Whitepaper HR: Das Ende der Personalabteilungen. Warum sich HR selbst abschafft.

Das Ende der Personalabteilungen.

Warum sich HR selbst abschafft.

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von Zukunftsforscher.de und Digital Competence Lab mit einem Vorwort der Corporate Health Initiative

Kernthesen auf einen Blick

Themen:

  • Recruiting: Vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt
  • Organisation: Die Wahrheit hinter „New Work“
  • (Projekt-)Management: Holokratie ist das neue Scrum
  • Paradoxon: Digitalisierung steigert den Wert menschlicher Interaktion
  • CARE: Personalstrategie in einem Wort

Dieses Whitepaper ist eine pointierte Darstellung der Schlüsselkompetenzen für zukunftsfähige Personalstrategien. Grundlage sind Erkenntnisse der wissenschaftlichen Zukunftsforschung und praktischer Erfahrungen der Autoren. Fünf Dimensionen rahmen die wichtigsten Handlungsfelder für Personalverantwortliche in kleinen, mittelständischen und großen Unternehmen.

Recruiting: Arbeitgeber bewerben sich bei ihren Arbeitnehmern – dieser Trend weitet sich im kommenden Jahrzehnt auf sämtliche Qualifikationsbereiche aus. Organisationen benötigen einen automatisierten Personalprozess: prädiktive Erkennung von Bedarfen, Analyse von Emotionen und Psychogrammen, fluides Bewerber– und Mitarbeitermanagement.

Organisation: Personalarbeit wird nicht mehr sinnvoll in einer Abteilung gedacht, sondern dezentral. Die gesamte Aufbauorganisation ist betroffen. New Work ist keine Haltung, sondern ein Dauerprojekt zur Mitarbeitergewinnung und -bindung.

(Projekt-)Management: Die Rahmenbedingungen des kommenden Jahrzehnts – v.a. Digitalisierung, demografischer Wandel – zwingen Unternehmen in eine projektbasierte Planung. Rigide Strukturen haben ausgedient. Holokratische (engl. holacracy) Organisation liefert Teilantworten für die agilere, resilientere Unternehmensorganisation in VUCA-Zeiten.

Paradoxon: Unternehmen automatisieren zunehmend Expertentätigkeiten. Folglich steigt die Nachfrage nach den (vorerst) nicht automatisierbaren Fertigkeiten, welche primär auf Softskills abzielen. Arbeitnehmer, die an dieser Stelle hohe Kompetenzen vorweisen, werden im Gehaltsgefälle überproportional von der Digitalisierung profitieren.

CARE: Candidate—AI—Responsibility + Relevancy + Relationships—Experience + Exnovation. Diese vier Dimensionen beschreiben die Erfordernisse einer erfolgreichen, zukunftsfähigen Personalstrategie für das Jahr 2030 und den strategischen Weg dorthin.

Vorwort: Die Zukunft der Arbeit. Weichenstellung für Erfolg oder Niederlage

Die sogenannte „moderne Arbeitswelt“, „New Work“ – auf den ersten Blick erscheint sie Arbeitgebern und Arbeitnehmern dynamisch, flexibel, kraftvoll und erfolgsverwöhnt. Auf der anderen Seite ist sie geprägt von komplexen Prozessen, Globalisierung, Veränderungsdruck und hoher Arbeitsbelastung. Ein öffentlichkeitswirksames Bild zukunftsorientierter Firmen mit Strahlkraft ist das Ergebnis einer langjährigen Mammutaufgabe eines jeden Geschäftsführers und Personalverantwortlichen – es betrifft gleichermaßen Kleinstbetriebe, Familienunternehmen sowie die DAX-Konzerne. Bei all den Herausforderungen der Gegenwart – wie der demographischen Entwicklung begegnet werden soll, wie die Digitalisierung mit den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Einklang gebracht werden kann und welche Schritte es für die Positionierung als attraktiven Arbeitgeber bedarf – steht eine zentrale Managementaufgabe im Vordergrund: Der wertfreie Blick ins Antlitz der sich wandelnden Gesellschaft.

„Unabhängige Variablen“: So wurden die Optimierung des Kerngeschäfts und die Verantwortungsübernahme für die Gesundheit der eigenen Belegschaft in der Unternehmensführung der deutschen Wirtschaft lange Zeit betrachtet. Nachdem die Global Player bereits vor Jahren entsprechende Maßnahmen zur Entwicklung einer neuen Unternehmenskultur eingeleitet haben, spürt nun auch der ortsansässige Handwerksbetrieb den aufkommenden Druck, sich der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit und somit dem gesellschaftlichen Anspruch zu stellen.

Die in unserer Deutschland-Trendstudie ermittelten Werte sind Sinnbild für die strategische Neuausrichtung der Unternehmensaufgaben. So stieg in den vergangenen sechs Jahren der Anteil der Einbindung der Geschäftsführung in die Etablierung eines Corporate Health Managements um 18,6 Prozent. Ähnlich wie im 19. Jahrhundert die Vorreiter der Industrialisierung den Grundstein für die heutigen – sowohl positiven als auch negativen – Entwicklungen gelegt haben, so werden in einigen Jahren jene Arbeitgeber den fortschreitenden Prozess des Wandels neu justieren, die sich der heutigen Gesellschaft stellen und mit einem nachhaltigen Ansatz, mit Wertschätzung und Weitsicht voranschreiten – um sich und die eigene Belegschaft gemeinschaftlich zum Wachstum zu befähigen. Es stellt sich nur die Frage der Perspektive: Bedrohung oder Erfolgsfaktor?

Die Lösung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer liegt in der unternehmensindividuellen Konfrontation der Geschäftsführung mit einem strategischen Personalmanagement begründet, welches nachhaltig die Weichen für eine gesunde und motivierte Belegschaft stellt. Denn auch – oder gerade – auf Arbeitnehmerseite kann die heutige und künftige Arbeitswelt, die von hoher Flexibilität, Digitalisierung, höchsten Ansprüchen und Internationalisierung geprägte Arbeitswelt Unbehagen auslösen. Das so oft skizzierte Bild der scheinbar wünschenswerten neuen Arbeitsweisen lässt an vielen Stellen einen neuartigen Druck im (Arbeits-)Alltag aufkommen, für den angesichts der Veränderungslawinen verständlicherweise ein steter Anpassungsbedarf zu verzeichnen ist.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auf die Impulse und anhaltende Hilfestellung in die neuen Arbeitsmodelle der Zukunft durch den Arbeitgeber angewiesen. Neben den neuen Errungenschaften flexibler Arbeitszeiten, ergonomischer Arbeitsplätze, Gesundheitschecks und digitaler Gesundheitsportale und -apps, bedarf es gleichzeitig der Berücksichtigung der intrinsischen und immateriellen Bedürfnisse nach Sicherheit, Vertrauen, Wertschätzung und Struktur – in einer offenen und neuen Welt.

Die Herausforderungen sind bekannt. Ihre Umsetzung erfordert neues Denken.

Herzlichst Ihr
Steffen Klink

EuPD Research Sustainable
Management GmbH
Director of Social Sustainability
Leitung Corporate Health Award | Initiative | Akademie

Editorial der Autoren

Dieses Whitepaper beschreibt pointiert die größten und wahrscheinlichsten Verschiebungen (Trends) sowie deren Ursachen und Auswirkungen in den kommenden zehn Jahren für den Personalbereich. Keine Science-Fiction, keine haltlosen Spekulationen, sondern die Verknüpfung der relevantesten Strömungen der SPLEETE-Dimensionen (Society, Politics, Law, Economy, Ecology, Technology, Ethics) mit Bezug auf den Bereich der Personalstrategien. Die vorliegende Abhandlung entstand auf der Basis einer Kooperation von Zukunftsforscher.de, Digital Competence Lab und Corporate Health Initiative und ist nicht interessengeleitet, sondern benennt die relevantesten Szenarienbündel basierend auf Erkenntnissen der laufenden Zukunftsforschung sowie der praktischen Erfahrungen der beteiligten Institutionen. Die Inhalte sind zugespitzt für die Zukunftsperspektive, kurz und bündig hergeleitet und basieren auf einem umfangreichen Thesensatz der Autoren. Das bedeutet auch: Wir fokussieren auf die wirklich wichtigen Verschiebungen und schreiben nicht über Megatrends oder Wild Cards. Ganz ohne Nennung der beiden letzteren kommen wir aber auch nicht aus.

