Ausblick 2022: Corona, Ampel und High-Tech
2021 ist vorbei. Endlich, denken jetzt bestimmt viele. Was erwartet uns im neuen Jahr 2022? Eins ist sicher: Es wird nie wieder so wenige Veränderungen und Überraschungen geben wie im zurückliegenden Jahr. Mit diesem Beitrag möchte ich ein paar Rückblicke geben, vor allem soll es aber um den Ausblick auf 2022 gehen. Anschließend gibt's noch einen sehr persönlichen Rückblick auf ein außerordentlich turbulentes Jahr in meinem Leben.
Allgemeiner Rück- und Ausblick 2021/2022
Zu jedem Ausblick gehört auch ein kurzer Rückblick. Ich bemühe mich um Reduktion aufs Wesentliche, versprochen!
Die wichtigsten Themen im Schnelldurchlauf:
Pandemie: Wie geht's 2022 weiter?
Corona spaltet die Gesellschaft nicht, stattdessen sind die bestehenden Spaltungen offensichtlicher zutage getreten. Noch immer ziehen ungeimpfte Mobs teils mit Fackeln, teils mit Kindern als Schutzschilde [wie in Schweinfurt, siehe 1, 2, 3, 4, 5] durch die Dörfer und wollen gehört werden. Sie sind entweder esoterisch oder aus anderen Gründen kategorisch gegen Impfungen und glauben, ihr Immunsystem komme mit dem Virus klar; sie sind Neonazis oder andere politische Extreme bzw. Radikale und haben nur auf eine Gelegenheit gewartet, die Demokratie anzugreifen und Ungebildete hinter sich zu versammeln; sie sind Ungebildete und/oder digital Abgehängte, die nicht wissen, wie man eine wahre von einer gefälschten Information unterscheidet; schließlich die Ängstlichen, die entweder Angst vor Spritzen haben, Angst vor einem Genozid durch Bill Gates oder Angst vor einem Impfstoff, der schneller denn je entwickelt wurde.
Gegen die Spekulationen hilft Information. Das Paul-Ehrlich-Institut sammelt beispielsweise Nebenwirkungen und Impfschäden und "gibt die durchschnittliche Häufigkeit von anaphylaktischen Reaktionen nach der Verabreichung von derzeit in Deutschland zugelassenen Impfstoffen mit 0,4 bis 11,8 pro 1 Million Impfstoffdosen an" [RKI]. Natürlich gibt es auch noch die Schwerkranken, die sich nicht impfen lassen können, doch das sind verschwindend wenige - die meisten Bedenken hinsichtlich der eigenen Untauglichkeit für eine Impfung werden sehr transparent aufgeklärt und treffen nicht zu. Und selbst bei einer Allergie gegen einzelne Bestandteile eines Vakzins gibt es ja zum Glück inzwischen eine breite Auswahl, bald auch sogenannte Totimpfstoffe. Für eine Übersicht zur Impfung empfiehlt sich die Übersicht des RKI sowie das Impf-Dashboard der Bundesregierung.
Meine Beobachtung nach bald zwei Jahren Pandemie: Es wird noch immer zu viel auf eine laute Minderheit gehört, was eigentlich ein Anzeichen einer guten Demokratie in einer pluralistischen Gesellschaft ist, dennoch bleibt diese Minderheit bei Anklagen, wir lebten in einer Corona-Diktatur; es gibt übrigens eine gruselige Überschneidung in den Splittergruppen, die sich ebenso vor einer Öko-Diktatur fürchten oder seit Jahren eine linksgrünversiffte Verschwörung wittern. Oft werden die hinreichend begründeten Eingriffe ins öffentliche Leben durch die Pandemiemaßnahmen als unrechtmäßige Grundgesetzeinschränkungen überspitzt; dies wurde nun mehrfach von unterschiedlichen Gerichten widerlegt. Umgekehrt rechtfertigen viele Gegner:innen ihre "Meinungsfreiheit", wenn sie die Wirksamkeit der Impfungen, die Wahrhaftigkeit medialer Berichterstattung oder den Hergang der Pandemie anzweifeln; doch auch Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen. Um genau zu sein genau dort, wo sie bewusst Lügen oder Fake News verbreitet - in einem Artikel von Mitte 2020 sehr verständlich erläutert von der Bundeszentrale für politische Bildung. Die einzige Logik, die das Handeln und Kommunizieren in den Kommentarspalten in "Social Media" eint, ist die durch den kognitiven Bestätigungsfehler (confirmation bias) befeuerte rekursive Beweisführung - wer oder was anderer Meinung ist, ist offensichtlich ein:e Gegner:in. Das ist keine Polemik, sondern sorgsam beobachtete Alltagspraxis.
Wechseln wir mal die Perspektive.
Infolge der Shutdowns wurden einerseits viele Existenzen bedroht oder mussten aufgeben. Auf der anderen Seite hat die Bundesregierung 57 Milliarden Euro an Zuschüssen ausgezahlt, um genau dies zu verhindern, Kredite wurden in Höhe von 109 Milliarden Euro vergeben (Stand November 2021). Vor allem kleine und mittlere Unternehmen wurden in der "Überbrückungshilfe III" berücksichtigt und gerettet, wovon auch ich profitiert habe. Wer hier noch von einer Diktatur spricht, ist ein Fall für die geschlossene Abteilung oder sollte vielleicht mal ein längeres Praktikum in Belarus machen.
Wir leben im Schlaraffenland und keiner merkt's.
Doch Empörung über diejenigen, die leider durch das Raster fallen oder tragischerweise mit den Antragsformularen überfordert sind, verbreitet sich erheblich effizienter als Erfolgsmeldungen über gerettete Existenzen und Rekordkurzarbeitergeldsummen. Wenn ich mir die Diskussionen bei Facebook, Instagram, Tiktok und Linkedin ansehe, wird mir immer übler. Mein Ansatz ist es immer, die Beweggründe von Skeptiker:innen und Gegner:innen besser zu verstehen; manchmal muss ich mich sehr beherrschen, nicht zynisch zu werden. Oft klappt es aber ganz gut und auf respektvolles Zuhören folgen ehrliche Auseinandersetzungen. Es wäre ja auch zu einfach davon auszugehen, dass eine scheinbar einfache Lösung einfach so von 100% der Bevölkerung angenommen wird. Was oft fehlt, ist gewaltfreie, respektvolle und offene Kommunikation über die Bedürfnisse der Menschen. Vielleicht klappt's ja mit dem neuen Gesundheitsminister, der sich allerdings gerade bei skeptischen Menschen nicht gerade hoher Beliebtheit erfreut.
Wie geht's weiter?
Die Wahrscheinlichkeit für weitere Covid-Varianten ist relativ hoch. Auf Delta und Omikron werden global sicherlich noch einige weitere folgen, viele davon werden es nicht um die Welt schaffen und milder sein als die bisherigen. Im globalen Norden ist inzwischen ein großer Teil der Bevölkerung besser dagegen geschützt, vor allem dank der Impfungen inklusive Booster. Mein Mix besteht übrigens aus AstraZeneca, BionTech und Moderna, da ich von Beginn an auf Kreuzimpfungen gesetzt habe. Der globale Süden wiederum wartet noch auf Impfungen, wodurch das Virus weiter mutieren kann. Bedeutet: Die Fortschreibung des wirtschaftlichen Kolonialismus ist eine medizinische Notlage in zahlreichen Staaten in Afrika, Südamerika und Teilen Asiens. Während viele Menschen keinen Zugang zu vernünftiger Medizin haben, lehnen viele Deutsche die Impfung ab - diese Wohlstandsverwahrlosung widert mich an. Entsprechend unterstütze ich harte Maßnahmen gegen Menschen, die andere Menschen und damit die Gesellschaft auf egoistische Weise immer wieder bei Versammlungen in Gefahr bringen, die Falschmeldungen verbreiten und respektlos (besonders in "Social" Media) gegen alles hetzen, was nicht ihrer Meinung ist. Solidarität war nie wichtiger, doch die haben viele leider verlernt. Dank der Unentschlossenheit oder auch bewussten Opposition gegen Wissenschaft stecken wir noch viele Monate in der Pandemie, die auch im nächsten Winter Maßnahmen notwendig machen dürfte mit der Folge, dass die sich weiter radikalisierenden Covidioten auch mal zu schwererem Geschütz greifen werden. Der große Knall kommt noch und wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, warten wir selbstverständlich ab, bis es eine Katastrophe gibt.
Das bringt mich zum nächsten Punkt.
