Die virtuellen Realitäten der Zukunft: Spielerei oder revolutionärer Durchbruch?
Morgen wird Apple sein Mixed Reality Headset vorgestellt haben. Die Tech-Welt blickt gespannt nach Cupertino, wo der scheidende Apple-CEO Tim Cook heute (5.6.23 um 19 Uhr deutscher Ortszeit) die freudig erwartete Apple Keynote genutzt haben wird, um unter anderem das eigene VR-/AR-Headset zu präsentieren – neben anderen Neuerungen wie dem neuen Prozessor, Updates im iOS und watchOS. Gelingt ihm damit sein eigener Iphone-Moment? Willkommen zu den virtuellen Realitäten der Zukunft.
Der Tanz der Illusionen
Während heute Abend Apple sein neues Mixed-Reality-Headset präsentiert, stellt sich die Frage, ob diese Technologie nur ein teurer Zeitvertreib für Privatpersonen ist oder ob sie tatsächlich das Potenzial hat, die Art und Weise, wie wir arbeiten und interagieren, revolutionär zu verändern. In diesem Beitrag möchte ich meine Überzeugung teilen, dass virtuelle Realitäten für den privaten Gebrauch ungeeignet sein mögen, aber im professionellen Einsatz, insbesondere im Service-Bereich, von unschätzbarem Wert sein können.
Virtuelle Realitäten sind wie der Tanz der Illusionen. Sie versprechen uns ein Eintauchen in andere Welten, sei es auf ferne Planeten, in historische Epochen oder in fantastische Abenteuer. Doch hinter der Fassade der Unterhaltung verbirgt sich eine Technologie, die weitreichende Auswirkungen auf die Art und Weise haben kann, wie wir arbeiten und Dienstleistungen erbringen.
Privates Vergnügen oder professionelle Wunderwaffe?
Für private Zwecke sind virtuelle Realitäten meiner festen Überzeugung nach aktuell noch ungeeignet. Klar, es macht Spaß, in eine virtuelle Welt einzutauchen und für eine Weile dem Alltag zu entfliehen. Aber mal ehrlich, wer von uns hat wirklich Zeit, Geld und Nackenmuskulatur im Überfluss, um stundenlang mit einem teuren Headset auf dem Kopf in einer simulierten Realität herumzustolzieren? Die meisten von uns haben noch reale Aufgaben zu erledigen und echte Verantwortungen zu tragen. Schließlich ist die digitale/virtuelle Infrastruktur noch sehr rudimentär, wenn man sich eins der Hobby-Metaversen (z. B. Decentraland, Sandbox oder das wohl teuerste Projekt von Facebook-Mutter Meta, Horizon Worlds) mal genauer ansieht. Die Preise für VR-Headsets werden sinken, klar, doch das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Unsere Gesellschaft – inklusive Kultur, Normen und Werte, Anforderungen an Erwerbsarbeit, etc. – verhindert für den Großteil der Menschen nennenswerte Schnittpunkte und Mehrwerte.
Doch schauen wir über den Horizont des Privatvergnügens hinaus und stattdessen auf den professionellen Einsatz. Hier eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten. Wahnsinnig viele Investments wurden bereits getätigt, nicht zuletzt ausgelöst durch die Consumer Electronics Show 2022 (CES), bei der das Metaverse als einer der wichtigsten Zukunftstrends gefeiert wurde. Darüber hinaus kennt inzwischen wohl jede:r inzwischen Guccis Metaverse-Siegeszug, selbst die Deutsche Bank + Dekabank haben Filialen im Metaverse.
Insbesondere im technischen Service-Bereich kann der Einsatz von virtuellen oder gemischten Realitäten allerdings einen wahren Quantensprung bedeuten. Techniker:innen der Zukunft können mithilfe eines AR-Headsets komplexe Wartungsarbeiten an Maschinen durchführen und dabei von einer intelligenten Maschine unterstützt werden, die in Echtzeit Feedback gibt. Dadurch wird der Mensch zum Superheld, der mit technologischer Unterstützung die Welt der Reparaturen revolutioniert – und zwar lange bevor eine Maschine wirklich ausfällt.
Wichtiger Aspekt aus Arbeitgeberperspektive: Der Mensch, der mithilfe eines solchen Headsets Wartungsarbeiten ausführt, braucht eine ganz andere, viel weniger aufwendige Ausbildung als die heutige, mehrfach zertifizierte Technikerin mit Berufserfahrung.
Der Fachkräftemangel ruft nach virtuellen Helden
In Zeiten des Fachkräftemangels sind innovative Lösungen gefragt. Allein im Maschinenbau geben 29 Prozent der Unternehmen an, dass ihre Produktion angesichts fehlender Fachkräfte beeinträchtigt wird (Quelle: VDMA). Virtuelle Realitäten können dabei helfen, das Wissen und die Fähigkeiten von Fachkräften zu erweitern und zu ergänzen. Durch Simulationen und virtuelle Schulungen können neue Beschäftigte schneller qualifiziert werden und erfahrene Kräfte ihre Fähigkeiten auf dem neuesten Stand halten. Die virtuelle Welt wird zum Trainingsgelände für die Held:innen des Service-Bereichs, die mit ihren AR-Headsets ausgestattet die komplexesten Herausforderungen meistern.
Doch Vorsicht ist geboten: Natürlich gibt es auch Schattenseiten und Bedenken, die nicht ignoriert werden dürfen.