Digitalisierung und Globalisierung durchdringen immer stärker alle Lebensbereiche. Der Anstieg der Rechenleistung von Computern und der Leistungsfähigkeit „künstlicher Intelligenz“ wird im kommenden Jahrzehnt noch erheblich ansteigen (weiterhin exponentiell, vgl. „Moore’s Law“). Gleichzeitig wächst die Geschwindigkeit von Innovations- und Veränderungszyklen überproportional zur Anzahl der in einem System beteiligten Akteure (Metcalfe’s Law). Hiervon profitieren infolge der Verbreitung des weltweiten Internet, globalen immer offenerer Märkte und des Industrial Internet of Things (IIoT) vor allem heutige Schwellenländer. Stillstand ist in diesem dynamischen Umfeld keine Option.

Eine zentrale Grundannahme dieses Whitepaper ist: die fundamentalen Mechanismen, gelernten Prozesse und Organisationsformen von Unternehmen in industrialisierten Staaten eignen sich nicht dafür, in einer digital-globalisierten Welt mit dem Veränderungstempo der aufstrebenden Konkurrenz mitzuhalten. Und doch – und es mag paradox klingen – wird infolge des technologischen Fortschritts der einzelne Mensch auf neue Weise ins Zentrum der Wirtschaft rücken.

Es gehören auch düstere Prognosen zur Erkenntnisgrundlage dieses Papiers. Das kommende Jahrzehnt wird durch das größte Massensterben von Unternehmen in die Geschichte eingehen. Häufigste Ursache für die Liquidierung ist das Verschlafen von Innovationen, und zwar sowohl im technologischen als auch im personellen Kontext, in sämtlichen Branchen und Unternehmensgrößen. Sogenannte „Disruption“ ist eine Mär und passiert nur dann, wenn Unternehmen keine strategische Vorausschau betreiben. Einzelne Akteure verlassen sich oft blind auf Herdendummheit (das Gegenteil von Schwarmintelligenz), was auch in wenigen Jahren zur nächsten globalen „Finanzkrise“ führen wird.

Im besten Fall attraktiverer wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen entstehen allerdings mehr neue Unternehmen denn je. Die Rahmenbedingungen waren im Durchschnitt nie besser für Neugründungen, obwohl die sozialen und förderseitigen Hürden zur Unternehmensgründung immer noch höher sind als sie sein müssten. Neben „klassischen“ neuen Unternehmen werden sich in den kommenden Jahren auch immer mehr DAOs (decentralized autonomous organizations) tummeln, die ganz ohne Personal auskommen und dennoch mit Ihnen Geschäfte abwickeln werden. Diese werden auch legislativ einen Rahmen haben, Rechte und Pflichten genießen, Steuern zahlen und als „elektronische Person“ eigenes Vermögen und damit Macht akkumulieren.

Dieses Positionspapier will weder Lexikon noch Schablone sein, sondern Impulsgeber für Veränderung. In diesem Sinne:

Futuristische Grüße und eine inspirierende Lektüre!

Kai Gondlach & Sven Göth

Recruiting: Vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt

Zukunft

Die Vollbeschäftigung hat die Grundregeln des Arbeitsmarkts verändert. Während der Anteil der fest gebundenen Angestellten deutlich gesunken ist, sind  neue Formen des Projektarbeitertums entstanden. Diese freiberuflichen Arbeitskräfte verkaufen ihre Fähigkeiten und Kenntnisse an mehrere Auftraggeber oder Arbeitgeber in sehr fluiden Teilzeitverträgen. Es wird für Arbeitgeber immer schwieriger, Personal zu rekrutieren und zu binden, da der verfügbare und doch oft gebundene Pool an Arbeitnehmern zu komplex für einen menschlichen Personaler ist. Kaum jemand bewirbt sich noch für einen Job.

Das Fach- und Arbeitskräfte-Rekrutierungsmanagement ist längst automatisiert: Virtuelle Recruiter (Bots) durchsuchen permanent und autonom Bewerberprofile im Internet und prüfen diese auf Konformität (Potential, Kultur), den potentiellen Wechselwunsch und die nötige Weiterqualifizierung für die zu besetzende Stelle. Die Qualifikationserfordernisse spalten sich in „Super-Spezialisten“, „Generalisten“ und „Ungelernte“. Informelle Qualitäten und Softskills werden wichtiger als formelle Bildungsabschlüsse.

Strategieansätze

  1. Das Unternehmen Starling Trust betreibt eine Lösung zur Messung des gegenseitigen Vertrauens in Teams. Die Software analysiert die Kommunikation unter den Mitarbeitern und schlägt Alarm in kritischen Situationen, damit Führungskräfte oder auch Mitarbeiter untereinander rechtzeitig über angespannte Themen sprechen. Im Zweifel lohnt sich eine gezielte Mediatorenausbildung, wenn es zu sehr hakt.
  2. Social Recruiting: immer mehr KMU incentivieren ihre eigenen Mitarbeiter für die Weiterempfehlung von Stellenausschreibungen in ihren sozialen Kreisen. Dafür ist zunächst wichtig, die eigenen Arbeitnehmer glücklich und loyal zu machen. Employer Branding 2030 kennt und bedient die individuellen Bedürfnisse jedes Arbeitnehmers und der potentiellen Zielgruppe und wirbt auf allen relevanten, v.a. digitalen Kanälen für Tätigkeiten und Zusammenarbeit mit dem Unternehmen.
  3. Das automatisierte „Crawlen“ gängiger Bewerberportal gehört zur wichtigsten Fertigkeit eines modernen Recruiting. Algorithmen suchen nach formellen und informellen Kompetenzen, um diese mit offenen Stellen und nehmen den heutigen Recruitern einen großen Anteil der manuellen Arbeit ab, um schließlich nur eine kleine Auswahl geeigneter Personen für die engere Auswahl zu präsentieren.

Historie

Je nach Branche und Qualifikationsprofil herrschte bis in die 2000er Jahre hinein im deutschsprachigen Arbeitsmarkt ein Überangebot an Arbeitnehmern. Arbeitnehmer mussten sich bei mehreren Wunsch-Arbeitgebern bewerben, um ihre Arbeitskraft (Human Resources) günstig zur Verfügung zu stellen. Das Machtverhältnis war klar: Arbeitgeber konnte hohe Ansprüche stellen, die Arbeitnehmer waren Bittsteller.

Infolge des demografischen Wandels (Babyboomer-Generation vs. „Pillenknick“) kommt es seit Mitte der 2010er bis ca. 2030 zu einem massenhaften Übergang von Arbeitnehmern, die in Rente / Pension gehen. Diese entstehende Lücke von über 5 Millionen Arbeitnehmern bundesweit schließen Arbeitgeber zunehmend durch Automatisierung - einer der wichtigsten und oft unterschätzten Treiber der Digitalisierung.

Die Rekrutierung qualifizierter Mitarbeiter bewegt sich immer stärker in Direktsuche und Headhunting auch durchschnittlicher Stellen und Nachwuchskräfte. Die wertvollste Ressource der Unternehmen, der Mensch, wird im kommenden Jahrzehnt immer knapper.

Organisation: Die Wahrheit hinter „New Work“

Zukunft

Personal bzw. HR ist keine Abteilung mehr, sondern eine notwendige Funktion jeder Unternehmenseinheit. Personalarbeit findet dezentral statt und wurde größtenteils automatisiert, insbesondere in der Rekrutierung und Entwicklung von Mitarbeitern. Die Unternehmen, welche die große Krise der 20er Jahre überlebt haben, gehen fluide mit der gestiegenen Wechselbereitschaft der Arbeitnehmer um – diese kommen und gehen, wie es in ihre Erwerbsbiografien hineinpasst. Arbeitgeber managen deshalb geistiges Eigentum (Wissen, Ideen, Netzwerke) in effizienten Wissensmanagement-Systemen. Eine der größten Herausforderungen des vergangenen Jahrzehnts war es, die passende Mischung zwischen Fluidität und Umsorgung des Personals zu finden.

Die Denkschule von „New Work“ hat sich inzwischen durchgesetzt und im Vergleich zu 2020 zu einer sehr offenen Unternehmenskultur geführt, die bereit ist, alles infrage zu stellen – angefangen bei Hierarchien, Prozessen, Routinen. Feste Arbeitsplätze, sterile Raumgestaltung, unpersönliche Unternehmenskommunikation sind mit einer Vielzahl der eher trägen KMU ausgestorben, die bis zur Insolvenz an der Losung „haben wir schon immer so gemacht“ festgehalten haben.

Erfolgreiche Unternehmen stellen auch heute noch jede Grundannahme über die eigene Struktur ohne Denkverbote infrage und transformieren sich und ihre Mitarbeiter permanent zu einem konkreten Zukunftsbild, um den Kern des eigenen Geschäftsmodells ohne selbst auferlegte Hürden zu erfüllen.