Ampel-Regierung 2022
Die Deutschen haben gewählt und dabei kam erstmals eine Dreier-Koalition als Bundesregierung heraus (wenn man die CSU nicht als eigenständige Partei begreift, was sie ja auch nicht ist). Die sogenannte Ampel-Regierung aus Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Freidemokraten (FDP) hat sich relativ schnell nach der Bundestagswahl gefunden und nach kurzen Sondierungsgesprächen und gar nicht mal übermäßig zähen Koalitionsverhandlungen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Anfang Dezember wurde Olaf Scholz als neuer Bundeskanzler gewählt und der Rest des Kabinetts kann anderswo besser nachgelesen werden. Natürlich habe ich darüber auch in meinem Podcast "Im Hier und Morgen" berichtet. Was wichtig ist: Nach 16 Jahren konservativ geführter Politik freue ich mich unabhängig von der politischen Färbung auf eine progressive Regierung - wir brauchen mehr Veränderung. Denn was die Merkel-Ära auszeichnet, ist einerseits eine herzlichere und gar nicht mal so CDU-typische Kanzlerschaft des "wir schaffen das". Andererseits hat die Politik der kleinen Schritte ehrlicherweise vor allem verwaltet, statt zu gestalten; am Vergangenen festgehalten, statt sich Neuem zu öffnen; die Wogen im Äußeren geglättet, statt eigene Werte zu vertreten. Besonders in der Energie-, Sozial- und Wirtschaftspolitik hat sie bestehende Ungerechtigkeiten und Anachronismen verhärtet, statt sie aufzulösen.
Die Ampel-Regierung versteht sich im Kontrast zur CDU-Ära als Koalition des Aufbruchs. Viele auch strittige Punkte zwischen den einzelnen Parteien wurden erstaunlich schnell und konstruktiv gelöst; das könnte daran liegen, dass die FDP einfach mal wieder mitregieren wollte und somit viele Aspekte abgenickt hat. Was viele erstaunt hat, ist der scheinbare Triumpf der Freidemokraten, die Leitung des Verkehrsministeriums erlangt zu haben; für mich ein kluger Schachzug der Grünen, die ja wissen, dass Verkehr zwar in der Außenwahrnehmung ein wichtiges Ökothema ist, in Wirklichkeit aber Industrie und Ernährung die Hauptemissionsursachen sind. Meine Highlights sind der deutliche Anstieg des Mindestlohns, Bürokratieabbau in der Verwaltung, Neuordnung der Subventionspolitik insbesondere im Landwirtschaftssektor, Kohleausstieg bis 2030 und verpflichtende energetische Gebäudesanierung zum selben Datum. Selbstständigkeit soll stärker gefördert werden, Bildung stärker unabhängig vom sozialen Hintergrund und vor allem digitaler, Renten steigen und vieles mehr. Wenn die kommenden vier Jahre vernünftig genutzt werden sollen, dürfte schon in 2022 vieles auf den Weg gebracht werden. Ich bin gespannt, wie sich die Union positionieren wird, wie häufig Abstimmungen gemeinsam mit der AfD oder der Linken geschehen müssen!
Die politische Landschaft muss sich auf neue Gegebenheiten einstellen. Manche erwarten sogar das Aufbrechen der klassischen links-rechts-grün-Dimension, zumal über 40 zugelassene Parteien andere und teils nur partikulare Interessen vertreten - aber nicht im Parlament vertreten sind. Das Wahlrecht könnte eine Reform vertragen. Vielleicht schiebt die Ampel ja auch ein solches Vorhaben an? Wir werden sehen. Klar ist, dass die Welt komplexer und schneller geworden ist, seit die Bundesrepublik gegründet wurde. Das ist erstmal weder gut noch schlecht, jedoch muss man darauf reagieren, wahre Resilienz üben, Zukünftebildung (Futures Literacy) vorantreiben und Reibungen aushalten.
High-Tech-Trends in 2022
Kryptowährungen wie der Bitcoin , Ethereum und andere "Altcoins" werden weiter im Wert zunehmen. Das war seit deren Erfindung Ende der 2000er Jahre bislang konstant so und doch beäugen viele diese Entwicklung eher skeptisch. Gegen Ende des Jahres 2022 werden sich dann wieder alle, die immer noch keine haben, ärgern. Aber dann ist ja wieder ein Jahr rum und man weiß ja nicht, ob es sich jetzt denn nun noch lohnt. Ich wäre da skeptisch, die größten Kursgewinne dürften im Laufe des Jahres 2022 zu verbuchen sein, doch wenn eine kritische Masse "in krypto macht", ist es vorbei und langweilig. Alle Jahre wieder halt. Ein benachbartes Thema sind die Non-Fungible Tokens (NFT), die weiterhin die Digitalwelt erobern. Wer mit dem Begriff NFTs noch nichts anfangen kann und trotzdem etwas digital unterwegs ist, sollte sich damit mal beschäftigen. Bei Medium gibt’s einen netten Artikel, wie NFTs Netflix und Amazon Prime angreifen könnten.
Das Web 3.0 und das Metaversum sind im Anmarsch, werden aber zurecht von einigen Tech-Pionieren als vollkommen überschätzt dargestellt. Ich denke aber schon, dass in den nächsten Monaten und Jahren immer mehr Menschen immer mehr Zeit in der virtuellen Zweitwelt verbringen könnten, dort Geschäfte treiben, Geld verdienen und ausgeben. Einige werden vielleicht ihre Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen, soblad die VR-Headsets und Matrixsuits ihnen eine virtuelle Welt so gut vorkaugeln, dass sich das Aufstehen nicht mehr lohnt. Sie ernähren sich von Pulver oder direkt intravenös, sind im Prinzip wie Palliativpatienten gut umsorgt und doch abwesend. Auf der anderen Seite der Skala dezentralisiert sich die Plattformökonomie der letzten Jahre zunehmend. Direkterer Tauschhandel, freiere Informationsströme, demokratischere Strukturen schaffen so den Sprung aus der Schmuddelecke im Deep und Dark Web. Wäre es nicht schön, wenn die Strafverfolgungsbehörden auch den Sprung ins 21. Jahrhundert schaffen und Cyber-Kriminalität endlich wirksam bekämpfen würden? Aber das bleibt 2022 unter Garantie noch ein Wunschtraum. Allerdings wäre es eine relevante Erwartung eines FDP-geführten Justizministeriums, die sich ja so digital und modern gibt?
Klar, künstliche Intelligenz ist weiter auf dem Vormarsch. Das ist nichts Neues, durchdringt aber endlich stärker auch die deutschsprachige Wirtschaft und Gesellschaft. Öffentliche Verwaltung natürlich noch nicht so sehr. Der oben erwähnte Band "Arbeitswelt und KI 2030" möchte genau das ändern und es gibt zahlreiche andere Aktivitäten (ja, auch staatliche), die den zögernden Organisationen helfen möchten. Dass man vor der Technologie, die ihren Namen völlig zu Unrecht trägt, keine Angst haben braucht, beschreibe ich zum Beispiel in dem Beitrag über "German Angst" gemeinsam mit Dr. Michaela Regneri, den wir auch in einer Podcast-Episode kommentiert haben. Die Transformation geschieht aus Vogelperspektive natürlich auch von selbst, doch ohne Starthilfe wird es zum größten Massensterben von Unternehmen führen. Es scheint unausweichlich, dass aufgrund fehlender Digitalisierung, antiquierter Unternehmensorganisation und schlechter Vorbereitung auf Demografie und Klimawandel ein nennenswerter Teil der Unternehmen die 2020er Jahre nicht überleben wird.
Da haben wir noch nicht von Quantencomputern und deren Anwendungen gesprochen, immerhin hat die Fraunhofer-Gesellschaft ja nun Zugriff auf einen IBM-QC und die Bundesregierung fördert den Aufbau eines eigenen Geräts. Davon hat der Mittelstand in diesem Jahrzehnt zwar nichts mehr, doch einige Produkte und Lösungen werden zeitnah, vielleicht schon 2022, auf den Markt kommen, die nur noch auf Basis eines Quantencomputers errechnet, ver- oder entschlüsselt werden können. Noch weniger anwendungsnah klingt die Entwicklung der Xenobots, also Roboter mit lebendigen Zellen, die beispielsweise auf die Reinigung der Ozeane oder Entschlackung der menschlichen Blutbahnen programmiert werden können und dann "sterben".
Die aktuelle medizinische Revolution ist im Labor weitgehend abgeschlossen und wir profitieren ja schon in hohem Maße von den Vorzügen künstlicher Intelligenz und neuartiger Gentechnologie. So schnell hat es eine Innovation noch nie von der Forschung in die Praxis geschafft, aber irgendetwas Gutes muss Covid19 ja auch haben. Nächstes Jahr werden wir immer mehr Anwendungen auch in der Breite sehen, darunter vielleicht neue Individualtherapien für schwere Krebsfälle oder Diabetes; bessere Früherkennung von schweren Krankheiten in besonderen Arztpraxen und Kliniken; personalisierte Arzneimittel aus neuen Apotheken. Das muss natürlich auch erlaubt sein, ich frage meine Krankenkassen ja regelmäßig, wann sie mir auf Grundlage meiner Genomsequenzierungen individuelle Angebote macht - dauert nocht...
