert nach strikten Wettbewerbsregeln, in denen Unternehmen ihre interne Entwicklung hermetisch abschirmten. Wieder bemühe ich die steigende Innovationsgeschwindigkeit als Gegenargument: in einer globalisierten Welt können Sie sich sicher sein, dass ein*e Entwickler*in irgendwo auf dem Globus exakt dieselbe Idee schon mal gedacht hat wir Ihr Entwicklerteam. Ideen wachsen nur durch Diskurs und Experimente. Besonders in heterogenen Gruppen gedeihen diese umso besser – eine Erklärung für die wachsende Anzahl teils brancheninterner Allianzen, wie zwischen BMW und Daimler oder Kooperationen zwischen TÜV NORD und TÜV SÜD, die ich leiten durfte. Darüber hinaus findet immer mehr Ideen- und Innovationsaustausch auf oft noch informellen Treffen statt, während andernorts Innovativität noch an der Anzahl der angemeldeten Patente gemessen wird. Wenn die Anmeldung eines Patents ca. zwei Jahre dauert, der Konkurrent dieselbe Lösung aber zwischendurch auf den Markt bringt, nützt dem besten Erfinder das Postkartenformat im Hausflur genau gar nichts.

Schlussstrich und Ausblick: Digitalisierung führt zu New Work

Der Druck auf den Arbeitsmarkt ist groß. Digitalisierung, Demografie, Arbeitnehmerbewusstsein, Globalisierung… Im Ergebnis erwarten Optimisten, dass die Neue Arbeit keine Umstellung für den einzelnen Menschen sein wird, sondern viel enger auf die Bedürfnisse abgestellt ist. Flexible Arbeitszeiten und -orte (wie Homeoffice), BYOD (bring your own device), interessen- und stärkenbasierte Einsatzzwecke und vieles mehr. In ein paar Jahrzehnten werden sich Historiker über unsere Epoche der tayloristischen Erwerbsarbeit und Aufbauorganisation mit einer ähnlichen Distanz und Unverständlichkeit äußern wie wir heute über Sklaventum oder Feudalismus urteilen.

Es gibt viel zu tun. Packen wir es an! … und wenn Sie Unterstützung bei der Umsetzung oder Inspiration für Ihre Mitarbeiter (oder Vorgesetzten) wünschen: kontaktieren Sie mich.

Ausgewählte Quellen

Dittrich, Bob (2019): New Work. Eine qualitative Expertenbefragung (Bachelorarbeit, unveröffentlicht).

Eilers, Frank (laufend): Arbeitsphilosophen Podcast: https://www.einfach-eilers.com/arbeitsphilosophen.

Mason, Paul (2015): Postkapitalismus.

Schröder, Martin (2018): Der Generationenmythos. Online.

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