Strategieansätze

  1. Ein erfolgreiches Unternehmen zeichnet sich durch glückliche, gesunde Mitarbeiter aus. New Work ist kein Projekt, sondern eine Haltung. Alle Mitarbeiter sollten in der Lage sein, die Unternehmensphilosophie, den „purpose“ (Sinn), den USP gegenüber Konkurrenten in einem Satz wiederzugeben. Die erfolgreichsten Unternehmen haben erkannt, dass die Trennung der Persönlichkeiten ihrer Arbeitnehmer in „Job-Ichs“ und „Privat-Ichs“ obsolet wird. Gut gebildete Arbeitnehmer möchten sich nicht einschränken lassen und werden unzufrieden, oft sogar krank durch zu enge Grenzen.
  2. Innovation von innen kann nur funktionieren, wenn jede/r gehört wird. Ideenmanagement muss ernst genommen werden. Ohne ein effizientes Innovationsmanagement überlebt kein Unternehmen das kommende Jahrzehnt; ein berühmter Ansatz ist es, Mitarbeitern 20% der Arbeitszeit für die Erarbeitung eigener Konzepte und Ideen zu überlassen. Dazu benötigt es IT-Infrastruktur, aber vor allem die Ermutigung der Mitarbeiter, regelmäßige Meetups innerhalb von Abteilungen und ein aufrichtiger Dialog im gesamten Unternehmen.
  3. Ohne Hierarchien funktionieren größere Strukturen nicht. Doch sowohl die Anzahl als auch die Rolle der Hierarchiestufen wird sich ändern müssen. Dazu gehören u.a. Kommunikation auf Augenhöhe, Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern, Raum für kollegiale Beratung, auf Synergien ausgelegte, teils temporär wechselnde Führungsstrukturen und regelmäßige „Sprechstunden“ der Unternehmensleitung.

Historie

Infolge des Übergangs zum Arbeitnehmermarkt (s. Kapitel Recruiting) müssen sich Arbeitgeber möglichst attraktiv aufstellen – ganz unabhängig von Größe, Branche und Standort. Sie brauchen die Brains. Die Idee von New Work stammt von Frithjof Bergmann aus den 1980er Jahren, als zum ersten Mal im Nachkriegs-Kapitalismus greifbar wurde, dass menschliche Arbeitskraft massenhaft durch Maschinen ersetzt würde. Inzwischen hat sich das Konzept zu einer Denkschule besonders bei Startups, aber auch den Tech-Giganten des Silicon Valley entwickelt. Aber auch KMU und Kammern in Deutschland sind inzwischen erfolgreiche Schritte mit den Leitideen gegangen.

Tayloristische Organisation widerspricht der Natur des Menschen und wird einer aufgeklärten, durchschnittlich gebildeteren Gesellschaft nicht mehr gerecht. Die rigiden Strukturen, Prozesse und Hierarchien wurden in Zeiten der aufkommenden Industrialisierung entworfen, in denen Arbeitgeber davon ausgehen mussten, ungelernten Arbeitskräfte jegliche Entscheidungskompetenz abzunehmen. Kreativität wurde den Arbeitnehmern abgesprochen. Sie sollten Maschinenarbeit leisten, da Maschinen noch nicht in der Lage waren, die Aufgaben zu erledigen. Das ändert sich mit der fortschreitenden Digitalisierung.

Der langjährige Megatrend „Nachhaltigkeit“ setzt sich auch im Personalkontext durch; es wird für nicht-nachhaltig wirtschaftende Unternehmen immer schwieriger, Arbeitnehmer durch höhere Gehälter und Zusatzleistungen gegen ihr Gewissen (und das ihrer Kinder #fridaysforfuture) zu halten. Einige Branchen laufen Gefahr, durch diesen Zusammenhang wellenartig hochqualifizierte Mitarbeiter zu verlieren, die von Arbeitgebern der New oder Circular Economy abgeworben werden; vielleicht zu monetär schlechteren Bedingungen, jedoch mit einer höheren „Purpose-Kongruenz“.

(Projekt-)Management: Holokratie ist das neue Scrum

Zukunft

Organisationen kennen keine Abteilungen mehr, nur Funktionen. Sie kennen keine strikten Kompetenzbereiche, sondern nutzen die Synergien ihrer Mitarbeiter, organisieren und planen ihre heutigen und künftigen Aufgaben durch gezieltes Talent-Management.

Sie begreifen und bearbeiten jegliche interne und externe Herausforderung als Projekt, welches durch temporäre, agile Teams bewältigt wird. Die Mitglieder sind eine Mischung aus Festangestellten, Freiberuflern und künstlichen Intelligenzen; oft verteilt über den gesamten Globus bzw. das Internet.

Selbstverständlich bearbeiten Unternehmen einige Themen auch in vorübergehenden Allianzen mit Wettbewerbern und virtuellen Organisationen (DAOs). Dies abzubilden gelang erst durch KI-gestütztes, prädiktives Projektmanagement der 2020er Jahre.

Strategieansätze

  1. Zukunftsfähiges Personalmanagement weiß exakt, welche Fähigkeiten und Kenntnisse jeder einzelne Mitarbeiter vereint – und welche fehlen. Gemeint ist nicht die Funktions- oder Stellenbeschreibung zum Zeitpunkt der Einstellung oder Beförderung. Gemeint ist das gesamte Kompetenzprofil. Viele Menschen teilen derartige Informationen ganz öffentlich auf Xing, Linkedin, Indeed und nicht-beruflichen „social media“-Kanälen. Next step: schöpfen Sie das gesamte Potential der Menschen in Ihrer Organisation aus, indem Sie diese Fähigkeiten und Fertigkeiten mit Ihren heutigen und zukünftigen Unternehmensaufgaben korrelieren. Dabei werden auch die Mitarbeiter zufriedener und loyaler, weil sie sich wertgeschätzt und gebraucht fühlen.
  2. Zu einer zukunftsfähigen Organisation gehört ebenso der ergebnisoffene Dialog mit den Mitarbeitern über deren individuelle Entwicklungsziele der kommenden 3, 5 oder 10 Jahre. Dazu kann auch der Arbeitgeberwechsel gehören.
  3. Agiles Projektmanagement ist ein wertvoller Ansatz für die datenbasierte Durchführung von Projekten jeglicher Art – und doch noch nicht überall angekommen. Holokratie ist der nächste, konsequente Schritt in eine „peoples‘ organization“: keine Abteilungen, kaum Hierarchien, hohe Flexibilität, Geschwindigkeit sowie Resilienz gegenüber Veränderungen.

Historie

In den 1980er Jahren kam aus der Informatiker-Welt das agile Projektmanagement auf, das u.a. mit Scrum und Kanban Projekte („agiles Projektmanagement“) hochgradig operationalisiert hat. Diese Mechanik funktioniert in einer Programmiererwelt hervorragend, wo es in vielen Bereichen nicht ganz so wichtig ist, welcher Programmierer welche Zeile Code schreibt – daher kann unabhängig von der Person ein Teil-Job vergeben werden.

Der gesellschaftliche Wandel von der Industrie- und Agrar- hin zur Dienstleistungsgesellschaft setzt sich ungebremst fort und resultiert in immer größeren Synergien zwischen den Kompetenzen von Mitarbeitern. Damit ergeben agile Projektmanagement-Methoden nun auch Sinn für die Organisation von Mitarbeitern unterschiedlicher Funktionen. Ein Aspekt davon ist die Bedeutungszunahme von Softskills wie Kommunikation, Ideenentwicklung oder kollegialer Beratung, welche nicht in klassische Organigramme passen.

Paradoxon: Digitalisierung steigert den Wert menschlicher Interaktion

Zukunft

Jegliche Tätigkeiten, die prinzipiell wiederkehrenden Mustern folgen, wurden im letzten Jahrzehnt bei den meisten Arbeitgebern automatisiert. Algorithmen oder Roboter haben eine Reihe von Expertenjobs sinnvoll ergänzt, sodass sich die Mediziner, Juristen, viele Führungskräfte inzwischen auf „menschlichere“ Tätigkeiten konzentrieren können. Einige Spezialisten haben sich noch weiter spezialisiert und finden im Team mit der künstlichen Intelligenz immer bessere Lösungs- und Management-Wege. Viele haben sich aber auch breiter aufgestellt und sind zu Generalisten geworden, die für zahlreiche Auftraggeber tätig sind.

Viele Unternehmen sind im letzten Jahrzehnt jedoch der Automatisierungswelle zum Opfer gefallen, da sie sich der Veränderung verweigert haben. Hunderttausende Menschen haben dadurch ihre Jobs verloren, nicht alle von ihnen waren für gleichwertige Positionen vermittelbar.