Im Energiesektor bahnt sich seit Längerem eine Renaissance der Kernkraft an. Einerseits sollen die Kraftwerde sehr viel kleiner sein, andererseits nicht nur auf Kernspaltung, sondern Kernfusion basieren. Als ich in der siebten Klasse einen Vortrag darüber hielt, tadelte mich mein Physiklehrer Herr Kruse, dass die Idee zwar nett klinge, aber für immer eine Vision bleibe. Hoffentlich kann ich mich nächstes Jahr bei ihm melden und widerlegen, denn vieles deutet darauf hin, dass 2021 die wichtigsten Durchbrüche erzielt wurden, um ein Plasma zu stabilisieren und in wenigen Jahren tatsächlich ähnlich wie in der Sonne nahezu endlos viel Energie zu erzeugen. Seit Google sich mit Bill Gates zusammengetan hat und viele Milliarden US-Dollar in die Technologie investiert, sehe ich alle Anzeichen auf eine Revolution der Energiebranche. Politisch heikel, technologisch aber vielleicht derdie letzte Bedingung für eine neue Stufe der Zivilisation.
Diese Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Unter High-Tech oder Bleeding-Edge-Tech versteht jede:r etwas anderes. Vielleicht kommen hier fehlende Themen ja auch mal in meinem Podcast oder Newsletter; ich bin ja auch immer offen für Anfragen und Diskussionen.
Mein privater Rückblick auf 2021: Auf und Ab!
Für viele war 2021 ein Jahr der Turbulenzen, so auch für mich. Es begann mit einigen guten Vorsätzen, unter anderem wollte ich mich ernsthaft auf den großen Hamburg Triathlon - immerhin der größte seiner Art weltweit - vorbereiten. Also ging ich Anfang Januar noch häufiger als sonst joggen, was in einer recht winterlich-vermatschten Umgebung natürlich riskant ist. Und so dauerte es nicht lang, bis ich mir beim Training im Park beide Knie verletzte. Genauer gesagt, waren beide Menisken angerissen. Aua. Da aber zu der Zeit dank der Corona-Shutdowns ohnehin nicht viele Reisen angesetzt waren, konnte ich mich ganz gut zuhause kurieren.
Im Frühjahr entspannten sich die Covid-Inzidenzen wieder, was mir auch wieder mehr Reisetätigkeit bescherte. So war ich bei tollen Kunden unterwegs, sprach öfter als sonst über Resilienz und habe unter anderem der Filmindustrie vorgerechnet, wann schauspielerfreie Filmproduktionen machbar sein werden. Dabei kam mir auch eine eigene Idee für eine Science-Fiction-Produktion, welche seitdem verfolgt wird - ist aber noch nicht spruchreif.
Nach ein paar Wochen Schonung und neuen Einlagen in den Schuhen habe ich mich dann auf das Fahrrad- und bald auch Schwimmtraining konzentriert. Schwimmen lief in der Leipziger Seenlandschaft problemlos, doch der nächste große Rückschlag geschah im Juli beim Radeln. Ich war gerade im meinem RedBull-Rennrad (R.I.P.) rund um Leipzig unterwegs und fuhr wieder von Westen über Plagwitz in die Stadt, eine vertraute Strecke. Das dachte sich wohl auch eine Autofahrerin, die beim Abbiegen nicht so genau hinsah und mich beim Anfahren vom Sattel riss. Ich war einige Minuten bewusstlos und als ich wieder zu mir kam, war mein erster Reflex, meine Hände und Füße zu bewegen - erfolgreich! Erleichterung! Alles andere war erstmal sekundär. Alles andere war: Schlüsselbeinbruch, mehrere Rippenprellungen, Hämatome und Platzwunden, ein abgebrochener Zahn, ein eingerissenes Ohr und natürlich ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma. Und natürlich die Tatsache, dass der Traum vom Triathlon aus war. Zwei Wochen später wurde ich dann entgegen einer Ersteinschätzung doch operiert und bekam eine Titanplatte in die Schulter implantiert, die dort nun für zwei Jahre wohnen wird. Ziemlich unangenehm alles, aber hey: es hätte schlimmer kommen können.
Am 31. Juli war dann noch eine ganz besondere Frist: Die Abgabe des Manuskripts für den Band "Arbeitswelt und KI 2030", den ich gemeinsam mit Inka Knappertsbusch bei Springer herausgebe. Inzwischen ist das Buch, das 41 Beiträge von 78 renommierten Expert:innen aus Forschung und Wirtschaft enthält, auch verfügbar und kann beispielsweise bei Amazon oder Buch7 oder Springer direkt bestellt werden. Aber zurück zum Thema: meinen eigenen Beitrag für den Band sowie die letzten Korrekturen habe ich in einem Krankenhausbett im Leipziger Uniklinikum unter recht starken Schmerzen finalisiert - wenn das mal kein Einsatz mit Herzblut ist! Aber so ist das Leben der Selbstständigen eben. Wenn es eine Frist gibt, wird die auch ernst genommen!
Zwei Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus stand dann wiederum ein lebensveränderndes Ereignis an: Am 13. August habe ich die Liebe meines Lebens geheiratet! Unser Standesamt kennen einige vielleicht aus dem Fernsehen, da dort die meisten Episoden von "Hochzeit auf den ersten Blick" ihr Finale erlebten. Wir kannten uns aber schon ein bisschen länger... Einen Tag danach konnten wir dann sogar mit all unseren Freunden und Verwandten in tollen Leipziger Locations feiern (>90% geimpft, alle getestet). Zwei Tage pure Glücksgefühle, auch wenn der Hochzeitstanz und die vielen Umarmungen der Wundheilung meiner Schulter nicht unbedingt zuträglich waren.
Schließlich endete das Jahr mit einer traurigen Wendung. Mein Vater ist Anfang September im Alter von 87 Jahren zum letzten Mal eingeschlafen. Wer mir schon länger folgt, weiß, dass ich ihn immer genannt habe, wenn es um die Frage ging, wie ich zur Zukunftsforschung gekommen bin. Wir hatten ein sehr gutes Vater-Sohn-Verhältnis und er hat mich auch in den letzten Jahren immer noch geprägt. In einem Buch namens "Papa, erzähl mal", das ich ihm zum 80. Geburtstag geschenkt und mir ausgefüllt zurückgewünscht hatte, schrieb er:
Sein Leben war für einen Jahrgang 1934 äußerst abwechslungsreich und in der ersten Hälfte auch reiseintensiv. In der zweiten kamen dann Selbstständigkeit und mein Bruder und ich dazu sowie schließlich eine ruhige Rentenzeit. Sein Abschied kam nicht vollkommen unerwartet, ging jedoch insgesamt relativ schnell; besonders dankbar bin ich dafür, dass er sich noch von seinem engsten Kreis verabschieden konnte, bevor wir seine Asche in einem Friedwald in der Nähe meiner Geburtsstadt Itzehoe beisetzen konnten.
Fazit: Alles anders, alles gleich
Auch das neue Jahr 2022 wird sich vor allem dadurch auszeichnen, dass vieles anders wird als erwartet. Als Zukunftsforscher kenne ich natürlich viele Entwicklungspfade, sonst bräuchte es ja keine Zukunftsforschung und Foresight. Als ursprünglicher Soziologe und Politik-/Verwaltungswissenschafler habe ich jedoch auch immer die Gesellschaft im Ganzen im Blick und stelle immer wieder fest, wie groß die Entfernung der Pioniere zu der stillen Masse ist. Es sollte nicht jede:r potenziell Raketenwissenschaftler:in werden können, doch ein Verständnis der wesentlichen Grundlagen der moderenen Gesellschaft wäre wichtig. Nur so begreifen Menschen Komplexität und Unplanbarkeit, nur so können sie echte von falschen Informationen unterscheiden, nur so ein zufriedenes und mündiges Leben führen. I have a dream...
Was sich ändert: Es stehen einige technologische Durchbrüche vor dem Beginn ihrer Kommerzialisierung; einige habe ich oben genannt. Worauf ich besonders gespannt bin, ist die Regionalisierung von Wertschöpfungsketten insbesondere in der Energiespeicher-/Batterieindustrie. Möglicherweise gelingt es Neuralink erstmals, Hirnimplantate für Menschen zum Einsatz zu bringen und einfache Gedanken an eine Maschine zu übertragen - der Startschuss für eine Wikipedia auf Gedankenabruf und damit die nächste Stufe des Transhumanismus. Es stehen fünf Landtagswahlen an: im (noch) Groko-Saarland, in (noch) Jamaika-Schleswig-Holstein, in (noch) schwarz-gelb-NRW und (noch) Groko-Niedersachsen. Wenn der Green New Deal ernsthaft umgesetzt wird, werden das Verbraucher:innen und Unternehmen deutlich zu spüren bekommen, nicht zuletzt durch die bereits begonnenen Umwälzungen an den internationalen Finanzmärkten in Richtung post-fossil. Dieser Drahtseilakt wird freilich nicht ohne Turbulenzen ablaufen, stellen Sie sich schon mal auf einen bunten Blumenstrauß von Wild Cards ein.
