Ohne Nachhaltigkeit geht die Welt bald unter
Ohne Nachhaltigkeit geht die Welt bald unter. Soweit die sehr verkürzte Zusammenfassung der aktuellen Debatten rund um den Klimawandel, Klimakrise oder Klimakatastrophe – abhängig von Medium und Organisation. Dass Nachhaltigkeit sehr viel mehr als Umweltschutz umfasst, wird sehr schnell deutlich, wenn man sich eingehend mit verschiedenen Konzepten befasst. In diesem Beitrag gebe ich einen Überblick über die drei wichtigsten Dimensionen der Nachhaltigkeitsdebatte: die ökologische, die soziale und die ökonomische, auch bekannt als Triple Bottom Line oder Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit.
Eine ganz kurze Geschichte der Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist kein Trend. Trends zeichnen sich durch eine kurze Lebensdauer aus, sie tauchen kurzfristig und in der Regel nur in einer oder wenigen gesellschaftlichen Sektoren auf – so wie Trendfarben in der Mode oder Geschmacksrichtungen bei Limonaden. Nachhaltigkeit wiederum wurde erstmals bereits im Jahr 1713 vom sächsischen Forstwirt Hans Carl von Carlowitz beschrieben: In seinem epochalen Werk „Sylvicultura oeconomica“ (1713, Neuauflage 2022) beschrieb er bereits die Grundlagen einer „nachhaltenden“ Wirtschaft. Richtig, mehr als ein halbes Jahrhundert vor Beginn der Industrialisierung. Es war also bereits bekannt, welche Auswirkungen menschliches Handeln, insbesondere durch das Abholzen und Verbrennen von Holz, auf die natürliche Umwelt hat.
Diese fundamentale Erkenntnis, dass die ökologischen Ressourcen nicht – wie vorher gedacht – endlos seien, wurden einerseits in den folgenden Jahrhunderten und zum Teil bis heute vielfach ignoriert, andererseits wuchs die wissenschaftliche Evidenz über die Thesen von Carlowitz‘. Sie gipfelten vorerst in der ersten interdisziplinären und computermodellierten Studie über „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 im Auftrag des Club of Rome, geschrieben von Donella und Dennis Meadows. Infolge dieser Veröffentlichung entstanden weltweit erste „grüne“ Parteien, das Thema Umweltschutz und Klimawandel gelang erstmals auf die politische Agenda, angesichts der damaligen Ozonproblematik kam es relativ schnell zu strikter, teils global koordinierter Umweltgesetzgebung, wie u. a. das globale Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) in technischen Geräten eindrucksvoll zeigte. Diverse globale Klimakonferenzen brachten (fast) alle Staaten der Welt immer wieder zusammen, um Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zu beschließen.
Somit ist Nachhaltigkeit sogar zu groß für einen Megatrend. Es handelt sich dabei eher um einen Gigatrend, der uns nie wieder loslassen wird. Wie wir nachhaltiger leben und wirtschaften können, schauen wir uns jetzt konzeptionell an.
Die Triple Bottom Line / Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit
Mehrere Konzepte der Nachhaltigkeit kommen zu einem ähnlichen Schluss: Es genügt nicht, Umweltschutz voranzubringen, um das Klima zu schützen oder die Erderwärmung aufzuhalten. Um staatliche Ausgaben in den Naturschutz zu rechtfertigen oder unternehmerische Anreize für nachhaltigere Produktion zu setzen, braucht es auch ein Bewusstsein der Menschen für die Notwendigkeit des Umdenkens. Nun sind aber nicht alle Menschen mit derselben Bildung, demselben ethischen Grundgerüst oder einer hinreichenden wirtschaftlichen Situation ausgestattet. Wie sagte Berthold Brecht so passend sinngemäß: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Oder: Erst kommt der Neuwagen, dann die Nachhaltigkeit.
Offensichtlich hat Nachhaltigkeit erstens mehr als eine Dimension – dazu kommen wir noch – und zweitens sind diese Dimensionen miteinander verbunden und verstärken sich drittens zum Teil sogar wechselseitig. Wird es dauerhaft deutlich wärmer auf der Erde, werden einige Regionen unbewohnbar, was zu sozialen und ökonomischen Krisen führen wird. Oder: Ohne grundlegenden Zugang zu demokratischen Institutionen oder das Recht auf freie Meinungsäußerung wird es äußerst schwer, soziale Nachhaltigkeitsziele wie Gleichberechtigung der Geschlechter oder bessere Bildungschancen sowie Teilhabe zum öffentlichen Leben für alle Menschen zu erreichen.
Viele der Nachhaltigkeitsziele wurden in den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (engl. sustainable development goals, SDG) formuliert, die wiederum aus den Millennium Goals hervorgingen. Sie sind nicht perfekt, sie beinhalten einige neokoloniale Perspektiven, doch sie sind das beste und globalste, was uns aktuell zur Verfügung steht. Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele sowie deren Unterziele, diverse Veröffentlichungen und Fortschritte werden von den Vereinten Nationen online gepflegt. In diesem Beitrag soll es aber um die unterschiedlichen Dimensionen gehen. Das statistische Bundesamt pflegt auf einer eigenen SDG-Website die Indikatoren für Deutschland.
Im Schaubild des Stockholm Resilience Center der Stockholmer Universität sehen wir eine (!) Aufteilung der 17 SDG in mehrere Dimensionen, die aufeinander aufbauen. Das Fundament für sämtliche menschliche Aktivitäten bildet die Ökologie bzw. Biosphäre. Darauf basiert die Gesellschaft (society), darauf wiederum die Wirtschaft (economy) und schließlich schwebt über allem die Vernetzung verschiedener Institutionen.