Doch ein großer Teil der vormals in strikten Funktionsbereichen mit geringem Einkommen haben neue Nischen besetzt, die vor allem auf zwischenmenschliche Interaktion setzen. Massive Förderprogramme der Regierung tragen dazu bei, dass ein komplett neuer Wirtschaftssektor infolge der Krise entstanden ist. Inzwischen verdienen die Coaches und zwischenmenschlichen Dienstleister erheblich mehr als die Experten der Bereiche noch vor zehn Jahren, zum Beispiel Krankenpfleger und -schwestern gegenüber Fachärzten.

Strategieansätze

  1. Die besten Arbeitgeber stellen ihre Angestellten auf neue Art und Weise ins Zentrum der jeweils eigenen Erwerbsbiografie. Sie erheben und schulen die persönlichen Charakterstärken, die beispielsweise mit dem Myers-Briggs-Test (z.B. abrufbar unter 16personalitites.com) erhoben werden. Nach dieser psychologisch gut erforschten Theorie hat jeder Mensch bestimmte Neigungen und Stärken, die gefördert werden können – besser als bei anderen Profilen. „Stärken stärken“ und „lebenslanges Lernen“ sind keine revolutionär neuen Konzepte, werden aber erst richtig interessant, wenn die individuellen Potentiale messbar werden.
  2. Zahlreiche Tätigkeiten werden in den kommenden Jahren auch bei Ihnen im Unternehmen automatisiert werden. Antizipieren und erarbeiten Sie (ganz unabhängig von der Größe Ihrer Organisation) besser früher als zu spät neue Tätigkeitsprofile, ganz praktisch mit Stellenaus- und Funktionsbeschreibungen im Jahr 2030. Darauf können sich dann Ihre Angestellten heute schon bewerben und sich für entsprechende Weiterbildungsprogramme verpflichten.

In diese überführen bzw. entwickeln Sie die aktuelle Belegschaft schrittweise. Bei einem Teil der aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird dies vielleicht nicht möglich sein. Dann ist es jedoch Ihre Verantwortung als Arbeitgeber, einen Exit-Plan gemeinsam zu erarbeiten. Die laufende Welle der Veränderung wird massenweise Unternehmen die Existenzgrundlage entziehen, wenn sie sich nicht rechtzeitig anpassen. Nur wer bereits heute massiv Softskills, insbesondere im Bereich Kommunikation, der Angestellten fördert, kann die Situation überstehen.

Historie

Moderne Volkswirtschaften basieren auf Regelsystemen, Institutionen und Vertrauen in diese. Vertrauen wiederum entsteht durch positive Erfahrungen. Schrittweise werden wir in den kommenden Jahren in manchen Bereichen eher einer KI-gestützten Entscheidung trauen als der menschlichen. Dennoch sind und bleiben Menschen soziale Wesen, die in bestimmten Kontexten Wert auf Zwischenmenschlichkeit legen. Diese Bedingung ist allerdings sehr individuell; manch eine delegiert die Entscheidung für die beste Haftpflichtversicherungspolice an einen virtuellen Assistenten; manch einer überträgt die Planung der optimalen Reiseroute einem virtuellen Kartendienst. In anderen Kontexten wiederum legen dieselben Personen großen Wert auf menschliche Interaktion, vielleicht bei der Terminvereinbarung beim Friseur oder einem tiefgründigen Gespräch mit dem Hausarzt. Für eine vertrauensvolle Beziehung zu den letzteren benötigen diese Dienstleister jedoch andere Kernkompetenzen als in der heutigen Welt; Empathie, Deutungswissen, Bauchgefühl, Mut, Querdenken. Nicht gerade Kompetenzen, die im klassischen (Weiter-)Bildungssystem vermittelt werden.

CARE: Personalstrategie der Zukunft in einem Wort

Candidate: Leadership statt Führung

Im von Arbeitnehmern dominierten Arbeitsmarkt der Zukunft spielt das Individuum eine bedeutsamere Rolle denn je. Aus Industriesicht entwickelt sich „die Arbeitskraft“ zur Losgröße 1. Der Wertewandel bringt mündige, selbstbewusste und flexible Menschen hervor. Arbeitgeber sind gut beraten, ihre menschlichen Mitarbeiter mit ihren Werten und exklusivem Wissen zu infizieren, um trotz der immer fluideren Mitarbeiterstruktur langfristige Wertschöpfung zu erreichen.

Klassische Führungsstile haben in einer Zeit der Hyperindividualisierung der Angestellten ausgedient. Jeder Mensch bringt ein eigenes Wertesystem und Psychogramm mit, auf das Führungskräfte mehr denn je reagieren und proaktiv eingestellt sein müssen. Die zukunftsfähigste Führungskraft zeichnet sich durch hochgradig ausgeprägte empathische Fähigkeiten aus, setzt mehrere verschiedene Kommunikationsstile ein.

Das solidarische Sozialversicherungssystem strauchelt immer mehr unter der Überalterung der Gesellschaft; das Renteneintrittsalter wird gegen Ende der 20er Jahre auf über 70 Jahre gestiegen sein. Die Rentenzahlungen wiederum können die Inflation nicht mehr ausgleichen, wodurch die (Angst vor) Altersarmut steigt bzw. ein steigender Anteil der Bevölkerung seinen Lebensstandard nicht mehr im Alter halten können wird. Vorausdenkende Arbeitgeber tragen dem Rechnung, indem sie allein oder in Kooperativen eine Art Grundsicherung nach dem Vorbild des Bedingungslosen Grundeinkommens für ihre Angestellten und deren Familien anbieten – das System könnte wie eine Mischung aus dem punktebasierten Gesetzlichen Rentenversicherungssystem und einer digitalen und anreizgetriebenen Logik aufgebaut sein. Kooperationen mit anderen Arbeitgebern ermöglichen bahnbrechende Jobsharing-, Coworking-, Gesundheits- und Innovationssynergien.

Artificial Intelligence

Erst digitalisieren Unternehmen alle Funktionen, dann augmentisieren sie, dann automatisieren sie und schließlich müssen sie durch den gesamten Prozess ihre Belegschaft empathisieren. In der digitalen Wert sind Vertrauen und Emotionen messbar: Software wie von Beyond Verbal oder Precire kann dabei helfen, die psychische Gesundheit der Mitarbeiter zu beobachten, um rechtzeitig Maßnahmen gegen psychische Erkrankungen zu ergreifen. Auch die Leistung kann immer besser gemessen werden, um Weiterbildungen und ggf. Anpassungen der Tätigkeiten vorzunehmen. Lösungen wie Workgenius automatisieren darüber hinaus einen nennenswerten Anteil der Berichtstätigkeiten von Führungskräften bis hin zu Beurteilungen, natürlich gestützt durch menschlichen Input.

Human-digitale Teams prägen den Arbeitsalltag der meisten Unternehmen im Jahr 2030, ganz unabhängig von der Branche. Zahlreiche Tätigkeiten werden automatisiert werden, darunter sicherlich einfachere Sachbearbeitungstätigkeiten, aber auch heutiges Expertenwissen wird zunehmend durch Algorithmen und Roboter übernommen. Die wichtigsten Fähigkeiten Ihrer Mitarbeiter sind daher…

… der Umgang mit smarten Kollegen, die immer mehr auch autonom Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen und

… Softskills im zwischenmenschlichen Bereich. Die erfolgsreichsten Arbeitnehmer werden daher diejenigen sein, die sich bereits heute in den Bereichen Kommunikation (bis hin zu Psychologie), Mediation als auch generalistischen Wissensmanagementtechniken und Achtsamkeits-Ansätzen weiterbilden.

Responsibility, Relevancy and Relationships

Arbeitgeber übernehmen auch im nächsten Jahrzehnt eine wichtige volkswirtschaftliche Verantwortung für jeden einzelnen Arbeitnehmer. Ob KMU, Behörde oder Großkonzern: die Aufgabe der Arbeitgeber übersteigt in Zukunft bei Weitem die monetäre Entlohnung ihrer Angestellten. Es geht vielmehr darum, in einer Symbiose die Gesundheit und das Glück der Arbeitnehmer zu steigern, um im Gegenzug Mehrwerte für das Unternehmen zu erwirtschaften. Nur so bleiben Organisationen für ihre Arbeitnehmer und Kunden gleichermaßen relevant.

Schließlich schaffen erfolgreiche Arbeitgeber Orte der Begegnung für ihre Mitarbeiter, an denen nicht in erster Linie gearbeitet wird (Co-Working), sondern vor allem menschliche Beziehungen gepflegt werden. In Zukunft dominieren moderne, durchlässige Co-Living-Spaces die Innenstädte weltweiter Metropolen gegenüber klassischen, monolithischen Bürogebäuden der vergangenen Jahrzehnte.