Was gleich bleibt: Wir leben in einer stabilen Demokratie, können uns auf die wesentlichen Pfeiler der Gesellschaft verlassen. Es droht weder der Zusammenbruch des Parlaments nach Weimarer Vorbild noch eine furchtbare Revolution der Querdenker. Die Preise steigen in fast allen Konsumbereichen und auf dem Weltmarkt, möglicherweise platzt die Immobilienblase nächstes Jahr, und klar, die Weltmächte sortieren sich gerade neu. Der Digitalisierungsschub durch die Pandemie wird anhalten und Automatisierung auch in akademische Berufe vordringen; es bleibt uns auch nichts anders übrig, da wir zu wenig Fachkräfte haben. Die Schwerkraft bleibt uns erhalten, die Klimakrise spitzt sich weiter zu und wir werden nicht müde, auf Risiken und Chancen hinzuweisen.
Doch was auf jeden Fall bleibt: Ich werde berichten, kommentieren und optimistisch nach vorn schauen. Irgendwer muss den Job ja erledigen.
Disclaimer
Dieser Beitrag ist eine gekürzte und alternative, aber verwandte Fassung des Linkedin-Artikels "2021/2022: Rück- und Ausblick vom Zukunftsforscher" und erscheint in ähnlicher Form als Episode am 30. Dezember 2021 in meinem Podcast "Im Hier und Morgen".
#02.12 Gigatrends: Die Mutter der Megatrends Im Hier und Morgen
Ich schreibe derzeit an einem Buch mit dem Arbeitstitel "Gigatrends". Dazu habe ich schon einen Zlog-Beitrag geschrieben, in dieser Podcast-Episode gehe ich etwas tiefer ins Detail. Was steckt dahinter, warum sind sie mindestens genauso wichtig wie Megatrends? Wieso arbeiten Wissenschaftler:innen nicht so gern mit Megatrends?
Seit Jahren ist mir aufgefallen, dass das Konzept der Megatrends Schwächen hat. Außerdem hat sich die ernsthafte Zukunftsforschung nur wenig damit auseinandergesetzt; das meiste stammt aus der eher populärwissenschaftlichen Trendforschung. Bunte Bildchen, die dabei helfen sollen, ein Unternehmen auf Kurs zu bringen - weil man nun weiß, dass es Digitalisierung gibt. Aha. Mit meinem Gigatrend-Ansatz möchte ich neuen Wind in die Debatte bringen, vor allem im Buch aber erstmal konkrete Trends der Zukunft beschreiben. Gigatrends helfen nämlich dabei, die jahrhunderte- oder gar jahrtausendelange Genese heutiger Entwicklungen besser zu verstehen ... und dann in die Zukunft zu projizieren.
Hier eine Übersicht der Themen:
00:00:00 Intro: Worum geht's in dieser Episode? Wo könnte das Thema schon mal erwähnt worden sein? #podcast #arbeitsphilosophen
00:00:32 Was sind Megatrends? #digitalisierung #urbanisierung #femaleshift #klimawandel #globalisierung
00:03:46 Was sind Gigatrends - und warum ist das wichtig?
00:11:31 Überblick: 5 Gigatrends, die unsere Zukunft prägen werden - und unsere Gegenwart hervorgebracht haben #gigatrend
00:13:37 Gigatrend 1: Leviathanozän. Warum einige Menschen die Erde zerstören #klimakrise #planetaryrights
00:17:26 Gigatrend 2: Postkapitalismus. (Wie) Arbeiten wir in einer Welt der (Voll-)Automatisierung? #newwork #doughnut #kreislaufwirtschaft #transmodernliberty
00:20:17 Gigatrend 3: Große Beschleunigung. Wohin führt die exponenzielle Beschleunigung der Technologie? #mooreslaw #singularität
00:22:35 Gigatrend 4: Vereinte Weltgemeinschaft. Welcher geopolitische Rahmen folgt auf die Vereinten Nationen, um Frieden für alle zu garantieren?
00:25:57 Gigatrend 5: Teilhabe. Wie kann größtmögliche Gleichberechtigung und Toleranz erreicht werden? #unlearningtimes
00:28:18 Fazit und Ausblick
Teaser gefällig? Eine kleine Vorschau aus dem Inhalt:
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Gigatrend: Die Mutter der Megatrends
Was ist ein Gigatrend? Wer sich mit Zukunft beschäftigt, kennt das Konzept der Megatrends: Globalisierung, Female Shift, Konnektivität, Urbanisierung, Individualisierung, New Work und einige mehr. John Naisbitt hat das Konzept vor gut 40 Jahren entwickelt und damit der Zukunfts- und Trendforschung in weiten Teilen der westlichen Welt zu großem Ansehen verholfen. Megatrends sind Entwicklungen, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken und mehrere Gesellschaftsbereiche (Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt etc.) über einen längeren Zeitraum beeinflussen. Wobei: beeinflussen? Das ist sprachlich nicht ganz korrekt, natürlich sind es einzelne Treiber wie Unternehmen, (politische) Entscheidungsträger oder zivilgesellschaftliche Gruppen, die den Unterschied machen.
Megatrends gehören zu diesen Konstrukten, die sich wahnsinnig gut dazu eignen, Wandel sichtbar und vor allem kommunizierbar zu machen. Und doch greifen sie meiner Beobachtung nach zu kurz, wenn wir den Blick etwas weiten wollen. Sie wissen schon, Zukunft ist eine Frage der Perspektive - und ich möchte Sie hiermit einmal mehr einladen, Ihre Perspektive zu weiten. Denn in meinen Studien der letzten Jahre ist mir immer mehr aufgefallen, dass es noch größere Muster gibt, die sich über mehrere Jahrhunderte erstrecken.
Megatrends wirken jahrzehnte-, Gigatrends jahrhundertelang
Während sich die junge Disziplin der Zukunftsforschung schwer tut, Trends und Megatrends zu operationalisieren, habe ich nach größeren Mustern gesucht. Wozu? Die Antwort liegt im Zeitgeist. Das aktuelle Jahrzehnt ist schon jetzt ein Jahrzehnt der Superlative. Ein paar Beispiele:
- Die Klimakrise ist die größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte.
- Künstliche Intelligenz könnte in diesem Jahrzehnt die Singularität erreichen - Millionen Arbeitsplätze sind von der "Automatisierung" bedroht.
- Quantencomputer stehen kurz vor dem Durchbruch zur kommerziellen Nutzung.
- Genmanipulation ermöglicht erstmals die Veränderung von Lebewesen oder Stammzellen.
- Die hegemoniale, geopolitische Weltordnung wird neu geschrieben (Aufstieg der BRICS-Staaten, Bedeutungsverlust der alten Mächte).
- Die Menschheit wird zur interplanetaren Spezies und plant erste Siedlungen auf Mond und Mars.
- Gesellschaftliche Spannungen eskalieren immer häufiger zwischen alten und neuen Konfliktlinien.
Um Veränderungen besser einordnen und Strategien längerfristig planen zu können, greifen die bekannten Megatrends zu kurz. Gigatrends hingegen beziehen deutlich mehr Signale und Trends in ihre Beschreibung ein und stehen somit auf einem breiteren, wissenschaftlichen Fundament. Und bevor ich Sie zu lange auf die Folter spanne, möchte ich hier einen kurzen Überblick in die (noch unveröffentlichten) Gigatrends gewähren. Sie haben sich seit mehreren Jahrhunderten angebahnt und wirken auch noch weit in die Zukunft - und zwar global und in allen Bereichen der Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt.
Gigatrend 1: Leviathanozän
Leviathanozän bezeichnet das Meta-Muster, welches zur Klimakrise geführt hat. Einige Hintergründe sind menschliche Eingriffe in die Ökosphäre sowie der verantwortungslose Umgang mit natürlichen Ressourcen, welcher maßgeblich von blinder Gier und einem Fehlverhältnis zu kapitalistischen Mechanismen herbeigeführt wurde. Die Geowissenschaften sprechen seit einigen Jahren vom Anthropozän, da sich die Folgen menschlichen Handelns längst in den Gesteinsschichten zeigen; andere schlagen bspw. den Begriff (engl.) "Chthulucene" vor. Mein Vorschlag geht weiter und verbindet die Elemente Erdzeitalter (-zän) mit dem Leviathan nach Thomas Hobbes Abhandlung über Politik und Macht (1651). Damit wird direkt begrifflich angedeutet, dass es sich um eine mehrere Jahrhunderte alte Entwicklung handelt.
Es ist schon faszinierend zu sehen, dass es gut 4,6 Milliarden Jahre gedauert hat, bis die Evolution des Planeten Erde eine mutmaßlich intelligente Spezies (homo sapiens) hervorbrachte - und der es innerhalb von knapp 300.000 Jahren schafft, seine eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Noch ist es nicht so weit, doch die Zeit wird knapp. Dieser Gigatrend beschreibt damit die wichtigsten Ursachen und Auswirkungen des Leviathanozän - und vermittelt auch ein Gefühl dafür, wie es weitergeht.