Der Einsatz von virtuellen Realitäten im professionellen Bereich bringt zweifellos Herausforderungen mit sich. Die erste Frage für Unternehmen ist natürlich: Lohnt sich die Entwicklung? Entwickle ich es selbst oder kaufe ich Lösungen ein? Gibt es überhaupt schon Standards und können oder wollen meine (zukünftigen) Arbeitskräfte VR/AR/MR einsetzen?
Datenschutz und Sicherheit sind weitere Bedenken, die wir berücksichtigen müssen. Wenn wir virtuelle Welten betreten, öffnen wir Türen zu einer neuen Dimension, die von Algorithmen und Daten durchdrungen ist. Es besteht die Gefahr, dass persönliche Informationen und geistiges Eigentum missbraucht oder Manipulationen vorgenommen werden. Wir müssen daher strenge Richtlinien und Sicherheitsmaßnahmen einführen, um den Schutz der Nutzer und Patentinhaber zu gewährleisten. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass unsere staatlichen Einrichtungen aus Sicherheit und Justiz noch nicht wirklich darauf vorbereitet sind.
Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Menschlichkeit und dem sozialen Zusammenhalt in einer virtuellen Welt. Wenn wir unsere physische Präsenz durch virtuelle Avatare ersetzen, besteht die Gefahr, dass wir den persönlichen Kontakt und das zwischenmenschliche Miteinander vernachlässigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass echte Beziehungen und menschliche Interaktionen die Grundlage unserer Gesellschaft bilden. Virtuelle Realitäten sollten uns nicht von der realen Welt entfremden, sondern sie unterstützen und bereichern – schon allein, indem sie uns körperlich anstrengende und/oder repetitive Aufgaben abnehmen.
Ausblick auf virtuelle Service-Welten
Werfen wir einen Blick in die Zukunft der virtuellen Realitäten im Service-Bereich.
Stellt euch vor, wir haben eine hochentwickelte B2B-Plattform, auf der Unternehmen und Service-Techniker:innen ihre Dienstleistungen anbieten können. Außerdem können smarte Maschinen Wartungsaufträge ausschreiben. Eine Technikerin, ausgestattet mit einem AR-Headset, nimmt einen Job an und wird in manchen Fällen sicherlich noch zur physischen Maschine, eine Rolltreppe oder einen Gabelstapler, fahren; in anderen Fällen geht das auch ohne örtliche Präsenz. Außerdem betritt unsere Technikerin die virtuelle Welt und wird dort von einer intelligenten Maschine begleitet, die alle Aktionen überwacht und bewertet, auch Warnungen anzeigt. Feedback aus aller Welt kann von Expert:innen eingeholt werden. Dank Computer Vision erkennt die Brille selbst, was der Mensch sieht, und kann jederzeit hilfreiche Ratschläge geben.
Mit jeder erfolgreichen und schnellen Wartung oder Reparatur steigt die Reputation der Technikerin auf der Plattform. Unternehmen können auf diese Weise die Fähigkeiten und Kompetenzen von Technikern objektiv bewerten und die besten Kräfte für ihre Aufgaben auswählen. Noch ein paar Jahre weitergedacht wird die Maschine alle Aufträge – natürlich lange vor dem Verschleiß eines Teils – autonom an menschliche Servicekräfte vergeben. Einige dieser Techniker werden mit Sicherheit für mehrere Arbeitgeber tätig sein, weil es sich lohnt und keine umfangreiche Schulung für jedes einzelne Thema nötig ist, sondern ausschließlich ein grundsätzlich technisches Verständnis.
Fazit
Die virtuellen Realitäten der Zukunft sind mehr als nur Spielerei. Sie haben das Potenzial, die Art und Weise, wie wir arbeiten und interagieren, zu revolutionieren. Während sie für private Zwecke möglicherweise ungeeignet erscheinen, können sie im professionellen Einsatz im Service-Bereich Gold wert sein. Ob virtuelle Bankfiliale, branchenübergreifend Fortbildungen, AR-Anleitungen für Bauarbeiter (m/w/d) oder punktuelle Upgrades für menschliche Servicekräfte im Wartungsbereich – ich kann mir für kaum ein Unternehmen keinen sinnvollen Anwendungsfall vorstellen.
Der Fachkräftemangel und die Notwendigkeit, effizientere Lösungen zu finden, erfordern innovative Ansätze. Virtuelle Realitäten können uns helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, indem sie unsere Fähigkeiten erweitern und neue Möglichkeiten eröffnen. Doch dabei dürfen wir nicht die Menschlichkeit und den Schutz der Privatsphäre vernachlässigen. Es liegt in unserer Verantwortung, die virtuellen Realitäten sorgfältig zu gestalten und sie als Werkzeug zur Verbesserung unserer Gesellschaft einzusetzen. Die virtuellen Service-Welten warten auf uns – lassen Sie uns die Zukunft gemeinsam gestalten!
Foto von My name is Yanick auf Unsplash
Text with a little help from ChatGPT (gesamter Chatverlauf unter dem Link ersichtlich)
#02.05 Spekulatives Design und Verantwortung der (Zukunfts-)Gestaltung: Ben Vogt Im Hier und Morgen
Dieses Mal habe ich mir meinen guten Freund Ben "Im Hier und Morgen" eingeladen. Er steht kurz vor Abschluss seiner Doktorarbeit in Designwissenschaft. Dabei geht es unter anderem um virtuelle Realitäten - aber auch, wie Menschen Linien wahrnehmen.
Wir unterhielten uns in dieser Episode über die Schnittmenge von (spekulativem) Design und Zukunftsforschung, Science-Fiction, Design Thinking und dem Pendant Designdenken und vieles mehr.
Teaser gefällig? Hier geht's zur Vorschau:
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