Experience and Exnovation

Arbeit muss Spaß machen, Work-Life heißt auch flexible Arbeitszeiten, regelmäßige Erlebnisse im Arbeitskontext, Inspiration von Führung und von außen, positive Überraschungen im Arbeitsumfeld. Das fängt schon bei der IT an; in vielen Unternehmen ist das Smartphone der MA leistungsstärker als die Computer ganzer Teams. Niemand will heute mehr mit einem Fax arbeiten. Und E-Mail ist auch nicht die Lösung aller Probleme, eher die Wurzel. Kombinieren Sie daher verschiedene Kommunikationskanäle mit Anreizsystemen bis hin zu finanziellen Incentives (oder Freizeit), lassen Sie die Mitarbeiter regelmäßig in Offsites aus dem Alltag ausbrechen, bieten Sie den sensation-seekern in Ihren Reihen genug Stoff für die Selbstverwirklichung und häufige „Sensationen“.

Um nicht dem immer globaleren und digitalen Wettbewerb zum Opfer zu fallen und die Existenzen der Mitarbeiter zu riskieren, kombinieren einige Arbeitgeber bereits neuere Innovations- und Management-Theorien in ihrer Praxis und überprüfen ihre bestehenden Strukturen hinsichtlich der Zukunftstauglichkeit. Dazu gehört insbesondere auch das Verlernen bewährter Denkansätze: Exnovation ist die Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts.

Urheber

Dieses Whitepaper wurde herausgegeben durch Zukunftsforscher.de in Kooperation mit dem Digital Competence Lab. Verantwortlich im Sinne des Presserechts ist der Gründer von Zukunftsforscher.de Kai Arne Gondlach. Für Fragen, Anmerkungen und Kommentare stehen Ihnen folgende Kontaktmöglichkeiten zur Verfügung.

Zitierung

Für die Zitierung wird folgende Zitierweise empfohlen:

Gondlach, Kai A.; Göth, Sven (2019): Das Ende der Personalabteilungen. Warum sich HR selbst abschafft. Whitepaper von Zukunftsforscher.de und Digital Competence Lab, Leipzig und Hannover. Veröffentlicht am 27.11.2019, online abrufbar: https://www.kaigondlach.de, gefunden am TT.MM.JJJJ.


New Work: Neue Arbeit im Zeitalter der Digitalisierung

Was steckt eigentlich hinter dem Konzept von „New Work"? Was bedeutet Neue Arbeit für Sie als Personaler*in, Unternehmer*in oder Angestellte*r? Ein schneller Ritt durch die schöne, neue Arbeitswelt.

Begriffsbestimmung

Wie es sich für einen pseudo-wissenschaftlichen Beitrag gehört, möchte ich zunächst den Begriff definieren. Denn ich möchte wetten, dass Ihre Idee von New Work eine andere ist als meine und vermutlich auch als die Ihrer Angestellten oder Kolleg*innen.

Immerhin: Der Suchbegriff „New Work“ liefert bei Amazon über 100.000 Resultate, bei buch7.de findet man 39 deutschsprachige Bücher und 3522 Englische. Anschnallen: Wir betreten #Neuland!

Ursprung: New Work nach Bergmann

Das Konzept von New Work hat seine Wurzeln in den USA und wurde vom in Sachsen geborenen US-Österreicher Frithjof Bergmann bereits in den 1980er Jahren entwickelt. Bergmann betrachtete die Entwicklungen der kapitalistischen und kommunistischen Ökonomien kritisch. Als eine heftige Rezession die Automobilstadt Flint in Michigan traf, gründete er dort das erste Zentrum für Neue Arbeit. Dessen Ziel war es, Menschen auf den erwarteten Zusammenbruch der herkömmlichen Wirtschaftswelt vorzubereiten. Erst 2004 veröffentlichte Bergmann seine Ideen im Buch „Neue Arbeit, neue Kultur".

Bergmanns drei zentrale Thesen fußen auf der zunehmenden Automatisierung und Globalisierung. Er projizierte diese beiden Megatrends in die Zukunft und kam zu dem Ergebnis, dass die klassische Lohnarbeit kein tragfähiges Konzept für die Wirtschaft sei.

  1. Im Ergebnis erschien es Bergmann naheliegend, die Erwerbsarbeitszeit deutlich zu reduzieren, weil schließlich nicht genug Arbeit für alle Menschen in einem geographischen Gebiet verfügbar wäre.
  2. Diese Menschen würden ihre Güter für den alltäglichen Gebrauch in Hightech-Eigenproduktion selbst herstellen und in Netzwerken jedem frei zur Verfügung stellen.
  3. Eine starke normative Komponente kritisierte den Überfluss der Konsumgesellschaft, weshalb ein großer Teil der Güter und Waren des täglichen Lebens – so Bergmanns Argumentation – ohnehin überflüssig seien. Der Ansatz war damals natürlich revolutionär und wurde als anarchisch verschrien. Letztlich klingt das aber auch sehr schön, wenn nicht gar utopisch, denn die freigewordene Zeit sollen die Menschen in der schönen, neuen Arbeitswelt mit dem füllen, was sie am liebsten tun und am besten können. Viel mehr Menschen würden sich künstlerisch oder sportlich oder musisch oder floristisch oder, oder, oder… betätigen. Freiwillig.

Deutsche Adaption: Neue Arbeit nach Markus Väth

Obwohl die ersten Anzeichen für einen Wandel der Arbeitswelt spätestens seit der Jahrtausendwende immer offensichtlicher zutage traten, dauerte es hierzulande bis 2016, bis ein vergleichbares Standardwerk für die neue Arbeitswelt erschien. Der Psychologe und Informatiker Markus Väth nannte sein erweitertes und aktualisiertes Konzept „Arbeit – die schönste Nebensache der Welt". Väth bestimmte darin fünf Dimensionen der Neuen Arbeit:

  1. Psychologische Dimension: Ähnlich wie Bergmann erfüllt für Väth die Arbeit für den Menschen einen Zweck, nicht umgekehrt. Die Entfaltung des Individuums soll im Zentrum der Arbeitswelt stehen.
  2. Soziale Dimension: Im Beruf entstehen zwangsläufig mehr oder weniger intendierte zwischenmenschliche Beziehungen. In der neuen Arbeitswelt findet immer mehr Teamarbeit statt, moderne Führungskonzepte wiederum verteilen die Entscheidungsgewalt quasi-demokratisch auf mehrere Schultern der Angestellten.
  3. Technologische Dimension: Nach der großen Welle der Automatisierung im 20. Jahrhundert geht es nun an die Digitalisierung. Ziel dieser Veränderung ist natürlich die Effizienzsteigerung der Unternehmen bzw. Organisationen, welche zwangsläufig zu Veränderungen in der Personalbedarfsplanung führen (maximal objektiv formuliert).
  4. Organisatorische Dimension: In Zeiten des Taylorismus herrschten die starr hierarchischen Organisationsformen mit klarer Linienführung und top down-Entscheidungslogik vor. Diese Art der Organisation weicht einer immer agileren, netzwerkartigen Aufbauorganisation, die auch Platz für (teil-)autonome Teams und „unkonventionelle“ bottom up-Entscheidungswege lässt.
  5. Politische Dimension: Diese Dimension bezieht schließlich die externe Politik mit ein, die die Rahmenbedingungen für Gesundheit, soziale Gerechtigkeit, Lohnniveau und Arbeitsschutz schneller den aktuellen Gegebenheiten anpassen muss. Diese Anforderung adressiert natürlich die politische Exekutive, namentlich die Bundesregierung und die Bundesministerien (insbesondere die Ministerien für Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Justiz und Finanzen).
    Markus Väth bloggt unter anderem zu New Work und hat in einem unterhaltsamen Artikel Ende Mai 2019 der deutschen Politik bescheinigt, dass auch New Work #neuland für sie ist.