Gigatrend 2: Postkapitalismus
In Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung ist inzwischen vielen klar geworden, dass das Wirtschaftssystem, das unsere Vorfahren durch die ersten Wellen der Industrialisierung getragen hat, einer Neuausrichtung bedarf. Die ursprüngliche "New Work"-Idee nach F. Bergmann, Konzepte der "Doughnut-Economy" oder Kreislaufwirtschaft behandeln bereits die Fragen, wie eine sozial inklusive und ökologisch verträgliche Wirtschaft funktionieren kann. Leider haben es diese Ideen sehr schwer, zur etablierten, tendenziell konservativen Entscheidungsriege vorzudringen. Agilität, Kollaboration und Exnovation bieten Lösungsansätze, wie sowohl Unternehmen als auch Volkswirtschaften die Transformation schaffen können; doch alles beginnt bei einem neuen Menschenbild, das wenig mit dem anachronistischen Humankapital- und Controlling-Ansatz zu tun hat. Oft wird der Begriff Postkapitalismus reflexartig mit einer Abneigung gegen Kommunismus quittiert, doch darum geht es hier nicht; eher um eine Integration unterschiedlicher Systeme. Welche Elemente kennzeichnen die Ökonomie der Zukunft?
Gigatrend 3: Große Beschleunigung
Wir sprechen von Digitalisierung, Konnektivität, Vernetzung und Internet - doch wenige erkennen das große Muster dahinter. Die Bevölkerungsentwicklung seit der Zeitenwende, Ausbreitung der Menschheit über dem Globus, Konfrontation mit unterschiedlichen klimatischen Bedingungen und folglich "Innovation" bahnbrechender Entwicklungen haben sich schon früh angedeutet. Vielleicht ergeben sie auch erst in der Retrospektive eine logische Verknüpfung, doch genau darum geht es ja. Fragt sich: Wohin geht die Entwicklung? Bleibt die exponenzielle Kurve der technologischen Entwicklung erhalten? Wie verhält sich die technologische Geschwindigkeit im Verhältnis zur gesellschaftlichen und biologischen Komplexität?
Gigatrend 4: Vereinte Weltgemeinschaft
Kaum wurden die Menschen sesshaft und entwickelten komplexe Sprache (vor etwa 100.000 Jahren), begannen die Konflikte. Eine Prise Religion, dann der Maschendrahtzaun und schon hatten wir jahrzehntelange Kriege, Weltkriege, Kalte Kriege - Sie wissen schon. Wenn man die geopolitischen Konfliktlinien und -herde der letzten Jahre und sich andeutende Krisen analysiert, könnte man annehmen, dass es auch genauso weitergehen wird. Doch seit der Gründung der Vereinten Nationen, etwas später regionalen, transnationalen Verbünden wie der Europäischen Gemeinschaft, später Union, oder der Nato sollten größere Kriege der Vergangenheit angehören (was nicht immer gut funktioniert, wie wir aus den Kriegen im Irak, Afghanistan, der Krim, Bergkarabach, dem Nahost-Konflikt etc. wissen).
Doch seit Entwicklung von Atombomben stehen Mittel zur Verfügung, um in einer unkontrollierten Auseinandersetzung das Leben in weiten Teilen der Erde auszulöschen. Erzwungene Kooperation, wenn man so will. Fragt sich, wie es weitergeht, wenn die BRICS-Staaten, allen voran China und Indien, weiterhin ihr wirtschaftliches Wachstum aufrechterhalten können. Ein Ansatz zur friedlichen Integration und Inklusion findet sich in der uralten Idee der Tianxia. Im Gigatrend endet die Beschreibung der globalen Politik nicht heute, sondern einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte in der Zukunft - wie kann es die Menschheit schaffen, sich nicht gegenseitig auszulöschen?
Gigatrend 5: Teilhabe
Der Zugang zu Nahrung, Sicherheit, Gesundheit, Einkommen, Bildung, Demokratie und anderen essenziellen Bestandteilen eines nach UN-Definition lebenswerten Lebens sowie gesetzlich verankerte Garantien für Minderheiten haben in den letzten 80 Jahren stetig zugenommen - wenn man von einigen Rückschlägen absieht. Immer mehr Staaten basieren auf rechtsstaatlichen Prinzipien, organisieren freie Wahlen für Parlamente oder Präsidentinnen, Minderheiten werden mindestens durch die Justiz geschützt. Auch die Gleichberechtigung von Frauen und nicht-binären Menschen (LGBTIQ*) hat sich drastisch verbessert. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns bis zur wahren Gleichberechtigung, doch wir sind bereits ein gutes Stück vorangekommen. Angefangen hat diese Entwicklung nicht etwa nach dem Zweiten Weltkrieg oder in der Zeit der Aufklärung, sondern einige Jahrhunderte früher. Wohin führt uns der Weg der gleichberechtigten Teilhabe in Zukunft - dürfen dann auch Künstliche Intelligenzen an Wahlen teilnehmen?
Gigatrends: Kein Superlativ, sondern eine erweiterte Perspektive
An dieser Stelle endet meine kleine Einführung und, wenn Sie so wollen, die Vorschau auf mein Buch "Gigatrends". Es befindet sich noch in Entstehung, doch der Rahmen steht. Wenn Sie über die Veröffentlichung informiert werden wollen, tragen Sie sich am besten jetzt für meinen Newsletter ein; dieser erscheint maximal einmal im Monat, Sie brauchen also keine Angst vor einer E-Mail-Flut haben. Und wer weiß, vielleicht sehen Sie das Buch nächstes Jahr auch in Ihrem Buchladen - ich freue mich auf Ihr Feedback!
#01.08 Perspektiven 2021: Rückblick und Ausblick Im Hier und Morgen
Das zurückliegende Jahr ist bereits in die Geschichte eingegangen als das "Jahr der Pandemie". Viele negative Schlagzeilen beherrschten die Medien: neben Corona gab es politische Konflikte, Hungersnöte, Kriege und die Klimakatastrophe zeigte ihre Auswirkungen auch im "globalen Norden". Kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken! In meinem Ausblick auf 2021 hebe ich auch die Errungenschaften des Jahres hervor und entwickle verschiedene Perspektiven auf das neue Jahr.
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Quantencomputer: Was, wann, wie und warum?
Sprechen wir über Quantencomputer. Wenn ich das Thema bei meinen Keynotes aufwerfe, ernte ich in der Regel verständnislose, mäßig begeisterte Blicke. "Klingt nach Magie", oder: "Bis das kommt, bin ich Rentner*in!", so die Sprüche danach. Nun sind QC in den Massenmedien angekommen, also schauen wir doch mal, was sie können (werden).
Quantencomputer sind also endlich in den Massenmedien angekommen. Warum ist die Quantenüberlegenheit (quantum supremacy) wichtig für Sie? Weil sie das Spektrum der erlaubten Fragen (und der potentiell möglichen Lösungen) erheblich erweitert! Dieser Beitrag soll das Verständnis für Quantencomputer weitertragen - und er stellt keinen Anspruch an Vollständigkeit oder technische Tiefgründigkeit, sondern richtet sich an Einsteiger. Legen wir los!
Kurzer Rückblick
Quantencomputer basieren auf der Physik der kleinsten Teilchen unseres Universum, den Quanten. Als theoretische Begründer dieser divergierenden Auffassung der "Physik von allem" gelten in erster Linie die in den 1900-30er wirkenden Physiker Max Planck, Werner Heisenberg, Max Born, Pascual Jordan und Erwin Schrödinger (bekannt durch das Gedankenexperiment "Schrödingers's Katze"). Kurios, aber inzwischen durch die Experimentalphysik nachgewiesen: Quanten lassen sich zu keinem Zeitpunkt eindeutig in ihrem aktuellen Aufenthaltsort bestimmen. Sobald Forscher ein Quantenteilchen also beobachten, lässt sich dessen genaue Position nicht mehr eindeutig nennen. Darüber hinaus treibt die Quantenmechanik das Ganze auf die Spitze, da sie die Theorien (Unschärferelation, Teilchenverschränkung, deterministische Zeitentwicklung uvm.) längst messbar macht. Kurz gesagt. Alles, was wir aus unserem Erfahrungshorizont für gegeben angenommen haben, steht plötzlich infrage. Materie ist nicht mehr fest, Teilchen haben zwei Zustände gleichzeitig und vieles mehr.
Es dauerte nicht lang, bis die aufkommende Informatik das Thema aufgriff. Deren Grundlage beruht ja bekannterweise auf der Festkörperphysik und dem Ein- und Ausschalten von Transformatoren, um binäre Zustände darzustellen. Schnelle Computer zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit ihren Bits sehr oft zwischen 0 und 1 umschalten können. Durchschnittliche Smartphones können diesen Umschalteffekt heute ungefähr 100.000 mal schneller darstellen als der NASA-Computer der Apollo 11 Mission, der vor 50 Jahren Menschen auf den Mond gebracht hat. Würde man einen Turm aus allen aktiv genutzten iPhones weltweit bauen, käme man immerhin fast bis zur Hälfte zum Mond. Das wäre noch eine sinnvollere Verwendung der Geräte als Katzenvideos und Pornos zu streamen.