Ökologische Dimension der Nachhaltigkeit
Hierzu werden die SDGs 6, 13, 14 und 15 eingeordnet, also:
Es liegt fast auf der Hand, dass diese Ziele allein nicht ohne Unterziele erreicht werden können. Die Links in der Liste führen Sie direkt zu den Unterzielen und genaueren Beschreibungen. Klar ist: Ohne Fortschritte in diesen zahlreichen Unterzielen wird die Biodiversität, also die Anzahl und Komplexität der pflanzlichen und tierischen Arten auf dem Planeten, weiter massiv sinken – mit gravierenden Folgen auch für die Menschheit.
Soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit
Hierzu zählen die Ziele 1-5, 7, 11 und 16, also:
- Keine Armut
- Kein Hunger
- Gesundheit und Wohlergehen
- Hochwertige Bildung
- Geschlechtergleichheit
- Bezahlbare und saubere Energie
- Nachhaltige Städte und Gemeinden
- Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
Diese Liste der gesellschaftlichen Faktoren der Nachhaltigkeit verleiht ein Gefühl dafür, wie umfangreich die Herausforderungen für Politik und Zivilgesellschaft sind. In den meisten europäischen Staaten ist der Status Quo bereits vergleichsweise fortgeschritten; sicherlich gibt es berechtigte Kritik am Zustand jedes einzelnen Faktors und wie politische Entscheidungen die Entwicklung einzelner Faktoren langfristig möglicherweise sogar gefährden könnten. Einig sind sich jedoch viele Wissenschaftler:innen, dass ein solides Fundament in diesen Zielen auf Ebene der Gesellschaft eine Bedingung dafür ist, um wahre Nachhaltigkeit erreichen zu können. Keine leichte Übung. Und einer der Gründe, warum es mehr Aufklärung über diese miteinander verwobenen Themengebiete geben muss.
Ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit
Ohne Wirtschaft keine Nachhaltigkeit – doch dann bitte richtig. Zur ökonomischen Dimension zählen die Ziele 8-10 und 12, also:
- Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
- Industrie, Innovation und Infrastruktur
- Weniger Ungleichheiten (zwischen Staaten)
- Nachhaltiger Konsum und Produktion
Spätestens an diesem Punkt wird ersichtlich, dass es eine Frage der Perspektive ist, was „menschenwürdig“ bedeutet – beispielsweise ist die von der Weltbank definierte Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar am Tag durchaus umstritten. Auch der Begriff „nachhaltiger Konsum“ ist schwierig zu fassen, da letztlich jeder Konsum den Bedarf von Ressourcen und Energie mit sich bringt, was genau genommen nur in geschlossenen Kreisläufen (Stichworte Kreislaufwirtschaft oder cradle-to-cradle) wirklich „nachhaltig“ sein kann. Davon sind wir jedoch noch weit entfernt. Doch das hier ist ja ein Zukunfts-Blog 😉
Über diesen drei Kerndimensionen schwebt letztlich das SDG 17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele. Spätestens nach der Operationalisierung in Ziele, Unterziele und Messindikatoren wird nämlich deutlich, dass all dies nicht durch einzelne Organisationen oder Regierungen erreicht werden kann. Stattdessen ist ein beispielloser Kraftakt notwendig, um das angesammelte Wissen über die diversen Nachhaltigkeitsbereiche aus unterschiedlichsten Forschungsgebieten und Regionen zu dokumentieren, zusammenzufassen, in die politischen Gremien unter Beteiligung der Zivilgesellschaft einzubringen und die Fortschritte auf dem Weg in die Zukunft zu begleiten.
Fazit
Die Triple Bottom Line bzw. Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit ist – wie jedes Modell – nicht perfekt, sondern immer im jeweiligen Kontext zu betrachten. Ein wesentlicher Nutzen ist die Erhöhung der Sichtbarkeit von Komplexität der Nachhaltigkeit. Ein wesentlicher Nachteil ist, dass die unterschiedlichen Denkrahmen und unterschiedliche ethische Schwerpunkte darin keinen Platz finden. Somit bleiben die Nachhaltigkeitsziele im Stadium eines zahnlosen Tigers verharren, da sie nicht bindend sind; das wiederum führt nicht nur mich zur eher nüchternen Einschätzung, dass die Zielmarke zur Erreichung der SDG für das Jahr 2030 nahezu unmöglich ist, zumal kulturelle Aspekte in der Regel eine zu geringe Rolle bei solchen Zielen spielen – in der Realität aber nicht vernachlässigt werden sollten.
Unterm Strich werbe ich jedoch dafür, wenigstens gut gebildeten Menschen die Zusammenhänge der drei Dimensionen von Nachhaltigkeit immer wieder zu zeigen. Denn letztlich hängt, so der eindeutige Konsens in Zukunfts- und Klimafolgenforschung, das Wohlbefinden und die Stabilität der menschlichen Zivilisation direkt vom Gelingen von Nachhaltigkeit ab. Insofern lade ich Sie herzlich dazu ein, diesen Beitrag mit Ihrer Filterblase zu teilen – und, falls noch nicht geschehen, tragen Sie sich gern für den Newsletter ein. Dort wird es nächstes Jahr eine Reihe aufregender Neuigkeiten in diesem Themenkomplex geben!