Neue Definition New Work

In einer mir vorliegenden Bachelorarbeit (siehe Quellen) hat der Autor basierend auf einer qualitativen Expertenbefragung im Jahr 2019 eine – wie ich finde – gute neue Definition für Neue Arbeit entwickelt:

„New Work bezeichnet eine neue Form der Arbeit, welche die Selbstverwirklichung des Individuums im Arbeitsprozess in den Mittelpunkt stellt [!] und deren Ursprungsbezeichnung auf den Philosophen Frithjof Bergmann zurückgeht. Damit ist New Work ein Gegenbeispiel zur klassischen, linearen, hierarchischen Organisations- und Arbeitsform, in welcher der Mensch als Produktionsmittel wahrgenommen wird. New Work ist dabei mehr als nur Arbeitsweise, sondern hat Auswirkungen auf die Organisationsform. Dabei ist New Work aber keine einheitliche Denkschule, sondern kann in Bezug auf Arbeitsfelder, Miteinander und Arbeitsergebnisse – dabei sowohl auf deren Sinnhaftigkeit als auch auf deren gesellschaftlichen Mehrwert – individuell auf Unternehmen und Arbeitnehmer ausgerichtet sein.“

Exkurs: Industrielle Revolution(en)

Wir sind uns alle einig, dass der technologische Fortschritt einen Einfluss auf unser Verständnis von Arbeit hat. Immerhin tragen die meisten Arbeitnehmer*innen in Deutschland mit ihrem Smartphone auch 2019 noch einen schnelleren Computer in ihrer Hosentasche herum und nutzen barrierefreiere Angebote als das in ihrem Arbeits-PC möglich oder erlaubt wäre. In der Arbeitswelt wirft die Digitalisierung oder auch vierte industrielle Revolution ihre Schatten voraus. Ein kurzer Überblick über die industriellen Revolutionen:

  • 1. industrielle Revolution: Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft und Beginn der Urbanisierung hat vor allem Landarbeiter verdrängt, verabschiedet den Feudalismus als vorherrschendes Gesellschaftssystem. Beginn ab ca. 1780, Epizentrum: britische Baumwollindustrie.
  • 2. industrielle Revolution: Die zunehmende Mechanisierung und Elektrifizierung bringt viele Fließbandarbeiter um ihre Jobs und festigt das kapitalistische Wirtschaftssystem. Beginn ab ca. 1870, prominentestes Beispiel ist die massenhafte Automobilfertigung von Henry Ford (USA) in den 1910er Jahren.
  • 3. industrielle Revolution: Die mikroelektronische Revolution ersetzt einfache Hilfsarbeiten und setzt die ökonomische Globalisierung in Gang. Beginn in den 1970er Jahren mit dem Siegeszug der kommerziellen Computer und der ersten Industrieroboter – Sie ahnen, wo der Ursprung liegt. Richtig: Im Silicon Valley (auch USA).
  • 4. industrielle Revolution: Neue Grundlagentechnologien sind in dieser Revolution nicht hinzugekommen, doch die Vernetzung durch das globale und vor allem zunehmend mobile Internet entfaltet seit den 2010er Jahren ihr Potential. Beginn: 2007 mit Einführung des iPhone und 2010 mit der Einführung des 3G-Standards für mobile Internetverbindungen, ausgehend von den USA, aber bald (fast) global verfügbar. Die Welt wächst zusammen. Aber: Nicht zuletzt aufgrund des von der deutschen Regierung geprägten Begriffs „Industrie 4.0“ wird die tatsächliche Existenz des Revolutionscharakters kontrovers diskutiert; manch eine*r spricht höchstens von einer zweiten Phase der 3. industriellen Revolution.
  • Kurzer Ausblick: Spätestens mit dem bevorstehenden Durchbruch bei Quantencomputern sowie der künstlichen Intelligenz werden Digitalisierung und Globalisierung eine neue Stufe erreichen. Homo sapiens steht damit anthropologisch betrachtet auf einer neuen Grundlage (vgl. Yuval Noah Harari). Auch im Büroalltag wird es bald völlig normal sein, dass einige Kolleg*innen nur aus Programmcode bestehen; sie sind lernende Algorithmen, die im kommenden Jahrzehnt zunehmend Entscheidungen treffen werden. Das fängt bei einfachen Dingen wie Terminvereinbarungen an (vgl. Amy AI), macht aber auch vor heutigen Expertenaufgaben nicht Halt. Die Software von NDALynn oder Lawgeex prüft Verschwiegenheitsvereinbarungen (NDAs) schon heute präziser und viel schneller als Fachanwälte, die ihr Leben lang nichts anderes gemacht haben. Je mehr Entscheidungsgewalt auf die künstlichen Kollegen (Roboter bzw. Algorithmen) übertragen wird, je mehr diese in der Lage sind sich und ihre Interessen zu artikulieren, desto dringlicher wird auch der Bedarf nach rechtlichen Rahmenbedingungen und betrieblicher Mitbestimmung. In der Schweiz wurde im Dezember 2018 ein Roboter in die traditionsreiche Gewerkschaft „Verband Angestellte Schweiz“ aufgenommen, nachdem ein Robo-Kollege in Großbritannien entlassen wurde. Denn selbstverständlich machen die künstlichen Kollegen auch Fehler. Und als Korrektiv dafür muss aktuell noch das vorherrschende Rechtssystem herhalten; Unternehmen haften für ihre Kinder, äh, KIs. Dabei wird es immer komplizierter festzustellen, auf welcher Grundlage eine KI Entscheidungen trifft oder sich auf diese oder jene Weise verhalten hat. Bis zum Jahr 2030 werden die Kinderkrankheiten aber längst der Vergangenheit angehören. Die Auswirkungen auf menschliche Beschäftigte sind einerseits noch unklar, andererseits liegen sie vor allem in der Verantwortung der Arbeitgeber und der Politik.
    Es gehört zweifelsohne zu den Charakteristika solcher Revolutionen, dass bestehende durch neue Handlungsmuster auf allen gesellschaftlichen Ebenen ersetzt werden. Ebenso gehört es zu den bitteren Wahrheiten, dass im kapitalistischen System das Leitmotiv „Gewinnmaximierung“ nicht immer zugunsten der Beschäftigten entscheidet. So gab es in allen industriellen Revolutionen vor allem Massenentlassungen („Rationalisierungen“) und zumindest in Europa historische Massendemonstrationen (bspw. den Weberaufstand 1844, Widerstände gegen die Eisenbahn im 19. Jahrhundert, Taxifahreraufstände 2019, bald Automobil-Zulieferer-Aufstand…). Genauso können wir es aktuell beobachten. Und es werden noch viele Meldungen über Massenentlassungen folgen, nicht zuletzt weil Arbeitgeber und Arbeitnehmerorganisationen sich aus nachvollziehbaren, aber unvernünftigen Gründen gegen „disruptive“ Technologien sperren.

Wir halten folgende Formel fest: Technologiesprung + Kapitalismus = industrielle Revolution.

Zurück zum Leitthema, oder eher: Leidthema?

Willkommen zurück im Jahr 2019.

Industrielle Revolution hin oder her, das dürfen die Historiker der nächsten Generation beurteilen. Die Arbeitswelt unterliegt einem Wandel, dieses Mal mischen aber noch mehr Faktoren mit. Neben Technologiesprüngen und dem Kapitalismus spielen für die Debatte um New Work zwei weitere wichtige Faktoren eine wichtige Rolle: demografischer Wandel und Wertewandel.

Demografischer Wandel

Der Begriff an sich ist eigentlich bescheuert. Demografie befindet sich immer im Wandel, jede Sekunde sogar. Im Volksmund wissen wir in den westlichen Industriestaaten aber alle, was damit gemeint ist: die bevorstehende Überalterung der Gesellschaft(en).

Woher kommt das? Die sehr geburtenstarken Nachkriegsgenerationen, auch Babyboomer genannt, stehen altersmäßig kurz vor dem Renten- bzw. Pensionsalter. (Was das für Unternehmensnachfolgen bedeuten wird, habe ich mal als Co-Autor einer wissenschaftlichen Zukunftsstudie untersucht.) Die Generation danach wird nicht ohne Grund auch „Pillenknick-Generation“ genannt: Nach der Markteinführung der Anti-Baby-Pille kamen signifikant weniger Menschen zur Welt, auch andere Verhütungsmittel und der offenere Diskurs über Schwangerschaftsverhütung sowie HIV-Prävention spielen in die Statistik. Das Phänomen hat bis heute Bestand.

Nicht zuletzt erlebten die westlichen Staaten in den 1950er Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung (goldene 50er) und paradoxerweise führt Wohlstand zu weniger Geburten, das gilt sogar in Entwicklungsländern wie Indien oder Bangladesch (an die Soziologen: natürlich ist das kein monokausaler Zusammenhang, ich weiß).

Jedenfalls sterben schon seit 1972 in Deutschland mehr Menschen als geboren werden, gleichzeitig werden die Alten älter. Nicht ohne Grund wurde die Sicherheit der Rente schon in den 1990er Jahren infragegestellt.