An- und Ausschalten ist der Quanteninformatik aber natürlich viel zu wenig. Wenn Quantenteilchen mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen, müsste man das doch auch für Rechenmaschinen nutzen können. Und so gebar die Idee der Qubits (statt Bits). Qubits können theoretisch jeden sowohl 0 als auch 1 darstellen, um es einfach herunterzubrechen. Gleichzeitig steigt die Rechenleistung der Quantenprozessoren nicht nur linear mit der Anzahl der Qubits, sondern exponentiell. Heißt: Ein Quantencomputer mit 3 Qubits hat doppelt so viel Rechenleistung wie einer mit 2 Qubits. Einer mit 4 Qubits hat bereits 2*2*2 Rechenleistung. Und um das Spielchen noch komplexer zu machen, sind inzwischen auch Qutrits gelungen: ein Qutrit kann sogar drei Zustände gleichzeitig annehmen.
Warum ist das JETZT wichtig?
Kürzlich verkündete Google - erst durch einen Leak, nun auch offiziell - die Quantenüberlegenheit. Verantwortlich dafür ist Google's Quantenprozessor Sycamore, der 54 Qubits hat (bzw. 53, einer ist leider durchgebrannt). Er schlug kürzlich den schnellsten Computer der Welt in einer sehr spezifischen Aufgabe, der Errechnung tatsächlicher Zufallszahlen, um Längen. Dieser "herkömmliche" Supercomputer heißt IBM Summit und kann 122 Billiarden Mal pro Sekunde 0en und 1en ein- und ausschalten. Er benötigt (rein rechnerisch) für das Lösen der Aufgabe rund 10.000 Jahre, Sycamore 200 Sekunden.
Ja, richtig, IBM bestreitet die Überlegenheit - immerhin will IBM das Quantum Rennen gewinnen. Ja, natürlich kann dieser Quantencomputer (noch) nicht die Menschheit retten. Doch genauso funktioniert Innovation:
"So oft eine neue überraschende Erkenntnis durch die Wissenschaft gewonnen wird, ist das erste Wort der Philister: es sei nicht wahr; das zweite: es sei gegen die Religion; und das dritte: so etwas habe Jedermann schon lange vorher gewußt." (Wilhelm Raabe, 1864)*
Heißt im Klartext - und dann endet dieses lange Intro endlich: Es ist an der Zeit, sich mit der Zukunft zu befassen. Sie wird schneller zur Realität als Sie denken.
Einleitung, zweiter Anlauf
Quantencomputer beschäftigen Zukunftsforscher schon seit einigen Jahrzehnten. Sie gehörten jedoch lange Zeit zu den weit entfernten utopischen Technologien, deren Durchbruch schon mehrmals "kurz bevor" stand. Doch nun nimmt die Entwicklung endlich Fahrt auf - und die Pioniere auf dem Gebiet präsentieren immer mehr realistische Anwendungen. Schauen wir uns doch mal ein paar an, bevor wir die Perspektive Richtung Zukunftsapplikationen wenden.
Vor drei Jahren hat eines der weltweit führenden Unternehmen in der Entwicklung von Quantencomputern, D-Wave Systems Inc., einen medienwirksamen use case präsentiert. In Kooperation mit Volkswagen AG haben die Entwickler den Verkehr der jeweils nächsten 20 Minuten zwischen dem Flughafen Peking und der Innenstadt der Millionenmetropole prognostiziert. Für die Auswertung der Datenpunkte (mehrere Millionen pro Sekunde) benötigte der Quantencomputer nur wenige Sekunden, ein extrem schneller, herkömmlicher Rechner brauchte über 20 Minuten. Die Navigationssysteme der Taxifahrer wurden entsprechend informiert und die Taxis umgeleitet - mit messbaren Folgen für den Verkehr.
Fun Fact: 2017 traf ich Robert "Bo" Ewald, den Präsidenten der Firma, beim 2b AHEAD Zukunftskongress und sprach mit ihm über die Implikationen der Technologie. Einer dieser Momente, wenn sich ein Zukunftsforscher zusammenreißen muss, um nicht zu euphorisch zu werden. Er, ein offensichtlich strahlender Pionier der Entwicklung, prognostizierte: Die Quantenüberlegenheit, also der Moment, wenn ein Quantencomputer auch den schnellsten Computer der Welt deutlich schlagen würde, sei Anfang der 2020er Jahre greifbar. Und nun, im Oktober 2019, wurde sie erreicht (s.o.)! Selbst die Prognosen optimistischer Technologen werden derzeit also offenbar durch die Realität überholt. Wow!
Abseits der Euphorie stellt niemand wirklich infrage, OB Quantencomputer technologisch realisierbar sind - es ist nur eine Frage der Zeit, WANN sie ihr volles Potential entfalten werden. Wenn Sie mich fragen: innerhalb des kommenden Jahrzehnts. Sollten wir uns also heute schon darauf vorbereiten? Na gut, die Frage war suggestiv, also lassen Sie uns über die oben versprochenen, neuen Fragen sprechen, die wir stellen dürfen, wenn Rechenleistung keine Limitierung mehr darstellt.
Grundsätzlich
Die klassische Grundlagenforschung, die natürlich seit Jahrzehnten Computer einsetzt, nutzt trial & error als Hauptprinzip – als Sozialwissenschaftler erlaube ich mir mal so eine stümperhafte, alles andere als despektierlich gemeinte Simplifikation. Man muss also tatsächlich in langen Versuchsreihen probieren, was geht und was nicht. Einige Verbesserungen, neue Entdeckungen und Erfindungen entstehen durch hypothetisches Vorgehen, einige entstehen durch Zufälle. Sobald Quantencomputer ihr Potential für die Forschung entfalten, erwarten Zukunftsforscher Durchbrüche auf diversen Gebieten, auf denen sehr, sehr viele Kombinationsmöglichkeiten zum Beispiel auf molekularer Ebene denkbar sind. Besonders die Algorithmen künstlicher Intelligenz, insbesondere Machine Learning, werden wohl ihr Potential erst richtig ausnutzen, wenn Quantencomputer zur Durchführung der komplexen Rechenoperationen zur Verfügung stehen.
Schauen wir uns die großen, ungelösten Probleme an…
Gesundheit
Millionen Menschen sterben jedes Jahr infolge von genetisch veranlagten Dysfunktionen. Das nennt die moderne Medizin zwar nicht so, sondern hat hochtrabende Bezeichnungen für Symptom-Erkrankungen gefunden. Tatsächlich erklärt die (Epi-)Genetik jedoch einen großen Teil der Volkskrankheiten von Krebs über Diabetes bis zu Herz-Kreislauf-Krankheiten. Bereits heutige Systeme maschinellen Lernens erkennen aufgrund von Zusammenhängen Krankheiten, die der beste menschliche Mediziner nicht sehen würde.
Tauchen wir ein in die Molekularbiologie, wo Millionen Zellen, Milliarden Neuronen, Billionen Erbgutinformationen biologische Wesen zu dem machen, was sie sind. "Ein Wunder!", denkt der menschliche Verstand. "Spannende Mechanik!", denkt Leonardo da Vinci und beschreibt den vitruvianischen Menschen. "Eine lösbare Rechenaufgabe!", denkt der Quantencomputer.
Der "Heureka"-Moment der zeitgenössischen Medizin wird die Entwicklung individueller Arzneimittel sein für Krankheiten, die noch gar nicht ausgebrochen sind. Durch die Rechenleistung der Quanten in Kombination mit fortgeschrittenen Messinstrumenten (darunter Genomsequenzierung, lab-on-a-chip etc.) wird es noch im nächsten Jahrzehnt möglich werden, den aktuellen und kommenden Gesundheitszustand eines Lebewesens 1. präzise zu bestimmen und 2. das passende Mittel zur (präventiven) Heilung jeglicher Dysfunktion (Krankheit) zu entwickeln. Seit 2012 ist bekannt, dass Quantencomputer das Verhalten von Proteinen und Molekülen berechnen und prognostizieren können; die langjährigen Versuchsreihen der Pharmaunternehmen und Zertifizierungszeiten der Behörden werden dann bald der Vergangenheit angehören.
Was bedeutet das praktisch?
Vielleicht kennen Sie das Szenario aus meinen Keynotes: Eines Tages stehen Sie früh auf, laufen ins Badezimmer und ein Smart Mirror (oder Ihr Smartphone, die Küche oder ein Sprachassistent wie Alexa, Siri oder Bixby) begrüßen Sie im neuen Tag mit folgenden Worten: „Guten Morgen, toll sehen Sie heute aus! Allerdings sind Sie zu 17 Prozent krank, was eine signifikante Verschlechterung zur Vergangenheit bedeutet. Ihr individuelles Arzneimittel wird gerade in Ihrer Stammapotheke zubereitet und ist in 42 Minuten bei Ihnen. Möchten Sie die Ursache für Ihren Gesundheitszustand erfahren?“ Möglicherweise mischt übrigens nicht eine Apotheke Ihr Gesundheitsprodukt, sondern eine Drogerie, Ihr „Kühlschrank“ oder jeder beliebige andere Anbieter, dem Sie Ihre Daten anvertraut haben. Es kann jedoch gut sein, dass diese Verheißung (zunächst) nur einer sehr kleinen Menschengruppe vorbehalten bleibt, darüber müssen wir uns jetzt aber nicht unterhalten.
Für Versicherer bedeutet das: Sie werden den Gesundheitszustand ihrer Kunden unheimlich präzise errechnen können. Erst auf dieser Datengrundlage wird es möglich sein, echte Prävention zu betreiben. Das bedeutet in Zukunft nicht mehr Subvention ergonomischer Büromöbel, wenn der Rücken schon schmerzt, sondern Verhinderung von Krankheiten, lange bevor sie ausbrechen. Rechnen Sie gern allein durch, was das für die Aufwendungen kurativer Maßnahmen bedeuten kann.
Energie
Quantencomputer arbeiten auf der Grundlage der kleinsten bekannten Teilchen im Universum, den Quanten. Je komplexer ein Organismus, desto schwieriger ist es, dessen Quantenzustand zu messen. Für Energie, besonders Elektrizität, ist das weniger kompliziert. Elektrizität lässt sich bereits heute beamen, d.h. in (fast) Echtzeit von einem Ort zum andern transferieren. Heutige Netzbetreiber freuen sich weniger über die Entwicklung, dass potentiell Energie von einem Erzeuger zu jedem beliebigen Empfänger übertragen werden kann. Doch das ist die, zugegebenermaßen, ferne Zukunft.
Sehr viel früher erwarte ich einen Durchbruch im Bereich der Energiespeicherung. Energieversorger, Netzbetreiber und Mobilitätsunternehmen weltweit sind auf der Suche nach dem heiligen Gral der effizienten Speicherung von Elektrizität. Herkömmliche Lithium-Ionen-Akkus basieren auf klassischen elektrochemischen Prinzipien, eine Gruppe von Forschern der Universitäten Alberta und Toronto haben kürzlich die technische Machbarkeit von Akkus demonstriert, die auf den Gesetzen der Quantenmechanik basieren – immerhin theoretisch – und während der Speicherung keine Energie verliert (Quelle: https://phys.org/news/2019-10-blueprint-quantum-battery-doesnt.html / Primärquelle: https://dx.doi.org/10.1021/acs.jpcc.9b06373). Kombiniert man diesen Fortschritt mit dem Wunderelement Graphen, könnte auch die Kapazität der Energiespeicher im bevorstehenden Jahrzehnt endlich den rapide steigenden Bedarf in diversen Wirtschaftssektoren erfüllen.
Was bedeutet das praktisch?
Um einen Faktor zu nennen: ein Lithium-Ionen-Fahrzeugakku dürfte sich bis 2030 um die fünffache Potenz verbessern. Ausgehend vom Klassenbesten (Tesla Model S) bedeutet das eine Reichweite von bis zu 16.000 Kilometer Reichweite pro Ladung. Batterie-Akku-Fahrzeuge haben war ein berechtigtes Imageproblem, das liegt aber vor allem an der heutigen Reichweite, die noch nicht mit Verbrennern mithalten kann. Das wird sich sehr bald ändern.
Verkehrsorganisation
Bereits die ersten Quantencomputer-Prototypen von D-Wave haben in einem werbewirksamen Experiment ihre Stärke ausgespielt (s.o.). Ein ähnliches Projekt wurde 2018 in Barcelona von denselben beiden Unternehmen demonstriert. Nun ging es nicht mehr nur darum, den Verkehrsfluss vorherzusagen, sondern auch daraufhin die Verfügbarkeit von Taxis auf den erwarteten Bedarf abzustimmen – mit Erfolg. Darüber hinaus sei das Projekt skalierbar, das heißt in dem Fall: in jeder beliebigen anderen Stadt einsetzbar.
Was bedeutet das für den Verkehr in Zukunft?
Personenverkehr
In Metropolen und Metropolregionen herrscht mindestens zweimal täglich Verkehrschaos. Gleichzeitig gibt es aktuell wenig Grund zur Annahme, dass sich der Trend zur weiteren Urbanisierung schlagartig umkehren sollte. Es wird also noch voller, es kommen noch mehr Carsharing-Angebote, die bald auch autonom unterwegs sind – in Summe also noch verstopftere Straßen. Die gängigsten Navigationssysteme und -Apps errechnen nicht bloß eine Route von A nach B, sondern senden bereits heute Informationen über die Geschwindigkeit der Nutzer ans Rechenzentrum. Deshalb wissen die Maps und Kartendienste der Welt deutlich früher als Radiosender oder Polizei von Staus und stockendem Verkehr. Natürlich nutzen Pendler, die seit Jahren dieselbe Strecke fahren, kein Navi. Vielleicht wäre es dennoch eine gute Idee, denn die heutige Route ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch alternativ fahrbar, wenn mein Navi nicht nur den Echtzeit-, sondern auch den Zukunfts-Verkehr kennt und bessere Routen vorschlägt.
Warenverkehr
Warenlogistik orientiert sich an einer Art Kaskadeneffekt. Ein Beispiel: Ein voll beladenes Containerschiff läuft in den Hamburger Hafen ein. Jeder Container wird früher oder später auf einen Lkw oder einen Güterzug geladen und zum nächsten Logistik-Verteiler-Zentrum gebracht. Dort werden die Inhalte des Containers aufgeteilt auf neue Fahrzeuge und früher oder später ist man beim einzelnen Bestandteil angekommen, der in einer Maschine verarbeitet oder vom DHL-Boten zum Endkunden gebracht wird. Allein der Folgeverkehr eines Containerschiffs an Land ist der Wahnsinn, all die gefahrenen Kilometer, Arbeitsstunden, Emissionen. Bisher hatten wir aber auch schlicht keine bessere Lösung. Die Zukunft gehört perfekt effizienter Routenplanung und end-to-end-Lieferungen mit autonomen, emissionsarmen Fahr- und Flugzeugen.
Internet
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Menschheit noch gar nicht reif genug ist für das Internet (s.o.). Viel zu mächtig erscheint die Grundlagentechnologie, jeden Ort der Welt plötzlich miteinander verbinden zu können – und unsere herkömmlichen Systeme (Sicherheit, Bildung, Kommunikationsgepflogenheiten) sind schlicht zu langsam dafür. Wie dem auch sei, viele Orte sind immer noch schlecht angebunden an vertretbar schnelles Internet, von Glasfaser und 5G ganz zu schweigen.
Quantencomputer bringen gleich zwei potentielle Anwendungsfälle mit.
- Erstens ist einer der Gründe, warum mobiles Internet teilweise großen Schwankungen unterliegt, dass die Position der Kommunikationssatelliten nicht immer perfekt für die internetfähigen Geräte ist. Das Unternehmen Booz Allen Hamilton arbeitet gerade an einer Lösung der „Routenplanung“ von Satelliten, um die Anzahl der schwarzen Löcher zu minimieren. Allein die Optimierung der "Routenplanung" der Satelliten erhöht die Abdeckung um ein Vielfaches, um stets dort Internet verfügbar zu machen, wo es benötigt werden wird.
- Zweitens können wir uns den schwerfälligen Ausbau der Infrastruktur auf der Erde auch gleich sparen, denn das Quanteninternet / Quantennetzwerk steckt in den Startlöchern. Glasfaser-Internet sendet die Kommunikationssignale mit nahezu Lichtgeschwindigkeit. Das ist schon ganz schön schnell, dennoch muss die Information eine gewisse Strecke zurücklegen und verliert dabei Zeit. Je weiter ein Empfängergerät, beispielsweise Ihr Smartphone, von einem Sender entfernt ist, zum Beispiel einem Rechenzentrum, das diesen Artikel beherbergt, desto länger dauert’s – klingt trivial, ist es auch. Durch den Effekt der Quantenverschränkung kann die Eigenschaft physikalischer Gesetze Reisedauer = Geschwindigkeit x Entfernung ausgehebelt werden und eine Simultanübertragung gewährleistet werden.
Praktisch heißt das: ob ich eine Information in einer direkten Verbindung zwischen zwei Geräten 10 Zentimeter oder 10 Mal um die Erde senden möchte, ändert nichts an der Dauer, Quantum sei Dank! Und dass das Internet bzw. dessen Verfügbarkeit schon in den letzten 30 Jahren zu einer Neudefinition der Menschheit geführt hat, muss ich wohl nicht ausführen.