Die demografische Entwicklung führt damit geradewegs in eine Welt des Arbeits- und Fachkräftemangels sowie des Altersüberschusses. Kombinieren wir diese Einflussfaktoren, erkennen wir für das Thema New Work zwei zentrale Konsequenzen der Demografie:

  1. Der Wert menschlicher Arbeit nimmt zu. Es war noch nie so leicht für qualifizierte Fachkräfte, einen Job zu finden (persönliche Mobilität vorausgesetzt). Was für Informatiker und einige Ingenieursberufe seit einem guten Jahrzehnt gilt – regelmäßige Abwerbeversuche anderer Arbeitgeber zu immer besseren Konditionen – gilt für auch immer mehr Sozial- oder Geisteswissenschaftler*innen. Und natürlich für Mediziner*innen. Sie suchen sich ihren nächsten Arbeitgeber an dem Tag aus, wenn sie eine neue Stelle antreten. Fordern ein Sabbitical, mehr Urlaubstage, bessere Sozialleistungen und so weiter. Viele Unternehmen in westlichen Industriestaaten wiederum sind in einer Zeit des Fachkräfteüberflusses gewachsen. Sie wissen oft nicht, wie sie mit anderen Mitteln als ihrer Marke und einem sicheren Einkommen um Fachkräfte werben sollen, wenn überhaupt. Employer Branding kann man deshalb inzwischen studieren. Dazu gehört inzwischen mehr als kostenloses Wasser und Obst am Arbeitsplatz. Haben Sie schon mal über Wohnzuschüsse für die Eltern Ihrer Angestellten nachgedacht? Oder Subventionen für temporäre Expat-Office-Aufenthalte auf Bali? Oder demokratische Wahlen der Geschäftsführung?
  2. Wirtschaftlich agierende Organisationen, in der Regel Unternehmen, müssen Arbeitsprozesse automatisieren. Dieser Befund ist heutzutage einer der zentralen Treiber für technologische Innovation, denn wenn ein Unternehmen keine Arbeitskräfte mehr durch die besten Employer Branding-Strategien findet, muss es neue Wege finden, den Profit zu maximieren. Nach einer Prognos-Studie fehlen 2030 drei Millionen Fachkräfte. Fachkräfte! Nicht „nur“ Arbeitskräfte. Damit gemeint sind lediglich die Spezialist*innen bzw. Expert*innen! Und heute stehen die Züge der Deutschen Bahn schon regelmäßig still, weil das Personal für die Stellwerke oder Loks fehlt. Dabei weiß ich aus sicherer Quelle, dass gerade der DB-Konzern recht früh damit angefangen hat, Gegenmaßnahmen zu ergreifen…

Wertewandel: Generation X, Generation Y, Generationsbrei…

Danke, Prof. Dr. Martin Schröder!

Im Oktober 2018 stieß ich auf seinen Beitrag in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (drauf gestoßen hat mich Spiegel Online). Endlich gibt es empirische Ergebnisse, die die gängigen Annahmen über „Generation X“, „Generation Y“, „Generation Z“ etc. widerlegen. Natürlich gibt es einen sich wandelnden Zeitgeist, natürlich wird ein Wertewandel durch Generationenwechsel beschleunigt. Und natürlich ist die Jugend verroht und respektlos, das wusste schon Sokrates. Aber es ist falsch zu behaupten, dass eine Geburtenkohorte in sich gefestigt über diese oder jene (insgesamt homogene) Wertvorstellungen verfügt oder Entscheidungen immer auf dieselbe Weise trifft. Nun endlich auch wissenschaftlich belegt.

Der gesellschaftliche Wertewandel vollzieht sich also dynamisch und relativ unabhängig vom Geburtsjahr, sondern orientiert an der aktuellen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen Gesamtsituation. Meiner Generation werden beispielsweise eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne und postmaterielle Ideale zugeschrieben – das erklärt noch lange keine Inflation von Achtsamkeitstrainings und die Absatzzahlen von Tablets bei über 45-Jährigen.

Was wir aber sehr wohl festhalten können ist ein steigender Drang zur Subjektivierung, auch Individualismus genannt. Parallel vollzieht sich ein Bruch mit dem Determinismus, sprich der Weltanschauung, dass ein oder mehrere göttliche(r) Schöpfer das Schicksal jedes Lebewesens bestimmt/bestimmen. Immer mehr Menschen nehmen ihre Lebensläufe selbst in die Hand, gehen – besonders in Sozialstaaten – höhere Risiken ein, sehen Arbeit nicht mehr als das zentrale Element ihres Lebens. Immerhin will man ja was erleben! Schließlich erfreuen wir uns einer steigenden Gleichberechtigung der Geschlechter, Kulturen, Religionen und weiteren Kategorien. (Über die weiteren, spannenden Auswüchse des Wertewandels schreibe ich vielleicht mal an anderer Stelle etwas, aber das war’s im Wesentlichen für das Thema New Work.)

Konkrete Folgen für den Arbeitsmarkt:

  • Immer weniger Menschen hegen den Wunsch, ihr Erwerbsleben bei nur einem Arbeitgeber zu verbringen.
  • Immer mehr sehen lebenslanges Lernen mit teils obskuren Richtungswechseln als Erfüllung.
  • Immer mehr Menschen sind beruflich Selbstständige (Statistik, mehr Startups. auch mehr Gründungen durch Ältere) oder fristen als Freiberufler ihr flexibles Dasein.
  • Immer mehr Frauen rücken in Führungspositionen oder gründen Unternehmen – dasselbe gilt für homo-, trans- und intersexuelle Menschen sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Langsam, aber immerhin.

Mini-Fazit Demografie und Wertewandel

Die Arbeitswelt unterliegt erheblichen exogenen und endogenen Treibern der Veränderung. Wer noch nicht angefangen hat, sich mit New Work zu beschäftigen, sollte genau jetzt starten. Aber Sie lesen diese Zeilen vermutlich aus dem Grund, weil Sie schon im Thema stecken… das ewige Paradoxon setzt sich fort. Wenn Sie jemanden kennen, der mit New Work noch nichts verbindet – nutzen Sie bitte die Teilen-Funktion dieses Beitrags für Xing, Linkedin, Mail oder ein Format Ihrer Wahl. Danke! Und jetzt: weiter im Text.

Zwischenfazit: Warum New Work? Warum jetzt?

Erwerbsarbeit, ein historisch relativ junges Konstrukt, unterliegt großen Umschwüngen. Dieser stetige Wandel wurde bislang vor allem durch technologische und politische Umwälzungen angestoßen. Die stärksten derzeit wirkenden Einflüsse bzw. Trends lauten:

  • Die Digitalisierung entfaltet so langsam ihr volles Potential. Gemeint ist nicht bloß die Elektrifizierung und Automatisierung vormals mechanischer (Arbeits-)Prozesse. Die Vernetzung der wachsenden Weltgemeinschaft (Globalisierung 2.0) und des globalen Arbeitsmarkts hat erst vor wenigen Jahren eingesetzt.
  • Der demografische Wandel zwingt Arbeitgeber in die Situation, automatisieren zu müssen. Arbeitnehmer profitieren von der Überalterung der Gesellschaft, sodass immer mehr Qualifikationen oder Professionen unter Hochdruck gesucht werden – und Beschäftigte sich immer mehr ganz mündig und selbstbestimmt ihre Erwerbsbiographie stricken.
  • Der Wertewandel in liberalen, demokratischen Staaten ermöglicht die aktive Teilhabe vormals unterdrückter Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig werden die Bedingungen für die berufliche Selbstverwirklichung immer günstiger.Schließlich zeigt die relative Reife der New Work-Diskussion, dass wir weit davon entfernt sind, eine einheitliche Definition für Neue Arbeit zu entwickeln. Es sind allenfalls Stoßrichtungen der Transformation; das Ergebnis wird bei jeder Organisation anders aussehen.

Was bedeutet New Work für Organisation und Management?

Selbstverständlich stehen wir noch am Beginn der Transformation. Oder stecken mittendrin. Das hängt von Ihrem Standpunkt und der Rhetorik ab. Wichtig ist, dass New Work per Definition kein abschließbarer Prozess sein kann – kein Change-Prozess mit einem konkreten Ziel.