Digitale Sicherheit
Klassische Verschlüsselungslogiken sind extrem fehleranfällig – nicht, weil Passwörter leicht geknackt oder gehackt werden können, sondern weil Menschen faul und ein Sicherheitsrisiko für Datensysteme sind. Ganz ehrlich, wann haben Sie das letzte Mal das Passwort Ihres privaten E-Mail-Kontos, Ihres Heim-WLAN oder die Kombination für Ihr Smartphone geändert? Und dann noch die Mär mit biometrischen Verschlüsselungsverfahren. Jedes symmetrische Verschlüsselungssystem ist in dem Moment entschlüsselbar, in dem die Information auch auf einem noch so gut geschützten Server mit Internetverbindung hinterlegt wird.
Während dann aber komplexe Verschlüsselungsverfahren gegenüber heutigen Supercomputern „recht sicher“ sind, könnten Quantencomputer problemlos unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten simulieren und selbst die komplexeste, symmetrische Verschlüsselung knacken. Neuartige Verfahren werden bereits heute eingesetzt, die erstens asymmetrisch funktionieren – das heißt, es gibt immer einen öffentlichen und einen privaten „Schlüssel“ pro Benutzer. Kryptowährungen wie Bitcoin basieren auf diesem Prinzip: jeder Nutzer hat einen öffentlichen Schlüssel, quasi eine Art Kontonummer, bei einer Transaktion wird jedoch ein privater Schlüssel für Sender und Empfänger erzeugt, die nur diese beiden Parteien erhalten. Zweitens wird wohl einer der ersten kommerziellen Einsatzbereiche von Quantencomputern die Quantenkryptographie sein. Kurz gesagt: aus heutiger Sicht gibt es keine praktizierte Verschlüsselungstechnologie, die unmöglich zu hacken ist. Quantenkryptographie verspricht – wie gesagt, aus heutiger Sicht – die Generierung so unvorstellbar komplexer Verschlüsselungsverfahren, dass diese durch kein absehbares System gehackt werden können.
Finanzwesen
Die größten Börsen und Banken der Welt geben Unsummen für den Betrieb gigantischer Rechenzentren aus, die auf Basis herkömmlicher Computer permanent Finanzmarktmodelle, Portfoliooptimierung und Risikoabschätzungen für Investoren, Kunden, Regierungen etc. zu kalkulieren. Komplexe Modelle erfordern unheimlich viel Rechenleistung; Quantencomputer könnten bestimmte Arten von Berechnungen mit deutlich weniger Energiebedarf und folglich weniger Kosten durchführen. Ja, das bedeutet leider auch, dass viele Bankangestellte ihren Job verlieren werden - besonders, wenn der Zugriff auf Quantencomputer schlagartig umgesetzt wird, wovon auszugehen ist.
Die mittelfristige Zukunft gehört dem komplett automatisierten Handel. Selbst wenn Sie selbst keine Ahnung von Spekulation haben, werden Sie einen virtuellen Bot ins Rennen schicken, der für Sie immer zum richtigen Zeitpunkt das Portfolio aktualisiert, kauft, verkauft, etc. Bitte bringen Sie ihm beizeiten Werte und anständiges Verhalten bei.
Foresight allgemein
Die Zukunft vorherzusagen ist unmöglich. Wirklich? Um ehrlich zu sein, wäre es als Zukunftsforscher ganz schön dämlich, diese Aussage einfach so stehen zu lassen. Natürlich können wir gewisse Dinge prognostizieren, wenn wir nur ausreichend gute Modelle und vor allem ein Verständnis für (unheimlich komplexe, chaotische, entropische, sich wechselseitig beeinflussende) Systeme entwickeln, Muster erkennen, Entwicklungen bewerten und zu einem zutreffenden Maß extrapolieren. Viele Branchen sind dennoch auf die Simulation komplexer Daten angewiesen, allen voran die Finanz- und Energiebranche, Maschinenbau und sämtliche Ingenieursbereiche.
Bereits heutige Verfahren wie die Monte-Carlo-Simulation wenden statistische Verfahren an, um schwer oder unmöglich berechenbare Probleme, wie etwa Zerfallsprozesse im Bereich der Kernfusion oder die Berechnung aller Nachkommastellen von Pi, mit Behelfslösungen doch nutzen zu können. Diese Formen der unmöglichen Berechnungen wird es dank Computern nicht mehr geben; ich als Zukunftsforscher fände es natürlich schade, wenn ein Quantencomputer nicht bloß Pi, sondern auch die Entwicklung einer Branche mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unter den gegebenen Variablen vorhersagen könnte. Dennoch bin ich überzeugt, dass es nur eine Frage der Datengrundlage ist, die groben Rahmenbedingungen der Zukunft zu errechnen. Es wäre auch ziemlich arrogant anzunehmen, dass die Gehirne von Zukunftsforschern schneller oder besser kombinieren können als ein Quantencomputerchip mit genügend Qubits und exponentieller Rechenleistung…
Umwelt
Ich bin fatalistisch davon überzeugt, dass weder Politik noch Gesellschaft in naher Zukunft ernsthaft einen Wandel im umweltschädlichen Verhalten herbeiführen können. Wir wissen ja längst, dass das Verbrennen fossiler Ressourcen und die massenhafte Tierhaltung schlecht fürs Klima sind, doch haben wir uns an die Annehmlichkeiten im Lebensstil so sehr gewöhnt, dass eine andere Lösung als die Änderung der eigenen Gewohnheiten und die scheinbare Senkung des Lebensstandards herhalten muss.
Stattdessen wächst eben der Anteil der „Technik-Jünger“, die für unsere Klimakrise auf die technologische Lösung hoffen. Meiner Ansicht nach sind alle Technologien längst entwickelt worden, um die Emissionen zu verringern und das bestehende Ungleichgewicht im Treibhauseffekt teilweise zu korrigieren. Dabei muss es auch nicht immer Hightech, sondern kann auch das Pflanzen von Bäumen sein, um CO2 zu binden. Oder man denkt größer und extrahiert CO2 aus der Atmosphäre, spaltet es in aufwendigen chemischen Prozessen in Kohlen- und Sauerstoff und verwertet mindestens den Kohlenstoff weiter. Bedarf haben wir genug. Beispielsweise für e-fuels, also synthetische Kraftstoffe, die in herkömmlichen Verbrennungsmotoren funktionieren. Diese Lösungen haben wir mit herkömmlichen Forschungsprozessen entwickelt; sobald Quantencomputer zum Standard in Laboren und Forschungszentren werden, sind chemische Reaktionen plötzlich simulierbar, völlig neuartige Kombinationsmöglichkeiten denkbar. Wir würden noch besser verstehen, welche Zusammenhänge konkret das Klima beeinflussen – und welche wir wo unterbinden sollten.
Menschheit (anstelle eines Fazit)
Und spätestens an diesem Punkt der Liste komme ich zu dem Schluss, dass die beste Technologie nichts nützt, wenn die sozialen Systeme nicht mitspielen. Das aktuelle Design ebendieser ist nur leider nicht für (bald) 10 Milliarden Menschen und komplexe Herausforderungen wie den Klimawandel, Epidemien oder die gerechte Verteilung von Lebensmitteln und Ressourcen ausgelegt.
Wir benötigen also beides, um die Menschheit zu retten: Den mutigen Einsatz wirklich innovativer Technologien und beherzte Entscheider*innen. Dazu dann noch eine gehörige Prise Exnovation.
Ich bleibe dabei: je mehr (digitale) Technologie die Menschheit entwickelt, desto wichtiger wird die menschliche Interaktion. Quantencomputer werden nicht alle Probleme der Menschheit über Nacht lösen - aber vielleicht können sie dabei helfen, die heute noch scheinbar unlösbaren großen Themen handhabbar zu machen.
Ausgewählte allgemeine / Übersichts-Quellen (unsortiert!):
https://www.dwavesys.com/quantum-computing/applications
https://dwavefederal.com/app/uploads/2017/10/Qubits-Day-2-Morning-5-VW.pdf
https://www.thedrive.com/tech/8789/volkswagen-uses-quantum-computing-to-fight-beijing-traffic
https://www.dwavesys.com/sites/default/files/Qubits%20Europe%202018TrafficflowOptimisation.pdf
https://medium.com/@jackkrupansky/what-applications-are-suitable-for-a-quantum-computer-5584ef62c38a
https://quantumcomputingreport.com/our-take/the-best-applications-for-quantum-computing/
https://www.nature.com/articles/d41586-019-02936-3
https://www.quantamagazine.org/stephanie-wehner-is-designing-a-quantum-internet-20190925/
https://gizmodo.com/you-wont-see-quantum-internet-coming-1836888027
Beitragsgrafik von: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:C%2B%2B_evolution_text.svg
* Zitiert nach: Eckhardt Meyer-Krentler: Arbeitstechniken Literaturwissenschaft. München: W. Fink 3. Auflage 1993 (UTB 1582), S. 75. Dieser gibt als Quelle an: Karl Hoppe: Wilhelm Raabe. Göttingen 1968, S. 89, gefunden hier, inspiriert von einer Keynote von Prof. Dr. Gunter Dueck, in dem er das Zitat Schopenhauer zuschrieb - scheinbar nicht als einziger.