Mindset shifts for organization transformation (new work)Aaron Sachs und Anupam Kundu haben eine schöne bildliche Darstellung entwickelt, die die fundamentalen Richtungswechsel darstellt. Ich versuche mich auch in meinen Keynotes immer mal gern an einer Erläuterung. Nun auch hier:

  • Unternehmenszweck: Natürlich müssen Unternehmen Gewinn (profit) erwirtschaften. In Wirklichkeit müssen sie sich aber viel stärker an einem Sinn (purpose) orientieren – das macht übrigens auch die Personalarbeit leichter. Im nächsten Schritt wird die strikte Formulierung von Prozessen weniger benötigt, da jede*r einzelne Mitarbeiter*in den Sinn so sehr verinnerlicht hat, dass das Ziel mit eigenen Mitteln erreicht werden kann. Oft auch unkonventionell, eben individuell auf die Bedürfnisse und Stärken der Persönlichkeit zugeschnitten.
  • Aufbauorganisation: Verabschieden Sie sich von starren Hierarchien und machen Platz für Netzwerke. Agile Projektteams, in denen auch mal die Geschäftsführung als einfache Teamplayer einer Projektleiterin unterstellt sind – kein Novum mehr in Unternehmen an der Spitze der New Work-Bewegung. Eine Kienbaum-/StepStone-Studie hat 2017 nachgewiesen, dass mit steigender Durchlässigkeit der Hierarchieebenen der Unternehmenserfolg messbar steigt (von funktional über Matrix über gar keine Abteilungen zu divisional und schließlich agil).
  • Personalführung: Gemäß dem tayloristischen System müssen Führungskräfte ihre Angestellten eng führen und kontrollieren, weil sie ja schließlich selbst nicht in der Lage sind, eigenständig zu handeln. Überprüfen Sie gern mal Ihr Prozesswerk, das haargenau diese und jene Schritte für die einfachsten Tätigkeiten festlegt – dadurch wird Menschen das eigenständige Denken abgewöhnt. Viel wichtiger ist in der Neuen Arbeitswelt die Befähigung (empowering) der Beschäftigten: durch eine offene, faire Feedback-Kultur, intrinsische Anreize, eine gesunde Fehlerkultur und Zugeständnisse bei Entscheidungswegen.
  • Produktentwicklung: Die deutsche Innovationskultur zeichnet sich durch einen perfektionistischen Tüftlerdrang aus. Die Metapher ist der schwäbische Tüftler, der in seiner Garage eine Idee jahrelang bis zum perfekten, marktfähigen Produkt entwickelt – zwischendurch ein Patent anmeldet und ein Marktforschungsinstitut mit einer repräsentativen Studie seiner Zielgruppe beauftragt. Bei immer kürzer werdenden Innovationszyklen auf immer diffuseren Märkten kann diese Taktik nicht mehr funktionieren. An der Stelle müssen sich Erfinder*innen und Entwickler*innen eine Scheibe aus dem Silicon Valley abschneiden und mehr experimentieren. Und zwar in der Realität. Ein Prototyp bzw. Pretotyp (oder auch MVP, minimum viable product) ist egal für welche Idee (ausgenommen vielleicht Hochsicherheitslösungen) schnell entwickelt, wird dann an eine begrenzte Testgruppe herangeführt, um Feedback zu erhalten, dieses anschließend umzusetzen und mit einer überarbeiteten Fassung erneut an die Öffentlichkeit zu gehen. Selbst die ersten Fahrzeuge von Tesla verfolgten dieses Ziel; in den Fahrzeugen war so viel unfunktionale Sensorik verbaut, die nur dem Zweck diente, Daten über das Nutzungsverhalten zu sammeln und mit einer massiven Support-Offensive die oft noch unzufriedenen, oft unbewussten Test-Fahrer bei Laune zu halten.
  • Daten: Das leidige Thema Datenschutz und Betriebsgeheimnisse. Die „alte Welt“ funktioniert nach strikten Wettbewerbsregeln, in denen Unternehmen ihre interne Entwicklung hermetisch abschirmten. Wieder bemühe ich die steigende Innovationsgeschwindigkeit als Gegenargument: in einer globalisierten Welt können Sie sich sicher sein, dass ein*e Entwickler*in irgendwo auf dem Globus exakt dieselbe Idee schon mal gedacht hat wir Ihr Entwicklerteam. Ideen wachsen nur durch Diskurs und Experimente. Besonders in heterogenen Gruppen gedeihen diese umso besser – eine Erklärung für die wachsende Anzahl teils brancheninterner Allianzen, wie zwischen BMW und Daimler oder Kooperationen zwischen TÜV NORD und TÜV SÜD, die ich leiten durfte. Darüber hinaus findet immer mehr Ideen- und Innovationsaustausch auf oft noch informellen Treffen statt, während andernorts Innovativität noch an der Anzahl der angemeldeten Patente gemessen wird. Wenn die Anmeldung eines Patents ca. zwei Jahre dauert, der Konkurrent dieselbe Lösung aber zwischendurch auf den Markt bringt, nützt dem besten Erfinder das Postkartenformat im Hausflur genau gar nichts.

Schlussstrich und Ausblick: Digitalisierung führt zu New Work

Der Druck auf den Arbeitsmarkt ist groß. Digitalisierung, Demografie, Arbeitnehmerbewusstsein, Globalisierung… Im Ergebnis erwarten Optimisten, dass die Neue Arbeit keine Umstellung für den einzelnen Menschen sein wird, sondern viel enger auf die Bedürfnisse abgestellt ist. Flexible Arbeitszeiten und -orte (wie Homeoffice), BYOD (bring your own device), interessen- und stärkenbasierte Einsatzzwecke und vieles mehr. In ein paar Jahrzehnten werden sich Historiker über unsere Epoche der tayloristischen Erwerbsarbeit und Aufbauorganisation mit einer ähnlichen Distanz und Unverständlichkeit äußern wie wir heute über Sklaventum oder Feudalismus urteilen.

Es gibt viel zu tun. Packen wir es an! … und wenn Sie Unterstützung bei der Umsetzung oder Inspiration für Ihre Mitarbeiter (oder Vorgesetzten) wünschen: kontaktieren Sie mich.

Ausgewählte Quellen

Dittrich, Bob (2019): New Work. Eine qualitative Expertenbefragung (Bachelorarbeit, unveröffentlicht).

Eilers, Frank (laufend): Arbeitsphilosophen Podcast: https://www.einfach-eilers.com/arbeitsphilosophen.

Mason, Paul (2015): Postkapitalismus.

Schröder, Martin (2018): Der Generationenmythos. Online.

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Die Zukunft der Unternehmen

In einem anderthalbjährigen Forschungsprojekt habe ich mich in einem kleinen Team mit der Zukunft der Berliner Unternehmen auseinandergesetzt.

Das Projekt war angegliedert an das zweijährige Forschungsvorhaben des Instituts für Entrepreneurship, Mittelstand und Familienunternehmen (EMF) der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin: Innovative Lern- und Kommunikationskonzepte zur Unternehmensnachfolge in Berlin. Eines der Produkte dieses Projekts ist die Website www.nachfolge-in-deutschland.de – dort wird auch der Abschlussbericht kostenlos als pdf veröffentlicht werden, er ist aber auch käuflich erwerbbar. Und ein richtiges Buch ist ja auch viel schöner als ein digitales…

Zukunftsstudie

Unsere Zukunftsstudie befasste sich weniger mit der Kommunikation als mit der Zukunft der Unternehmensnachfolge. Dazu haben wir in einem mehrstufigen Verfahren aus Expertendelphi, Workshops, quantitativer Befragung und schließlich einem Szenarioprozess die Zukunft Berlins beleuchtet.

Ein Ergebnis lautet: die Unternehmenslandschaft unterliegt teils enormen Veränderungsprozessen. Insbesondere der Bereich der Unternehmensnachfolge wird stark vom Wertewandel beeinflusst. Heute ist es alles andere als vorherbestimmt, dass die Kinder von Unternehmern später einmal die Firma übernehmen. Deshalb werden familienexterne Übernahmen in Zukunft weiter zunehmen.

Der demographische Wandel wirkt sich in Berlin anders aus als im Rest Deutschlands. Berlin bleibt auch in Zukunft die Metropole und zieht viele Fachkräfte an. Daher wird der Arbeitsmarkt auch in höher qualifizierten Berufen tendenziell angespannt bleiben.

Wenn Sie Ihre persönliche Kopie des 184-seitigen Berichts erhalten oder in Form eines Vortrags oder Beitrags tiefer eintauchen möchten, schreiben Sie mir einfach eine Mail.

Edition EMF – Band 6
Unternehmensnachfolge in Berlin 2030. Wertewandel und der Einfluss gesellschaftlicher Entwicklungen auf Unternehmensnachfolgen im Jahr 2030 – Ist das klassische Familienunternehmen ein Auslaufmodell?

Projektleitung:
Prof. Dr. Birgit Felden

Zukunftsforscher:
Kai Gondlach, M.A.
Mira Schirrmeister, M.A.
Mischa Stähli, M.A.

Wissenschaftliche Mitarbeit:
Michael Graffius, M.A.
Laura Marwede, M.A.

ISBN 978-3-940989-15-4, 19,90 EUR

Keynote über die Zukunft der Unternehmen anfragen

Selbstverständlich gehört das Thema der "Zukunft der Unternehmen" (inklusive Nachfolge) auch zu meinem Repertoire als Keynote Speaker. Wenn Sie Interesse an einem Vortrag oder auch Beitrag für Ihr Magazin haben, schreiben Sie gern eine Nachricht über folgendes Formular: